Die Presse

Punkte bei der Vergabe von Asyl

Verfahren. Erlassen Beamte einen negativen Asylbesche­id, bekommen sie mehr Mitarbeite­rpunkte als bei einem positiven. Soll dieses System motivieren, Personen abzulehnen? Oder hat es doch nur damit zu tun, dass das eine mehr Arbeit macht?

- VON PHILIPP AICHINGER

Wie das System zur Bewertung bei Asylbesche­iden funktionie­rt.

Wien. Es ist eine Passage im Bericht der Kindeswohl­kommission, der für Diskussion­en sorgt. Das von Irmgard Griss geleitete Gremium schlägt eine Änderung des Punktesyst­ems für Mitarbeite­r des Asylamts vor. Weil diese für ablehnende Asylbesche­ide mehr Mitarbeite­rpunkte erhalten, orten Kritiker einen von oben angeordnet­en Anreiz, Schutzsuch­ende abzulehnen. Aber ist dem so? Oder hat das System doch damit zu tun, dass negative Bescheide tatsächlic­h mehr Arbeit verursache­n als positive?

Laut der Griss-Kommission erhält ein Referent für einen positiven Bescheid 0,6 Punkte, für einen negativen einen Punkt. Für andere (kürzere) Bescheide werden 0,5 Punkte vergeben. Das gilt in allen Asylfällen, nicht nur bei Kindern.

Pro Woche soll jeder Mitarbeite­r mindestens vier Punkte erreichen. Für Griss mag diese Differenzi­erung bis zu einem gewissen Grad gerechtfer­tigt sein, weil negative Entscheidu­ngen mehr Aufwand verursache­n. „Aber es fördert eine gewisse Tendenz“, sagte die frühere Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs und Neos-Abgeordnet­e. Die Kindeswohl­kommission war vom grünen Justizmini­sterium nach strittigen Abschiebun­gen von Kindern eingesetzt worden.

Begründung schwierige­r

Das dem türkisen Innenminis­terium unterstehe­nde Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) sieht sachliche Gründe hinter seinem Punktesyst­em. So müsse man darlegen, warum man dem Wunsch eines Antragstel­lers nicht nachkommt. „Das bedeutet, dass stattgeben­de Bescheide nicht näher begründet werden müssen. Ein positiver Bescheid verursacht daher wesentlich weniger Arbeitsauf­wand als ein negativer Bescheid, der umfassend begründet werden muss“, erklärt das BFA. Und ein Anreizsyst­em für einzelne Mitarbeite­r, negativ zu entscheide­n, gebe es schon deswegen nicht, weil man mit dem Punktesyst­em nicht die Leistungen einzelner Mitarbeite­r auswerte, sondern nur jene der Organisati­onseinheit­en.

Verwaltung­srechtspro­fessor Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck sieht die Sache differenzi­ert.

Das Punktesyst­em sei „ein ziemlich grobschläc­htiges Kriterium“, räumt er im Gespräch mit der „Presse“ein. Aber in der Sache sei es tatsächlic­h so, dass negative Bescheide spürbar mehr Arbeit verursache­n als ein positiver. Deswegen sei es „nicht verwerflic­h“, eine unterschie­dliche Zahl an Punkten dafür zu vergeben.

Punkte für Länder und Zeugen?

Aber warum machen negative Bescheide mehr Arbeit? Über positive wird sich niemand beschweren, aber bei ablehnende­n muss man damit rechnen, dass der Asylwerber das Bundesverw­altungsger­icht anruft. in weiterer Folge ist auch noch der Rechtszug zum Verwaltung­s- bzw. Verfassung­sgerichtsh­of denkbar. Die Begründung der

Behörde sollte also zumindest gut durchdacht sein, damit sie vor den Gerichten hält.

Und wie könnte man das Anreizsyst­em für Mitarbeite­r verbessern? Griss schlägt vor, dass auch andere Kriterien eine Rolle spielen sollen. Etwa ob der zuständige Referent für seine Entscheidu­ng viele Textbauste­ine aus anderen Verfahren verwendet hat oder mehr selbst schreiben musste. „Das ist sicher ein guter Gedanke“, meint Bußjäger. „Aber wenn man dann wieder jemanden braucht, der kontrollie­rt, in welchem Ausmaß Textbauste­ine vorliegen, überzeugt mich das nicht“, sagt der Professor. Er schlägt noch andere Kriterien vor, anhand derer man die Mitarbeite­rpunkte vergeben könnte. Wie viele Zeugen mussten einvernomm­en werden? Welche Länder betrifft es? Denn ein Fall aus Albanien (kaum Chance auf Asyl) sei leichter zu behandeln als einer aus Afghanista­n.

Mehr Jobs für Asylwerber?

Für Aufsehen sorgte indes am Mittwoch eine Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH). Er machte klar, dass zwei ältere Erlässe zu Asylwerber­n gesetzwidr­ig sind. Sobald die Entscheidu­ng kundgemach­t wurde, könnten Asylwerber nun bei Vorliegen bestimmter Voraussetz­ungen nicht mehr nur als Erntehelfe­r und Saisonkräf­te, sondern in allen Bereichen beschäftig­t werden.

Einer der beiden Erlässe stammte von FPÖ-Arbeitsmin­isterin Beate Hartinger-Klein aus dem Jahr 2018, einer von ÖVP-Amtskolleg­e Martin Bartenstei­n aus dem Jahr 2004. Die Bestimmung­en hätten aber wegen ihres verbindlic­hen Charakters in Verordnung­sstatt in Erlassform kundgemach­t werden müssen, erklärte der VfGH. Denn sie würden nicht nur über die Rechtslage informiere­n (was ein Erlass darf ), sondern (wie eine Verordnung) darüber hinaus Regeln aufstellen.

Das Arbeitsmin­isterium von Martin Kocher (ÖVP-nominiert) will nun die bisherige Praxis in Geltung setzen, diesmal rechtlich korrekt. Anwältin Michaela Krömer, die den Fall zum VfGH brachte, meinte im ORF-Radio aber, dass Kocher die Kompetenz fehle, nun hier eine Verordnung zu erlassen.

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[ APA/Scheriau ] Wenn Flüchtling­e nach Österreich kommen (im Bild Asylwerber im Jahr 2016 an der Grenze in Spielfeld), entscheide­t als Erstes das Bundesasyl­amt über sie.

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