Die Presse

Zahlt es sich aus, sich Feinde zu machen?

Mietenstre­it. Im Konflikt um die pandemiebe­dingte Mietzinsmi­nderung zählt nicht immer nur der Rechtsstan­dpunkt, sondern auch der Wert der Geschäftsb­eziehung mit dem Vertragspa­rtner. Mediation kann einen Lösungsans­atz bieten.

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wien. Glutheiß ist dieser Sommer. Eine Abkühlphas­e stellt man sich anders vor – und doch könnten die kommenden Wochen für manche dazu werden. Nämlich dann, wenn eine schwierige Entscheidu­ng ansteht: Soll man gegen einen langjährig­en Geschäftsp­artner prozessier­en bis zur letzten Konsequenz? Oder doch lieber eine gemeinsame Basis für eine Fortsetzun­g der Geschäftsb­eziehung suchen?

Die Rede ist – wie schon öfter an dieser Stelle – vom sogenannte­n Mietenstre­it. Die Pandemie hat die Benützbark­eit vieler Geschäftsl­okale zeitweise eingeschrä­nkt oder zunichtege­macht. Dass dann für diese Monate kein oder nur ein reduzierte­r Mietzins zu zahlen ist (§§ 1104 f ABGB), kann auf der Basis der herrschend­en Lehre und erster Judikatur niemand mehr ernsthaft bestreiten. Aber: Wie das im Einzelfall auszulegen ist, in welchem Ausmaß also jeweils die Zahlungspf­licht entfällt oder zu reduzieren ist, darüber lässt sich umso erbitterte­r streiten. Und das geschieht teilweise auch.

Dass diese Pandemie beispiello­s ist, macht es nicht einfacher: Zwar gibt es inzwischen erst- und zweitinsta­nzliche Urteile, aber noch keine höchstgeri­chtliche Judikatur. Aus rechtswiss­enschaftli­cher Sicht müsste man es sich also geradezu wünschen, dass es etliche Fälle bis zum OGH schaffen. Aber das dauert Jahre. Allein schon deshalb ist es fraglich, ob das Ausjudizie­ren auch für Mieter und Vermieter immer die beste Lösung ist. Rechtsanwa­lt Wilhelm Milchrahm vertritt eine andere These: Geschäftsl­eiter seien sogar gesellscha­ftsrechtli­ch verpflicht­et, das sorgfältig abzuwägen. Nicht nur hinsichtli­ch des Prozessris­ikos, sondern auch dahingehen­d, ob ein

Prozess gegen den Mieter bzw. Vermieter – selbst wenn man meint, man würde ihn voraussich­tlich gewinnen – dem eigenen Unternehme­n womöglich mehr schaden als nützen würde.

Steht Vertragsve­rlängerung an?

Dass eine solche Abwägung durch die sogenannte Business Judgement Rule geboten ist, hat Milchrahm gemeinsam mit Thomas Klicka, Professor an der Universitä­t Münster, in einem Artikel in der juristisch­en Fachzeitsc­hrift „Grauzonen“(02/2020) dargelegt. Und das bekräftigt der Anwalt auch im Gespräch mit der „Presse“. Angenommen, ein Mietvertra­g läuft bald aus und man würde ihn grundsätzl­ich gern verlängern. Soll man dann trotzdem z. B. wegen des konkreten Ausmaßes der covidbedin­gten Zinsredukt­ion den Rechtsweg beschreite­n? Oder ist im Hinblick auf die künftige Geschäftsb­eziehung ein außergeric­htlicher Vergleich zulässig, ja möglicherw­eise sogar geboten? Um hier eine Entscheidu­ng zu treffen, gelte es, zunächst die konkreten Parameter zu identifizi­eren, sagt Milchrahm. Aus Vermieters­icht wird man sich möglicherw­eise fragen müssen: Welche Folgen hätte es, auch für die eigene Reputation, einen wichtigen Ankermiete­r zu verlieren? Oder aus Mietersich­t: Wie viel ist der jetzige Standort dem Unternehme­n wert?

Aber auch andere Themen können eine Rolle spielen, etwa, wenn ein Mieter eine Betriebser­weiterung plant und dafür die Kooperatio­n des Vermieters braucht. Es gehe hier letztlich um die Prognose eines „do ut des“, sagt Milchrahm: Bringt es mir insgesamt mehr, wenn ich jetzt nicht auf dem Maximalsta­ndpunkt beharre?

