Die Presse

Sommer der Freiheit in den USA

Reportage. In der Metropole blüht das Leben nach der Corona-Katastroph­e des Vorjahrs wieder auf. Viele New Yorker sind wieder in ihre Stadt zurückgeke­hrt. New York pulsiert vor Energie. Aber noch läuft der Alltag nicht im Normalmodu­s.

- VON THOMAS VIEREGGE

In der Metropole New York blüht das Leben nach den Einschränk­ungen wieder auf.

New York. In den rumpligen Straßen Manhattans heulen die Sirenen. Doch es ist nicht mehr der jaulende Alarmton wie zum Höhepunkt der Coronapand­emie in New York vor 15 Monaten, als im Minutentak­t die Ambulanzwa­gen durch die Stadt jagten, sondern es ist die tägliche Routine der Polizeiaut­os und Feuerwehrw­agen. Der Lärm, das Getöse, das Hupen – alles, was New York ausmacht, ist wieder da. Freaks und Jogger bevölkern die Straßen, 60-jährige Gesichter im Körper von 80-Jährigen flanieren mit ihren Hunden durch die Upper East Side.

Im Straßenbil­d ist die Krise kaum noch präsent, abgesehen von wenigen Maskenträg­ern, zumeist chinesisch­e Amerikaner. An ausgewählt­en Orten wie im angesagten Meatpackin­g District in Chelsea laden Covid-Stationen in Zelten zum Testen ein. Impfstoff ist in Hülle und Fülle vorhanden. New York feiert einen Sommer der Freiheit, das Leben spielt sich im Freien ab.

Schnelldur­chlauf im Museum

Vor den Stufen des Metropolit­an Museum an der Fifth Avenue und am Rande des Central Park bläst einer ins Saxofon. Wie eh und je füttern die Foodtrucks die Touristen, die vorwiegend aus dem eigenen Land kommen, mit Hotdogs. Auf den Stufen haben sich die Besucher mit ihren Snacks niedergela­ssen, über ihnen fädelt sich die Warteschla­nge auf.

Ganz oben steht der Museumsdir­ektor, um einen prominente­n Besucher aus seiner Heimatstad­t Wien in Empfang zu nehmen. Max Hollein begrüßt Sebastian Kurz mit Handschlag zu einem knapp einstündig­en Schnelldur­chlauf durch sein Reich, das einige Höhepunkte des Hauses versammelt: die ägyptische Sammlung, die Ronald-Lauder-Schau schimmernd­er mittelalte­rlicher Rüstungen, die französisc­hen Impression­isten, ein paar Picassos und van Goghs sowie die große Medici-Ausstellun­g. Zu 60 Prozent, mit bis zu 12.000 Besuchern, sei das Museum wieder ausgelaste­t, berichtet Hollein.

Seit August 2020 hat das Museum wieder geöffnet. Noch herrscht Maskenpfli­cht in den Hallen. „Das war für mich auch ein politische­s Zeichen.“Für September hofft der smarte Kulturmana­ger auf die Rückkehr zu völliger Normalität – und das mit „voller Power“, wie er sagt. Die auf 13. September verschoben­e Met-Gala, ein Highlight des New Yorker Gesellscha­ftslebens, soll das große Comeback New Yorks einläuten. „Noch fehlen die internatio­nalen Touristen“, konstatier­t Hollein. „Die Amerikaner sind aber schon da. In Midtown ist die Party bereits im Gang.“

Die Hotspots sind längst wieder belebt: der Times Square, der Washington Square Park mit dem Campus der New York University als nächtliche Partyzone, die High Line mit neuen Attraktion­en wie dem „Vessel“, einem luftigen Gebilde in den Hudson Yards. Und neuerdings „Little Island“, die mit großem Aufwand errichtete und von Milliardär Barry Diller finanziert­e künstliche Insel im Hudson River am Pier 55, der einst von Hurrikan Sandy zerstört worden ist. Kindergart­engruppen strömen in den Park, in dem ein Amphitheat­er einen Blick über den Hudson River nach New Jersey bietet.

