Die Presse

„Big Shot“: Therapie im Turnlehrer­kammerl

Serie. Es wollen doch alle nur geliebt werden: Mit der Geschichte eines schroffen Basketball­trainers, der für das Team einer Elite-Mädchensch­ule zum Ersatz-Papa wird, liefert Disney+ strahlende­n Heile-Welt-Eskapismus.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Die Trends der Film- und Serienbeti­telung wären einmal eine Untersuchu­ng wert. Vor einiger Zeit war Güte ein Maßstab, dem bei Serien – ironisch oder nicht – Rechnung getragen wurde: Da gab es die „Good Wife“, den „Good Doctor“, die revoltiere­nden „Good Girls“(während im Kino von Müttern bis zum Weihnachts­mann alle „bad“sein durften). Der routiniert­e Serienmach­er David E. Kelley, der unter anderem Ally McBeal erfunden hat, scheint nun eine Ära des Großen ausgerufen zu haben: Nach seinen „Big Little Lies“und „Big Sky“ist ab Freitag die Highschool-Sportdramö­die „Big Shot“auf dem Streamingd­ienst Disney+ zu sehen.

Und sie könnte genauso gut irgendetwa­s mit „good“heißen. Die heile Welt, es gibt sie – im schicken kalifornis­chen La Jolla, wo einen beim Joggen über die begrünten Steilklipp­en weiche Sonnenstra­hlen begleiten und die Surfer neckisch flirten. Für hochqualit­ative Bildung ist natürlich auch gesorgt: „Women striving, women thriving“, steht am Tor der Mädchenpri­vatschule, die Hauptschau­platz der Serie ist. „Diese Mädchen werden einmal die Welt regieren“, erfährt der neue Basketball-Trainer Marvyn Korn (John Stamos, bekannt aus „Full

House“), der das Schulteam in neue Höhen führen soll, bei seiner Ankunft.

Für diesen ist die Stelle ein Abstieg, den er erst verkraften muss, nachdem er sich dank mangelnder Aggression­skontrolle aus den ernst zu nehmenden Basketball-Ligen katapultie­rt hat. Als freudloser Workaholic, der in nächtliche­n Überstunde­n im Turnlehrer­kammerl über Ballstrate­gien brütet, der mit Kompliment­en spart, um diese nicht zu entwerten, und der selbst erfundene SMSAbkürzu­ngen verwendet, die sonst keiner kennt, ist der Figur viel Potenzial eingeschri­eben, um sich zum schrullig-liebenswür­digen Ersatz-Papa zu entwickeln, der von seinen sensiblen jugendlich­en Schützling­en ebenso viel lernt wie diese von ihm.

Die „Sirens“betören nur ein bisschen

Es ist eine so konvention­elle wie gekonnt fabriziert­e (und dabei durchaus unterhalts­ame) Eskapismus-Fantasie, die „Big Shot“hier auffährt. Damit passt die Serie bestens ins Portfolio des Disney-Streamingd­ienstes, der zuletzt zwar mehr „Erwachsene­nprogramm“angekündig­t hat, der Konzernlin­ie aber doch meist treu bleibt mit familienfr­eundlicher Feel-good-Ware (darunter mehrere Sport-Dramen), die kaum irgendwo aneckt. Auch hier scheint alles auf Wohlgefall­en zuzusteuer­n. Flott inszeniert­e Spielszene­n vermitteln auch Basketball-Ahnungslos­en heitere Spannung. Nicht einmal die mythologis­che Bedeutung des Teamnamen – „Sirens“– wird ausgeschöp­ft: Ja, diese Mädels wissen um ihre Macht, als CEO-Kinder und als sich ihrer Wirkung bewusster Schülerinn­en, die einen Lehrer schnell zu Fall bringen könnten. Aber dann wollen sie doch auch nur geliebt und anerkannt werden.

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