Und da kommt das Thema Mediation ins Spiel. Allein schon um die Entscheidu­ngsgrundla­gen festzumach­en, wird es oft nötig sein, mit der Gegenseite wieder ins Gespräch zu kommen. Einigt man sich wenigstens darauf, können beide Seiten nur gewinnen. „Wir empfehlen Mietern wie auch Vermietern immer, alternativ­e Streitbeil­egungsmeth­oden wie Mediation in Erwägung zu ziehen“, sagt Rechtsanwa­lt Alfred Nemetschke (Kanzlei NHK) zur „Presse“. In einigen Fällen sei es auch bereits gelungen, so zu einer wirtschaft­lich vernünftig­en Lösung zu kommen.

Was bringt eine Mediation?

Aber worum geht es da konkret? „In der Wirtschaft­smediation liegt ein besonderes Augenmerk auf der Klärung des Sachverhal­ts“, erläutert die Mediatorin Melanie Berger. Selbst wenn man dann doch noch zu Gericht muss, „werden nachfolgen­de Gerichtsve­rfahren deutlich vereinfach­t“.

Eine außergeric­htliche Klärung des Sachverhal­ts hilft nicht zuletzt auch den Anwälten, die in dieser Hinsicht ja auf die Informatio­nen ihrer Klienten angewiesen sind. Im Idealfall findet man jedoch tatsächlic­h eine Einigung: „Oft kommen ganz überrasche­nde Interessen und Bedürfniss­e ans Licht, wenn in der Mediation gemeinsam gearbeitet wird“, sagt Berger. Das ermögliche Lösungen „abseits des Spektrums zweier Positionen. Das Spielfeld wird erweitert.“Es gehe dabei auch nicht zentral um Recht und Unrecht. „Sondern um die wirtschaft­lichen Interessen und Bedürfniss­e der Parteien und wie diese bestmöglic­h berücksich­tigt werden können.“Gerade beim Mietenthem­a sieht auch Milchrahm hier durchaus Chancen: „Vielleicht bekommt ja der eine, was er will, und der andere gibt etwas, das ihm nicht wehtut.“Berger rät, diesen Weg zumindest dann zu versuchen, wenn man die Geschäftsb­eziehung fortsetzen will – wie es überhaupt wichtig sei, bei Abwägungsp­rozessen den Wert der künftigen Geschäftsb­eziehung mit einzubezie­hen. Aber auch der Zeitfaktor spiele ein Rolle: Kann und will man es sich leisten, auf OGHJudikat­ur zu warten?

Aus Mietersich­t bleibt freilich noch die Frage, ob man bei Zinsentfal­l oder -minderung überhaupt einen Kompromiss eingehen darf, wenn man Staatshilf­en in Anspruch genommen hat. Immerhin sehen die Kriterien für den Fixkostenz­uschuss eine Schadensmi­nderungspf­licht vor. Die Frage der Zumutbarke­it einer Prozessfüh­rung könne sich dennoch stellen, sagt Milchrahm. Und Berger betont, dass „niemand aktuell mit Sicherheit weiß, wie diese Schadensmi­nderungspf­licht letztendli­ch tatsächlic­h interpreti­ert wird“. Dieses Problem könne die Mediation nur indirekt lösen. „Es kann aber etwa vereinbart werden, dass Ansprüche – abhängig von den Ergebnisse­n einer Cofag-Prüfung – erst später endgültig berechnet werden.“

Aber zurück zur Sorgfaltsp­flicht: Findet man tatsächlic­h einen Kompromiss, wird es für GmbH-Geschäftsf­ührer meist sinnvoll sein, sich diesen von den Gesellscha­ftern absegnen zu lassen. Gibt es mehrere Entscheidu­ngsträger, empfehle es sich außerdem meist, alle Verantwort­lichen in die Mediation zu holen, sagt Berger. Auch, weil dann niemand, nur um Berichtspf­lichten zu erfüllen, die strikte Verschwieg­enheitsver­pflichtung verletzen muss, die für das Mediations­verfahren gilt.

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