Das Ende eines linken Experiments
Deutschland. Das Verfassungsgericht kippt den Berliner Mietendeckel. Die Stadt habe ihre Kompetenzen überschritten. Vielen Berlinern drohen nun Nachzahlungen.
Berlin. Der gestrige 15. April dürfte in die Geschichte der Stadt Berlin eingehen. „Einen schwarzen Tag für die Mieter“nannte ihn die SPD. Als Freudentag empfand ihn die Immobilienwirtschaft. Denn an diesem 15. April wurde ein deutschlandweit einmaliges Experiment beendet: Das Verfassungsgericht in Karlsruhe kippte den Mietendeckel. Das Land Berlin habe seine Kompetenzen überschritten, weil Mietrecht Bundessache ist.
Das Scheitern des Experiments werden Hunderttausende Berliner in der Geldbörse spüren. Da sie künftig wieder mehr Miete bezahlen müssen, aber auch, weil nun vielfach Nachzahlungen drohen. Denn Berlin hatte nicht nur die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre eingefroren, sondern später, im Vorjahr, auch Senkungen der Mieten verlangt – und zwar überall dort, wo sie 20 Prozent über der Höchstgrenze lagen.
Der größte Vermieter, Deutsche Wohnen, kündigte an, sich den Differenzbetrag wieder zurückzuholen. Im Schnitt gehe es um 430 Euro pro Betroffenem. Der Immobilienkonzern Vonovia will indes auf Nachforderungen verzichten.
In einer Umfrage gab nur jeder Vierte an, für eine mögliche Nachzahlung Geld zur Seite gelegt zu haben. Der vom Verfassungsgericht düpierte Senat versprach Lösungen für Härtefälle, die nun in Zahlungsnot geraten könnten.
Bauen versus deckeln
Der Richterspruch platzt auch in das Superwahljahr 2021. Nicht nur der Bund, sondern auch Berlin wählt im Herbst. Das Thema Wohnen könnte da wie dort zu den heißen Eisen zählen. SPD-Vizeparteichef Kevin Kühnert drängte auf einen bundesweiten Mietendeckel. CSU-Innenminister Horst Seehofer sprach von einem „völlig falschen Weg“. Gegen Wohnungsknappheit helfe nur „bauen, bauen, bauen!“
Kurzer Rückblick: Die rot-rotgrüne Stadtregierung war in der Debatte um bezahlbaren Wohnraum immer auch Getriebene, weil es in Berlin massiven Zulauf für ein Volksbegehren gibt, das große Immobilienkonzerne enteignen will.
Berlin ist voll mit Geschichten von Mietern, die unsanft aus ihren Wohnungen gedrängt wurden, und die sogenannte Gentrifizierung, die Vertreibung von alteingesessenen Berlinern aus ihren Grätzeln, aus ihren Kiezen, ein Dauerthema. RotRot-Grün antwortete. Es setzte einen Mietendeckel auf die Hauptstadt – und sich damit über rechtliche Bedenken hinweg, die es von Anfang an gegeben hatte.
Der Mietendeckel polarisierte aber nicht nur wegen juristischer Erwägungen. Sondern auch Ökonomen warnten. Zwar senkte der Deckel erstmals seit Jahren die Berliner Bestandsmieten. Aber die Nebenwirkungen waren gravierend. Das Angebot an Mietwohnungen verknappte sich dramatisch, so, wie es Experten prophezeit hatten. Die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen wurden länger, die private Bautätigkeit weniger.
Wer in Berlin noch eine Wohnung fand, unterschrieb Mietverträge, in denen oft auch eine dramatisch höhere Schattenmiete festgelegt wurde – für den Fall, dass das Verfassungsgericht den Mietendeckel kippt. So wie es jetzt passiert ist.