Es wird wieder stark aufwärts gehen
Die Bedeutung der Tiroler Industrie ist der Bevölkerung zu wenig bewusst, bedauert IV-Tirol-Präsident Christoph Swarovski im Interview.
Herr Swarovski, die Industrie ist mit rund 23 Prozent des regionalen BIP wirtschaftlich um einiges bedeutender als der Tourismus. Im Fremdenverkehrsland Nummer eins ist das erstaunlich und kaum bekannt. Wieso ist das so?
Die wahrgenommene Bedeutung des Tourismus ist durch die zahlreichen Tourismusbetriebe in unserem Land deutlich stärker, als es sachlich gerechtfertigt ist. Durch die Hotels, die Skigebiete, die zahlreichen Restaurants, aber auch durch die vielen Touristen im Land gibt es mit dem Tourismus einfach viel mehr Berührungspunkte wie mit den Industrieunternehmen. Genau aus diesem Grund setzen sich auch mediale Berichterstattungen häufiger mit dem Tourismus als mit Industrie auseinander. Das nutzt der Industrie, weil sie weitgehend unumstritten ist, schadet ihr aber auch, weil die Bedeutung den Menschen zu wenig bewusst ist.
Tirol hat eine starke touristische Marke, die international sehr bekannt ist. Die neu geschaffene Lebensraum Tirol GmbH hat den Auftrag, die Marke Tirol auch mit tourismusfremden Bereichen aufzuladen. Ist dieser Plan für die Exportbemühungen der Tiroler Industrie förderlich?
Industriekunden bewerten die von ihnen bezogenen Produkte in erster Linie nach Qualität und Preis und weniger nach ihrer Herkunft. Ein über Jahre aufgebautes Vertrauen der Kunden in diese Eigenschaften kommt häufig in einer starken Marke zum Ausdruck. Wenn es gelingt, mit der Marke Tirol auch diese Qualitäts- und Preisführerschaft in Verbindung zu bringen, könnte das auch den hier ansässigen Unternehmen im Export helfen. Ich stelle mir das allerdings als sehr schwierig vor, denn dies setzt eine sehr homogene „Wertestruktur“voraus. Wichtig und zudem mit einer Attraktivierung der Marke Tirol durchaus erzielbar wäre, dass Menschen gerne nach Tirol zum Arbeiten kommen. Neben attraktiven Arbeitsplätzen muss dafür das Angebot in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung und erschwinglicher Wohnraum den Bedürfnissen und Erwartungen entsprechen. Die hohe Lebensqualität die sich unter anderem aus den Faktoren Sicherheit, Wohlstand und Schönheit unseres Landes mit seinen zahlreichen Freizeitmöglichkeiten ergibt, ist dann sicher ein gutes Zusatzargument.
Tirol hat hohe Personalkosten, die Flächen sind beschränkt und teuer. Keine guten Voraussetzungen für die Industrie. Warum ist Tirols Industriesektor trotzdem erfolgreich?
Den Erfolg der Tiroler Industrie machen vorrangig die hochqualifizierten, motivierten und loyalen Mitarbeiter in unseren innovationsstarken Unternehmen aus. Zudem haben die vielen Familienbetriebe eine starke Bindung zu dem Standort und spüren eine besondere Verantwortung für die Arbeitsplätze im Land. Die Unis und Fachhochschulen unterstützen bei Forschung und Entwicklung. Damit konnten wir allfällige Nachteile bisher immer ganz gut ausgleichen.
Was sind die Wünsche der Tiroler Industrie an die Standortpolitik?
Ganz allgemein benötigen Unternehmen, um erfolgreich sein zu können, immer ein der Wirtschaft grundsätzlich positiv gesonnenes Umfeld. Für eine solche wirtschaftsfreundliche Stimmung sind die Politik und die Gesellschaft und damit schlussendlich wir selbst verantwortlich. Die Vermeidung von wettbewerbsverzerrenden Belastungen durch – im Vergleich zu konkurrierenden Produktionsstandorten–, höhere Abgaben und Steuern, aber auch durch mehr Bürokratie ist dabei ein zentrales Anliegen. Das Sozialsystem muss sicherstellen, dass es zielgerichtet jenen hilft, die es wirklich brauchen. Gleichzeitig muss offensichtlich erkennbar sein, dass Arbeiten jedenfalls deutlich attraktiver ist als der Empfang von Sozialhilfe. Das Wichtigste ist und bleibt die Bildung als Grundlage für Arbeit und Wohlstand im Land.
Welche Bedeutung hat die Breitbandinitiative des Landes Tirol für die Industrie?
Leistungsfähige Datenanbindungen sind entscheidend für die Nutzbarmachung der vielen Möglichkeiten der Digitalisierung. Das „Internet of Things“, die Blockchaintechnologie, Cloudanbindungen und viele andere Technologien sind nicht mehr Zukunftsmusik, sondern finden real statt. Die Bereitstellung möglichst aktueller Informationen und die dafür erforderlichen Datenleitungen sind der Lebensnerv der Wirtschaft. Es ist eine Abwägung der Vor- und Nachteile, welche Initiativen man wann und wie umsetzt.
Die Arbeitslosenzahlen steigen durch die Pandemie. Findet Tirols Industrie derzeit leichter Fachkräfte oder bleibt der Facharbeitermangel akut? Wie sieht es bei den Lehrlingen aus?
