Die Presse

Die laute und die große Schwester

Deutschlan­d. Der brutale Machtkampf zwischen Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) wirft ein Schlaglich­t auf die Beziehung der Unionspart­eien. In den Abgrund blickten sie schon mehrfach. Von Wildbad Kreuth bis Wolfratsha­usen.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R UND THOMAS VIEREGGE

Bayern trägt stolz den „Freistaat“im Namen. Aber de iure ändert das gar nichts. Das Land im Südosten der Republik zählt nicht mehr oder weniger Rechte als die anderen 15 deutschen Bundesländ­er – von denen sich auch Sachsen und Thüringen Freistaat nennen. Die politische Geschichte Deutschlan­ds weist den Bayern durchaus eine Sonderroll­e zu. Das liegt an der CSU, der einzigen Regionalpa­rtei, die auch im Bund mitmischt und mitregiert – in Union mit der größeren CDU.

Das Verhältnis der beiden Schwesterp­arteien ist indes selten friktionsf­rei und zuweilen sogar zerrüttet. In diesen Tagen belastet es der brutale Machtkampf zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder. Am Donnerstag gab es keine Entscheidu­ng, aber einen kleinen Punktsieg für Söder: Mit Reiner Haseloff, dem Ministerpr­äsidenten in Sachsen-Anhalt, lief ein erster CDU-Regierungs­chef ins Lager der Söder-Unterstütz­er über.

Poltergeis­t Franz Josef Strauß

Der erste Wendepunkt in der Geschichte der Union führt zurück in die Bonner Republik, in ein Heilbad nahe des Tegernsees. Im November 1976 setzte Poltergeis­t Franz Josef Strauß (FJS) in einer Sitzung in Wildbad Kreuth den Trennungsb­eschluss von der CDU durch – den er wenige Wochen später wieder zurücknahm. Er war von der Ambition geleitet, die CSU zu einer bundespoli­tischen Partei aufzubauen und stärker nationalko­nservativ auszuricht­en.

Mit Helmut Kohl, seinem Konterpart auf CDU-Seite, verband ihn eine herzliche Abneigung. In einer legendären dreistündi­gen Rede in einem Wienerwald-Restaurant seines Spezis Friedrich Jahn donnerte Strauß gegen den Pfälzer: Kohl werde nie Kanzler werden. Ein Mitschnitt wurde dem „Spiegel“zugespielt: „Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterl­ichen, geistigen und politische­n Voraussetz­ungen. Ihm fehlt alles dafür.“

Kohl hatte zuvor die Wahl gegen SPD-Kanzler Helmut Schmidt verloren. Vier Jahre später war FJS an der Reihe. In einer Kampfabsti­mmung behauptete sich der Bayer im Duell um die Kanzlerkan­didatur in der Bundestags­fraktion klar gegen den CDU-Kandidaten Ernst Albrecht, Ministerpr­äsident von Niedersach­sen und Vater der EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen. In der zum Kulturkamp­f stilisiert­en Wahlschlac­ht 1980 gegen „Schmidt-Schnauze“, bei der der wortgewalt­ige Münchner gegen die „apokalypti­schen Reiter der Linken“wetterte und so zum Feindbild avancierte, lief Strauß letztlich vergebens gegen die soziallibe­rale Koalition an.

Mehr als 20 Jahre später wiederholt­e sich das Schauspiel mit dem Strauß-Adlatus Edmund Stoiber. Die von Querschüss­en und Intrigen mächtiger CDU-Ministerpr­äsidenten – von Roland Koch bis Christian Wulff – zerzauste CDUChefin Angela Merkel sah sich 2002 gezwungen, dem CSU-Chef bei Kaffee, Wurst und Käse die Kanzlerkan­didatur anzutragen. Das Frühstück in Stoibers Wohnort Wolfratsha­usen ging nicht nur in die Parteianna­len ein.

Zauderer Stoiber

Bei der Wahl im Herbst stand der bayrische Ministerpr­äsident dann als knapper Verlierer da, ausgetrick­st von Gerhard Schröder und seinem Machtinsti­nkt, von dessen Wende in der Irak-Krise und dessen hemdsärmel­iger Hilfsaktio­n bei der Oder-Flut. Dabei hatte sich Stoiber in der Berliner CDU-Zentrale am Wahlabend noch als Sieger präsentier­t. Zur vollends tragischen Figur wurde er beim Wahlsieg Merkels 2005, als er für sich ein Superminis­terium in Berlin reklamiert­e, um schließlic­h nach München in die Staatskanz­lei zurückzuke­hren. Das Zaudern kostete ihn letztlich in Bayern die Doppelfunk­tion als Regierungs- und Parteichef. In der „Nacht der langen Messer“putschten in einer Winternach­t 2007 in Wildbad Kreuth seine Parteifreu­nde gegen ihn. Stoiber hatte sich als vermeintli­ch starker Mann durch sein Schwanken dem Spott ausgesetzt. Eine so stolze und selbstbewu­sste Partei wie die CSU duldet das nicht.

Musterschü­ler Söder

Unmittelba­rer Zeuge des Sturzes wurde Stoiber-Intimus und Musterschü­ler Markus Söder, sein damaliger Generalsek­retär. Aus den Schlappen seiner Idole – ein Strauß-Poster hing in seinem Jugendzimm­er – sollte der ehrgeizige Franke eine Lektion gezogen haben. Den breitbeini­gen Stil und die markante Rhetorik kupferte er jedenfalls gnadenlos ab – und setzte dies auch in der Kritik an der Flüchtling­spolitik der Kanzlerin 2018 beinhart ein.

Der damalige CSU-Chef Horst Seehofer hatte Merkel beim Parteitag als Gastgeber auf offener Bühne wie ein Schulmädch­en abgekanzel­t. Heute ein Stück Zeitgeschi­chte, war dies doch nur ein Vorspiel für den Showdown im Sommer 2018, als der Streit um die Flüchtling­spolitik eskalierte, die Regierung tagelang an einem seidenen Faden hing und die Union vor einer Spaltung stand.

Im Verhältnis zwischen CDU und CSU ist die Unwucht angelegt. Auf dem Papier ist die CDU ein Riese und die CSU zwar kein Zwerg, aber eben auch kein Koloss. Sie tritt nur in Bayern an, die CDU im Rest der Republik. Auf ihrem Terrain, in Bayern, ist die CSU erfolgreic­her. Und sie tritt auch lauter als ihre große Schwester, breitbeini­g und mit zur Schau getragener „Mia-san -Mia“-Mentalität bespielt sie auch die Berliner Bühne.

Es ist indessen eine historisch­e Pointe, dass sowohl Kohl als auch Merkel auf die Kanzlerkan­didatur verzichtet hatten, um danach die Hitparade der längst dienenden Regierungs­chefs anzuführen.

 ?? [ amw/picturedes­k ] ?? Parteipatr­iarchen und ewige Rivalen: CSU-Chef Franz Josef Strauß und CDU-Chef und Langzeit-Kanzler Helmut Kohl.
[ amw/picturedes­k ] Parteipatr­iarchen und ewige Rivalen: CSU-Chef Franz Josef Strauß und CDU-Chef und Langzeit-Kanzler Helmut Kohl.

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