Sommer der Freiheit in den USA
Reportage. In der Metropole blüht das Leben nach der Corona-Katastrophe des Vorjahrs wieder auf. Viele New Yorker sind wieder in ihre Stadt zurückgekehrt. New York pulsiert vor Energie. Aber noch läuft der Alltag nicht im Normalmodus.
In der Metropole New York blüht das Leben nach den Einschränkungen wieder auf.
New York. In den rumpligen Straßen Manhattans heulen die Sirenen. Doch es ist nicht mehr der jaulende Alarmton wie zum Höhepunkt der Coronapandemie in New York vor 15 Monaten, als im Minutentakt die Ambulanzwagen durch die Stadt jagten, sondern es ist die tägliche Routine der Polizeiautos und Feuerwehrwagen. Der Lärm, das Getöse, das Hupen – alles, was New York ausmacht, ist wieder da. Freaks und Jogger bevölkern die Straßen, 60-jährige Gesichter im Körper von 80-Jährigen flanieren mit ihren Hunden durch die Upper East Side.
Im Straßenbild ist die Krise kaum noch präsent, abgesehen von wenigen Maskenträgern, zumeist chinesische Amerikaner. An ausgewählten Orten wie im angesagten Meatpacking District in Chelsea laden Covid-Stationen in Zelten zum Testen ein. Impfstoff ist in Hülle und Fülle vorhanden. New York feiert einen Sommer der Freiheit, das Leben spielt sich im Freien ab.
Schnelldurchlauf im Museum
Vor den Stufen des Metropolitan Museum an der Fifth Avenue und am Rande des Central Park bläst einer ins Saxofon. Wie eh und je füttern die Foodtrucks die Touristen, die vorwiegend aus dem eigenen Land kommen, mit Hotdogs. Auf den Stufen haben sich die Besucher mit ihren Snacks niedergelassen, über ihnen fädelt sich die Warteschlange auf.
Ganz oben steht der Museumsdirektor, um einen prominenten Besucher aus seiner Heimatstadt Wien in Empfang zu nehmen. Max Hollein begrüßt Sebastian Kurz mit Handschlag zu einem knapp einstündigen Schnelldurchlauf durch sein Reich, das einige Höhepunkte des Hauses versammelt: die ägyptische Sammlung, die Ronald-Lauder-Schau schimmernder mittelalterlicher Rüstungen, die französischen Impressionisten, ein paar Picassos und van Goghs sowie die große Medici-Ausstellung. Zu 60 Prozent, mit bis zu 12.000 Besuchern, sei das Museum wieder ausgelastet, berichtet Hollein.
Seit August 2020 hat das Museum wieder geöffnet. Noch herrscht Maskenpflicht in den Hallen. „Das war für mich auch ein politisches Zeichen.“Für September hofft der smarte Kulturmanager auf die Rückkehr zu völliger Normalität – und das mit „voller Power“, wie er sagt. Die auf 13. September verschobene Met-Gala, ein Highlight des New Yorker Gesellschaftslebens, soll das große Comeback New Yorks einläuten. „Noch fehlen die internationalen Touristen“, konstatiert Hollein. „Die Amerikaner sind aber schon da. In Midtown ist die Party bereits im Gang.“
Die Hotspots sind längst wieder belebt: der Times Square, der Washington Square Park mit dem Campus der New York University als nächtliche Partyzone, die High Line mit neuen Attraktionen wie dem „Vessel“, einem luftigen Gebilde in den Hudson Yards. Und neuerdings „Little Island“, die mit großem Aufwand errichtete und von Milliardär Barry Diller finanzierte künstliche Insel im Hudson River am Pier 55, der einst von Hurrikan Sandy zerstört worden ist. Kindergartengruppen strömen in den Park, in dem ein Amphitheater einen Blick über den Hudson River nach New Jersey bietet.
