Die laute und die große Schwester
Deutschland. Der brutale Machtkampf zwischen Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) wirft ein Schlaglicht auf die Beziehung der Unionsparteien. In den Abgrund blickten sie schon mehrfach. Von Wildbad Kreuth bis Wolfratshausen.
Bayern trägt stolz den „Freistaat“im Namen. Aber de iure ändert das gar nichts. Das Land im Südosten der Republik zählt nicht mehr oder weniger Rechte als die anderen 15 deutschen Bundesländer – von denen sich auch Sachsen und Thüringen Freistaat nennen. Die politische Geschichte Deutschlands weist den Bayern durchaus eine Sonderrolle zu. Das liegt an der CSU, der einzigen Regionalpartei, die auch im Bund mitmischt und mitregiert – in Union mit der größeren CDU.
Das Verhältnis der beiden Schwesterparteien ist indes selten friktionsfrei und zuweilen sogar zerrüttet. In diesen Tagen belastet es der brutale Machtkampf zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder. Am Donnerstag gab es keine Entscheidung, aber einen kleinen Punktsieg für Söder: Mit Reiner Haseloff, dem Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt, lief ein erster CDU-Regierungschef ins Lager der Söder-Unterstützer über.
Poltergeist Franz Josef Strauß
Der erste Wendepunkt in der Geschichte der Union führt zurück in die Bonner Republik, in ein Heilbad nahe des Tegernsees. Im November 1976 setzte Poltergeist Franz Josef Strauß (FJS) in einer Sitzung in Wildbad Kreuth den Trennungsbeschluss von der CDU durch – den er wenige Wochen später wieder zurücknahm. Er war von der Ambition geleitet, die CSU zu einer bundespolitischen Partei aufzubauen und stärker nationalkonservativ auszurichten.
Mit Helmut Kohl, seinem Konterpart auf CDU-Seite, verband ihn eine herzliche Abneigung. In einer legendären dreistündigen Rede in einem Wienerwald-Restaurant seines Spezis Friedrich Jahn donnerte Strauß gegen den Pfälzer: Kohl werde nie Kanzler werden. Ein Mitschnitt wurde dem „Spiegel“zugespielt: „Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, geistigen und politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.“
Kohl hatte zuvor die Wahl gegen SPD-Kanzler Helmut Schmidt verloren. Vier Jahre später war FJS an der Reihe. In einer Kampfabstimmung behauptete sich der Bayer im Duell um die Kanzlerkandidatur in der Bundestagsfraktion klar gegen den CDU-Kandidaten Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachsen und Vater der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. In der zum Kulturkampf stilisierten Wahlschlacht 1980 gegen „Schmidt-Schnauze“, bei der der wortgewaltige Münchner gegen die „apokalyptischen Reiter der Linken“wetterte und so zum Feindbild avancierte, lief Strauß letztlich vergebens gegen die sozialliberale Koalition an.
Mehr als 20 Jahre später wiederholte sich das Schauspiel mit dem Strauß-Adlatus Edmund Stoiber. Die von Querschüssen und Intrigen mächtiger CDU-Ministerpräsidenten – von Roland Koch bis Christian Wulff – zerzauste CDUChefin Angela Merkel sah sich 2002 gezwungen, dem CSU-Chef bei Kaffee, Wurst und Käse die Kanzlerkandidatur anzutragen. Das Frühstück in Stoibers Wohnort Wolfratshausen ging nicht nur in die Parteiannalen ein.
Zauderer Stoiber
Bei der Wahl im Herbst stand der bayrische Ministerpräsident dann als knapper Verlierer da, ausgetrickst von Gerhard Schröder und seinem Machtinstinkt, von dessen Wende in der Irak-Krise und dessen hemdsärmeliger Hilfsaktion bei der Oder-Flut. Dabei hatte sich Stoiber in der Berliner CDU-Zentrale am Wahlabend noch als Sieger präsentiert. Zur vollends tragischen Figur wurde er beim Wahlsieg Merkels 2005, als er für sich ein Superministerium in Berlin reklamierte, um schließlich nach München in die Staatskanzlei zurückzukehren. Das Zaudern kostete ihn letztlich in Bayern die Doppelfunktion als Regierungs- und Parteichef. In der „Nacht der langen Messer“putschten in einer Winternacht 2007 in Wildbad Kreuth seine Parteifreunde gegen ihn. Stoiber hatte sich als vermeintlich starker Mann durch sein Schwanken dem Spott ausgesetzt. Eine so stolze und selbstbewusste Partei wie die CSU duldet das nicht.
Musterschüler Söder
Unmittelbarer Zeuge des Sturzes wurde Stoiber-Intimus und Musterschüler Markus Söder, sein damaliger Generalsekretär. Aus den Schlappen seiner Idole – ein Strauß-Poster hing in seinem Jugendzimmer – sollte der ehrgeizige Franke eine Lektion gezogen haben. Den breitbeinigen Stil und die markante Rhetorik kupferte er jedenfalls gnadenlos ab – und setzte dies auch in der Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin 2018 beinhart ein.
Der damalige CSU-Chef Horst Seehofer hatte Merkel beim Parteitag als Gastgeber auf offener Bühne wie ein Schulmädchen abgekanzelt. Heute ein Stück Zeitgeschichte, war dies doch nur ein Vorspiel für den Showdown im Sommer 2018, als der Streit um die Flüchtlingspolitik eskalierte, die Regierung tagelang an einem seidenen Faden hing und die Union vor einer Spaltung stand.
Im Verhältnis zwischen CDU und CSU ist die Unwucht angelegt. Auf dem Papier ist die CDU ein Riese und die CSU zwar kein Zwerg, aber eben auch kein Koloss. Sie tritt nur in Bayern an, die CDU im Rest der Republik. Auf ihrem Terrain, in Bayern, ist die CSU erfolgreicher. Und sie tritt auch lauter als ihre große Schwester, breitbeinig und mit zur Schau getragener „Mia-san -Mia“-Mentalität bespielt sie auch die Berliner Bühne.
Es ist indessen eine historische Pointe, dass sowohl Kohl als auch Merkel auf die Kanzlerkandidatur verzichtet hatten, um danach die Hitparade der längst dienenden Regierungschefs anzuführen.