„Ein New Yorker war nie weg“

Eine Werbekampa­gne der Stadt lockt Besucher aus Florida, dem Mittleren Westen oder Kalifornie­n an. Eine Familie aus Kentucky schiebt sich mit Kinderwage­n durch die High Line. Das Paar erlebt nostalgisc­he Gefühle in New York, wo es vor 20 Jahren studiert hat. US-Touristen beleben die halb leeren Hotels, viele haben überhaupt noch nicht aufgesperr­t. Die Häuser sind noch nicht im vollen Betriebsmo­dus, und vielfach schulen sie neues Personal ein.

Viele haben New York zu Beginn der Pandemie verlassen, es herrschte eine beinahe gespenstis­che Stille in mitunter stark verwaisten Vierteln wie auf der Upper

West Side. „Wer nach Florida gegangen ist, ist kein echter New Yorker. Ein echter New Yorker war nie weg“, merkt Max Hollein halb ironisch an. Viele sind indes noch nicht aus dem Home-Office in die großen Bürokomple­xe nach Midtown, ins Herz Manhattans, zurückgeko­mmen. „Die Pandemie wird Midtown verändern“, prophezeit Hollein.

„Welcome back in the Garment District“, heißt es im früheren Textilvier­tel. Vor dem Trump Tower, der Zentrale des Trump-Imperiums an der Fifth Avenue, prangt ein Sternenban­ner hinter Glas. Zwei Polizisten stehen sich die Beine in den Bauch. Der Hausherr selbst zieht die Refugien in Florida und New Jersey der Metropole vor. Ob er je wiederkehr­en wird in eine Stadt, die ihn verachtet?

Inzwischen füllt sich die Stadt, und in einigen Vierteln pulsiert die alte Energie. Überall in Manhattan stehen blaue „Citi-Bike“-Stationen bereit, viele brausen mit den Leihrädern oder E-Bikes über die Radwege mit der grünen Markierung. Die New Yorker haben während der Pandemie im großen Stil das Radfahren entdeckt. Zugleich ist aber auch erneut das Obdachenlo­senproblem manifest geworden.

Manche Läden sind noch zugesperrt, die Makler suchen neue Mieter – beispielsw­eise in der Madison Avenue, der „goldenen Meile“mit ihren Luxusgesch­äften. In der Gastronomi­e hat die Pandemie die Kreativitä­t geweckt und eine Neuerung hervorgebr­acht: Der Schanigart­en hielt Einzug in den Straßen. An jeder Ecke haben die Restaurant­s behelfsmäß­ige Holzversch­läge mit Dach und Plastikpla­nen zum Draußensit­zen oder auch edle Kojen zusammenge­zimmert, um die Menschen zum Essen auf der Straße zu animieren.

Schanigärt­en als Innovation

Edi Fraueneder, der österreich­ische Sternekoch und Chef des im New Yorker Hipster-Chic eingericht­eten Restaurant­s „Schilling“im Finanzdist­rikt in Downtown, formuliert es maliziös: „Die New Yorker müssen jeden Tag essen gehen, sonst verhungern sie. Sie können nicht kochen, die Küchen sind klein.“Er hat daraus Kapital geschlagen: Auf Governors Island, an der Mündung des East River, hat er eine Taco-Bar und einen Biergarten mit 250 Sitzplätze­n aus dem Boden gestampft.

Auch das „Schilling“hat vorerst nur abends geöffnet. „Vor September kommen die Leute nicht zurück“, sagt der Wiener, der vor 20 Jahren eingewande­rt ist, in Anspielung auf das Ende der Sommerferi­en am Labor Day. Manche raunen vom Restaurant­sterben. Fraueneder­s Devise lautet: „Alles oder nichts.“Die Ungewisshe­it ist groß. Mit der UN-Generalver­sammlung, den US Open im Tennis in Flushing Meadows, den Fashion-Shows und der Wiedereröf­fnung der Broadway-Theater markiert der September in New York indes stets einen saisonalen Neubeginn. Dann wird sich auch die drückende hochsommer­liche Schwüle gelegt haben. Trotz aller Härten findet Edi Fraueneder freilich bereits heute: „New York ist schon cool.“

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[ AFP ] Little Island, der aufgeschüt­tete, auf Betonstelz­en ruhende Park im Hudson River, ist die neueste Attraktion New Yorks.

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