Hundert Jahre Sinnlosigkeit
Mögliche Worte von Prinz Philip: „Die Welt, elender Österreicher, ist ein Märchen, erzählt von einem Narren – bedeutend nichts.“
Wer würde es einem Schauspieler verübeln, der für eine Rolle in einer tragischen Farce des absurden Theaters, wie es etwa Ionesco entwickelt hat, engagiert worden ist, dass er diese so perfekt wie möglich verkörpert, streng den Regieanweisungen gehorchend, nicht gerade die Hauptrolle, aber die beste männliche Nebenrolle?
Würde man ihn allen Ernstes fragen, ob die Rolle „Spaß gemacht hat“und ob sie „sinnvoll gewesen ist“? Nun, gerade läuft mit großem Erfolg die x-te Staffel einer Netflix-Serie, die dem Genre des absurden Theaters zuzuordnen ist, in einem Hochsicherheitsgefängnis namens „Buckingham Palace“spielt, den Arbeitstitel „Die Nichtstuer“trug und nun „The Crown“heißt. Theaterexperten sind sich einig, dass am Script als Ghostwriter sowohl Eug`ene Ionesco als auch William Shakespeare mitgearbeitet haben.
Können Tote antworten?
In dem absurden Theaterstück tritt eine Figur auf, die eigentlich Kommandeur eines Kriegsschiffes werden will, aber eine „Thronfolgerin“heiratet, „70 Jahre lang zwei Schritte hinter ihr gehen, eine Million Blumenschauen eröffnen und in den ehemaligen Kolonien einige Hundert Eingeborenentänze wohlwollend betrachten muss“und dann mit knapp hundert Jahren stirbt. Die Figur heißt „Prinz Philip“, und post mortem erfährt die erstaunte Welt, dass ein österreichischer Kolumnist per du mit ihr war. Denn der fragt die Figur ins Jenseits amikal, ob es Spaß gemacht hat, ob es ein sinnvolles Leben war.
Man meint gemeinhin, Tote können nicht antworten. Da ich aber die Fähigkeit habe, Stimmen aus dem Jenseits zu empfangen, will ich Prinz Philips posthume Antwort hier gern hinterbringen: „Nein, es hat überhaupt keinen Spaß gemacht! Es war überhaupt nicht sinnvoll! Das Leben meiner Frau zwei Schritte vor mir hat übrigens genauso wenig Sinn. Und die Existenzen all der Pinguine aus aller Herren und Damen Länder, die wir zu langweiligen Palastabendessen empfangen, ob gewählt oder gekrönt, sind ebenso sinnlos. Wir sind dazu da, unsere Sinnlosigkeit begaffen zu lassen von all den Millionen und Milliarden Sinnlosen auf der Welt, damit sie ihre eigene Sinnlosigkeit ertragen. Das ist ein großer Dienst. Der Welt entsag ich, und vor eurem Antlitz streif ich mein großes Leid. Die Welt, elender Österreicher, ist ein Märchen, erzählt von einem Narren, voll Lärm und Wut – bedeutend nichts.
Seine Figuren besitzen nichts als ihre Gewissensbisse, ihre Misserfolge und die Leere ihres Lebens. Wesen, die von abwesendem Sinn umgeben sind, können nur grotesk sein. Ihr Leiden kann nur eine Tragik sein, die zum Spott herausfordert. Weil sie die Welt nicht verstehen, warten sie darauf, dass man sie ihnen erklärt. Und wenn sie nicht gestorben sind, warten sie noch heute. So lang sich der Staat aus Figuren ohne echte Befugnisse zusammensetzt, braucht er an seiner Spitze formale Repräsentationsfiguren ohne echte Befugnisse, denen 100 Jahre langweilig ist. Das Leben ist nicht dazu da, dass es Spaß macht oder Sinn hat. Das Leben ist dazu da, dass man es hinter sich bringt. Der Autor spricht: ,Ich flehe Sie an, dienen Sie dem Stück, schwächen Sie nicht seine Effekte. Beim Schauspieler hat man lediglich auf den Knopf zu drücken, der ihn in Gang bringt. Sagen Sie ihm immer wieder, er soll nicht auf halber Strecke aufgeben. Er soll bis zum Ende durchhalten. Große Tragödie und beißender Spott sind nötig!‘ Übrigens, Österreicher, haben mir Shakespeare, Beckett und Ionesco grad ein bisserl souffliert, und jetzt gemma was trinken!“
Egyd Gstättner (* 1962) studierte Germanistik und Philosophie. Er ist Schriftsteller und Essayist. Zuletzt erschien „Mein Leben als Hofnarr“(Picus-Verlag).
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