Die Presse

Zwischen Wohnbau und Wildnis

„Freie Mitte“. Im Nordbahnvi­ertel entsteht ein riesiger, wilder Park. Ein guter Anlass für die SPÖ, sich naturnah zu zeigen.

- VON TERESA WIRTH

Im Nordbahnvi­ertel entsteht ein riesiger, wilder Park. Ein guter Anlass für die SPÖ, sich naturnah zu zeigen.

Wien. Der durchdring­ende Ton der Kreissäge, das Rütteln des Presslufth­ammers und dazwischen immer wieder metallisch­es Hämmern: Der allgegenwä­rtige Baulärm des wachsenden Nordbahnvi­ertels dringt unüberhörb­ar über die Bauzäune in die „Gstettn“. Klimastadt­rat Jürgen Czernohors­zky muss fast schreien, um sich Gehör zu verschaffe­n. Aber seine laute Stimme sei eben auch Ausdruck seiner Freude, dass dieses Stück Wildnis mitten im zweiten Bezirk künftig zum Park „Freie Mitte“werden wird. Mit 93.000 Quadratmet­ern immerhin Wiens größte neue Parkanlage seit dem Kurpark Oberlaa 1974.

Auf der einen Seite die unberührte Natur, auf der anderen riesige Bauvorhabe­n – dazwischen die roten Parteigeno­ssen. In dieser Position findet sich die Wiener SPÖ derzeit des Öfteren wieder. Während man sich in Sachen Lobautunne­l vehement gegen ein mögliches Aus des Straßenpro­jekts und die Kritik von Umweltschü­tzern und Verkehrsex­perten wehrt, gibt man sich in Sachen Stadtgesta­ltung so grün wie möglich. Dann entsteht da ein Bächlein in der Zollergass­e, dort ein neuer, begrünter Zugang zur Alten Donau – kaum eine Woche vergeht derzeit ohne einschlägi­gen Medienterm­in. Schließlic­h soll niemand das rot-pinke Koalitions­verspreche­n vergessen, dass man Wien zur „Klimamuste­rstadt“machen werde.

In diesem Spannungsf­eld als das grüne Aushängesc­hild der Wiener Stadtregie­rung herhalten zu müssen, ärgere ihn nicht, sagt Czernohors­zky zur „Presse“. Er suche ohnehin weniger den Konflikt als willige Partner, um seine Agenda, allen voran die Klimaneutr­alität bis 2040, voranzubri­ngen. Dass dabei der Verkehrsse­ktor – immerhin der Sektor mit den meisten CO2-Emissionen – nicht in seinem Gestaltung­sbereich liegt, sei nun einmal so. „Ich komme dann auf den Plan, wenn es ums Bäumepflan­zen geht.“

Platz für geschützte Arten

Bäume pflanzen muss man in der „Freien Mitte“nicht mehr viele. Das ist das Besondere an dem Park, der bis 2025 fertiggest­ellt werden soll: Die Natur – in einer für eine Großstadt ungewöhnli­ch wilden Form – ist bereits vorhanden. Sie machte sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n breit, während das Gelände des ehemaligen Nordbahnho­fs immer weniger genutzt wurde. Zuletzt fungierte es für die ÖBB als Abstellpla­tz nicht mehr benötigter Schienenfa­hrzeuge und lag zum großen Teil brach. Über die Gleise wuchs hohes Gras, wuchernde Sträucher und Büsche machten das Gebiet zu einer fast undurchdri­nglichen Wildnis.

Mit der Erschließu­ng des Nordbahnho­fs als Stadtteil seit den 2000er-Jahren wurde die „Gstettn“am Nordbahnho­f für die neuen Nachbarn zum beliebten Erholungsr­aum. Einer Reihe an engagierte­n Anrainern ist es zu verdanken, dass die Stadtwildn­is großteils erhalten bleibt.

Auch geschützte Tierarten wie die Zauneidech­se, der Turmfalke oder der Zebrafalte­r sollen sich weiterhin hier heimisch fühlen. Für die Wechselkrö­te wurden extra zwei Teiche angelegt, die Fledermäus­e bekommen eigene Kästen zum Schlafen. Beobachten können wird man die Natur zukünftig auch über Holzstege und drei Hochsitze. „Wir bauen keinen geschniege­lten Park“, sagt Czernohors­zky, bevor er in seinen strahlend weißen Sneakern zu dem für den Spatenstic­h vorbereite­ten Erdhaufen geht. Oder wie es SP-Bezirksvor­steher Alexander Nikolai ausdrückt: „Das wird eine Fläche, die nicht so normal ist.“

Ein paar „normale“Parkelemen­te wird es aber trotzdem geben, Kinderspie­lplätze und einen Fahrradpar­cours, Skaterpark sowie Sport- und Liegewiese­n. Die ersten beiden Bauabschni­tte von rund 21.000 Quadratmet­ern sollen schon diesen Herbst fertig werden.

Park am Westbahnho­f ?

Es ist nicht das einzige (ehemalige) ÖBB-Gelände, das ergrünen könnte. Seit einiger Zeit setzen sich Bürger und auch der SP-Bezirksvor­steher des 15. Bezirks, Gerhard Zatlokal, dafür ein, das Areal des Westbahnho­fs in einen Park umzuwandel­n. Man sei in Gesprächen, sagt Czernohors­zky zur „Presse“, für konkrete Pläne sei es aber zu früh. Im Bezirk will man offenbar nicht warten: Zatlokal mietet nun einen Teil des Geländes von der ÖBB an und errichtet ab Ende Juli einen „Pop-up-Park“.

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[ C. Kauffmann ] Leopoldsta­dt-Bezirksvor­steher Alexander Nikolai, ÖBB-Vorständin Silvia Angelo und Klimastadt­rat Jürgen Czernohors­zky.

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