Die Olympischen Spiele in Tokio stehen auf der Kippe
Japan. Angesichts wachsender Infektionszahlen erwägt Tokio eine Absage. Die Regierung versagt im Kampf gegen das Virus, geimpft wird kaum.
Tokio. Die Olympischen Spiele werden möglicherweise auch heuer nicht in Tokio stattfinden. „Wir müssen die Spiele ohne Zögern absagen, sollte ihre Durchführung nicht länger möglich sein. In diesem Fall müssen wir das entschieden stoppen“, erklärte kryptisch der Generalsekretär der Regierungspartei LDP, Toshihiro Nikai. „Sollten die Infektionen wegen Olympia steigen, weiß ich nicht, wofür die Spiele gut sein sollen.“Selbst wenn das nur ein Versuchsballon in Richtung Internationales Olympisches Komitee sein sollte, der Mann weiß, wovon er reden darf. Nikai ist engster Vertrauter von Premier Yoshihide Suga.
Knapp 100 Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele geht der Gastgeber Japan schlecht an den Start: In den Metropolen steigen Corona-Inzidenzen, in Tokio muss erneut der Quasi-Notstand ausgerufen werden. Dies wird allerdings vor allem von Millionen Pendlern in hoffnungslos überfüllten U- und S-Bahnen kollektiv ignoriert. Allgemeiner Tenor: Die ganzen Maßnahmen bringen sowieso nichts. Im Großraum Tokio mit seinen 38 Millionen Einwohnern warnen Experten angesichts Verweigerung und Ignoranz bereits vor einer vierten Welle. Besonders verstörend ist die Lage an der Impf-Front. Hier steht die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt komplett als Verlierer da. Derzeit ist nicht einmal ein Prozent der japanischen Bevölkerung gegen Corona geimpft, lokale Medien sprechen sogar von nur 0,5 Prozent der rund 126 Mio. Einwohner. Unter den Industriestaaten ist Japan absolutes Schlusslicht.
Später Impfstart
Die ersten Spritzen gegen das Coronavirus wurden in Japan am 17. Februar verabreicht, mehr als anderthalb Monate nach Europa. Den zögerlichen Anfang machten 20.000 Ärzte und Pfleger, die auf freiwilliger Basis den Stoff von Biontech/ Pfizer gespritzt bekamen, um mögliche Nebenwirkungen zu erforschen. Inzwischen soll nicht einmal ein Viertel der rund 4,8 Millionen Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft sein, nur ein Zehntel davon zweifach. Am Montag erst begann die Inokulation der über 65-Jährigen, immerhin sind das 29 Prozent der ohnehin überalterten Gesamtbevölkerung. Geimpft wird bisher nur sehr sporadisch in den einzelnen Präfekturen. Bis Ende Juni sollen für die Senioren genügend Präparate zur Verfügung stehen, beteuern die Verantwortlichen.
Man geht davon aus, dass alle, die zu einer Impfung bereit sind, frühestens im Herbst irgendwie versorgt sind, also lang nach den noch immer geplanten Olympischen Spielen. Trotzdem betont die Regierung immer wieder, dass die Sommerspiele stattfinden werden, egal, ob die japanischen Gastgeber geimpft sind oder nicht. Die Gründe für den langsamen Prozess sind für so ein eigentlich hoch entwickeltes und technikaffines Land schwer nachvollziehbar. Japan hat trotz renommierter Pharmaindustrie noch keinen eigenen Impfstoff entwickelt. Im internationalen Rennen um Vakzine haben alle japanischen Konzerne bisher versagt. Sie sind zu langsam und vorsichtig, werden zudem gebremst von der Bürokratie.
Weltunternehmen wie Takeda, Daiichi Sankyo und Shionogi & Co. sollen erst im Versuchsstadium sein, bis zu einer Zulassung wird es dauern, auch weil es in den zurückliegenden Jahren mehrere Impf-Skandale gegeben hat. Die Regierung hat ihrer Industrie vermutlich mehr zugetraut oder die Lage als nicht so besorgniserregend eingeschätzt, um schnell im Ausland zu bestellen.
Lang machte sich Sorglosigkeit breit. Die Fallzahlen in Japan sind im Vergleich zu anderen Ländern moderat, aber das Gesundheitssystem steht dennoch vor dem Kol
Kommen Sie bitte nicht nach Japan!
Appell von japanischen Professoren an Sportler und Funktionäre des Olympischen Komitees
laps. Und bisher darf nur Biontech/Pfizer gespritzt werden. Japan ist also auf Importe ausschließlich aus Europa angewiesen, wo es auch erhebliche Engpässe gibt. Präparate anderer Hersteller wie Moderna, AstraZeneca oder Johnson & Johnson warten noch auf die Zulassung. Berichte über Komplikationen befeuern die Verunsicherung und das weit verbreitete Misstrauen. Kritisiert wird sogar an Biontech/Pfizer, dass deren Präparat hauptsächlich an „Weißen“getestet wurde. Also gebe es keine ausreichenden und gesicherten Daten über Aus- und Nebenwirkungen bei Japanern.
Die Diskussion über die ImpfPleite drückt auf die generelle Stimmung und die ohnehin ambivalente Ausländerfreundlichkeit. Und zunehmend macht sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Olympischen Spiele in Pandemiezeiten breit. Aus Sorge vor einer möglichen Corona-Katastrophe appellieren jetzt knapp ein Dutzend Professoren in einem Brief an Sportler und Funktionäre: „Kommen Sie bitte nicht nach Japan!“