„Ein New Yorker war nie weg“
Eine Werbekampagne der Stadt lockt Besucher aus Florida, dem Mittleren Westen oder Kalifornien an. Eine Familie aus Kentucky schiebt sich mit Kinderwagen durch die High Line. Das Paar erlebt nostalgische Gefühle in New York, wo es vor 20 Jahren studiert hat. US-Touristen beleben die halb leeren Hotels, viele haben überhaupt noch nicht aufgesperrt. Die Häuser sind noch nicht im vollen Betriebsmodus, und vielfach schulen sie neues Personal ein.
Viele haben New York zu Beginn der Pandemie verlassen, es herrschte eine beinahe gespenstische Stille in mitunter stark verwaisten Vierteln wie auf der Upper
West Side. „Wer nach Florida gegangen ist, ist kein echter New Yorker. Ein echter New Yorker war nie weg“, merkt Max Hollein halb ironisch an. Viele sind indes noch nicht aus dem Home-Office in die großen Bürokomplexe nach Midtown, ins Herz Manhattans, zurückgekommen. „Die Pandemie wird Midtown verändern“, prophezeit Hollein.
„Welcome back in the Garment District“, heißt es im früheren Textilviertel. Vor dem Trump Tower, der Zentrale des Trump-Imperiums an der Fifth Avenue, prangt ein Sternenbanner hinter Glas. Zwei Polizisten stehen sich die Beine in den Bauch. Der Hausherr selbst zieht die Refugien in Florida und New Jersey der Metropole vor. Ob er je wiederkehren wird in eine Stadt, die ihn verachtet?
Inzwischen füllt sich die Stadt, und in einigen Vierteln pulsiert die alte Energie. Überall in Manhattan stehen blaue „Citi-Bike“-Stationen bereit, viele brausen mit den Leihrädern oder E-Bikes über die Radwege mit der grünen Markierung. Die New Yorker haben während der Pandemie im großen Stil das Radfahren entdeckt. Zugleich ist aber auch erneut das Obdachenlosenproblem manifest geworden.
Manche Läden sind noch zugesperrt, die Makler suchen neue Mieter – beispielsweise in der Madison Avenue, der „goldenen Meile“mit ihren Luxusgeschäften. In der Gastronomie hat die Pandemie die Kreativität geweckt und eine Neuerung hervorgebracht: Der Schanigarten hielt Einzug in den Straßen. An jeder Ecke haben die Restaurants behelfsmäßige Holzverschläge mit Dach und Plastikplanen zum Draußensitzen oder auch edle Kojen zusammengezimmert, um die Menschen zum Essen auf der Straße zu animieren.
Schanigärten als Innovation
Edi Fraueneder, der österreichische Sternekoch und Chef des im New Yorker Hipster-Chic eingerichteten Restaurants „Schilling“im Finanzdistrikt in Downtown, formuliert es maliziös: „Die New Yorker müssen jeden Tag essen gehen, sonst verhungern sie. Sie können nicht kochen, die Küchen sind klein.“Er hat daraus Kapital geschlagen: Auf Governors Island, an der Mündung des East River, hat er eine Taco-Bar und einen Biergarten mit 250 Sitzplätzen aus dem Boden gestampft.
Auch das „Schilling“hat vorerst nur abends geöffnet. „Vor September kommen die Leute nicht zurück“, sagt der Wiener, der vor 20 Jahren eingewandert ist, in Anspielung auf das Ende der Sommerferien am Labor Day. Manche raunen vom Restaurantsterben. Fraueneders Devise lautet: „Alles oder nichts.“Die Ungewissheit ist groß. Mit der UN-Generalversammlung, den US Open im Tennis in Flushing Meadows, den Fashion-Shows und der Wiedereröffnung der Broadway-Theater markiert der September in New York indes stets einen saisonalen Neubeginn. Dann wird sich auch die drückende hochsommerliche Schwüle gelegt haben. Trotz aller Härten findet Edi Fraueneder freilich bereits heute: „New York ist schon cool.“