Die meisten Industriebetriebe sind noch nicht wieder am Niveau vor der Krise, und auch wenn sich am Arbeitsmarkt die Situation für fachkräftesuchende Betriebe etwas entschärft zu haben scheint, so sind diesbezüglich die Herausforderungen mittel- und langfristig die gleichen geblieben. Wir sind weiterhin sehr bemüht, um die benötigten Fachkräfte ins Land zu bekommen. Nach einer Umfrage der IV werden die Unternehmen nicht weniger Lehrlinge einstellen, als dies vor der Krise geplant war. Die Aussichten auf gute Jobs in der Industrie sind gut, und wir können junge Menschen nur dazu ermuntern, die Chancen auch wahrzunehmen.
Es herrscht derzeit Auszeit zwischen Tiroler und bayrischer Landesregierung. Wirkt sich dieser Konflikt auch auf die Industrie aus?
Wenn LKW an der Grenze stehen und nicht rechtzeitig zu den Unternehmen oder Pendler nicht an ihren Arbeitsplatz kommen, dann hat das teils gravierend negative Auswirkungen auf die Betriebe. Das bestätigt auch eine gemeinsame Umfrage von IV und Wirtschaftskammer ganz deutlich. Es wäre höchste Zeit, dass wir gemeinsam Lösungen im Sinne der Bevölkerung und der Wirtschaft finden, anstatt uns gegenseitig an der Grenze zu behindern.
Welche Prognose wagen Sie für 2021 für die Industrie in Tirol zu stellen? Gibt es positive Entwicklungen durch die Corona-Krise?
Die Industrie hat das Vorkrisenniveau abgesehen von ein paar Ausnahmen noch nicht wieder erreicht. Wenn aber die Pandemie unter Kontrolle gebracht werden kann, dann deutet vieles darauf hin, dass es wieder stark aufwärts geht. Die Krise hat in den Unternehmen die Digitalisierung rasant beschleunigt, und wir haben gelernt, dass unsere Reisetätigkeit sehr eingeschränkt werden kann. Es wird in Zukunft wichtig sein, einige Hygienemaßnahmen, die wir uns angewöhnt haben, aufrechtzuerhalten. Damit werden unsere Betriebe auch krankheitsbedingte Mehrkosten – etwa durch Grippewellen – deutlich reduzieren können.
Nach der Einigung auf durchgängig englischsprachige Bildungsangebote – vom Kindergarten bis zur Universität – an der ISK in Kufstein fordern Sie ein ähnliches Angebot im Zentralraum Innsbruck. Wie weit ist diese Offensive gediehen, wie bringt sich die IV ein?
Wir sind sehr dankbar für das Erreichte in Kufstein. Zum Standort im Zentralraum Innsbruck gibt es ein grundsätzlich gemeinsames Verständnis, dass es so ein Angebot auch hier braucht, und es wird daran auch mit Nachdruck gearbeitet. Das Einsetzen eines Koordinators durch das Land trägt wesentlich dazu bei, dass man diese Initiative auch zu einem erfolgreichen Ende führen kann.
Besides Corona – welche Themen brennen Ihnen aktuell in Bezug auf die Tiroler Industriebetriebe noch unter den Nägeln?
Die richtigen und ausreichend Fachkräfte zu bekommen, bleibt eine der zentralen Herausforderungen. Es muss uns in Zukunft noch mehr gelingen, junge Menschen für die Arbeit in der Industrie zu begeistern. Dazu muss der Stellenwert der Lehre in der öffentlichen Wahrnehmung weiter steigen. Die Digitalisierung macht es auch notwendig, dass Fachkräfte in allen Bereichen und in allen Altersstufen weitergebildet werden. Dafür müssen die richtigen Angebote geschaffen werden. Eine der zentralen Fragen ist die Bewältigung der Klimakrise. Wir müssen das offensiv und positiv angehen, und die Industrie muss als Teil der Lösung erkannt und nicht fälschlicherweise als das Problem gesehen werden.
Wie kann Tirol im internationalen Wettbewerb stärker werden, auf welche Kompetenzen und Branchen sollte sich die Industrie bei uns Ihrer Meinung nach konzentrieren? Welche Visionen haben Sie für die Tiroler Industrie?
Im Vergleich mit Konkurrenten im Ausland haben unsere Betriebe am Wirtschaftsstandort Tirol/Österreich viele Vor-, aber auch einige Nachteile. Daran, dass viele Unternehmen im internationalen Wettbewerb erfolgreich und konkurrenzfähig sind, lässt sich aber die per Saldo hohe Qualität des Standortes erkennen. Dass dies auch so bleibt und wir auch künftig hierzulande Arbeitsplätze schaffen können, das ist mit eine der wesentlichen Aufgaben der IV. Insbesondere die hohe Steuerlast, aber auch der bürokratische Aufwand sind Bereiche, die optimiert werden sollten. Aber das ist keine neue Erkenntnis! Zudem müssen wir es schaffen, die besten Voraussetzungen für Bildung, aber auch das alltägliche Leben – vom Wohnen bis zur Kinderbetreuung – zu bieten. Die Vision: In Tirol arbeiten die besten Köpfe in einer innovations- und leistungsfördernden Umgebung und erhalten unser Land in Wohlstand, Sicherheit und sozialem Frieden.