Die Presse

Merkels Abschiedsg­ala in Washington

USA. Joe Biden hofierte die deutsche Kanzlerin im Weißen Haus. Sie stellten eine „Washington­er Deklaratio­n“vor. Sebastian Kurz zog derweil in New York seine Kreise.

- VON THOMAS VIEREGGE

New York. Gerade dass das Weiße Haus nicht ein Staatsbank­ett für Angela Merkels Abschiedsb­esuch im Weißen Haus ausrichtet­e. Zwei Tage vor dem 67. Geburtstag der deutschen Kanzlerin und wenige Monate vor ihrem Abgang in die Polit-Pension gab US-Präsident Joe Biden ein Abendessen für Merkel und ihren Mann. Europas dienstälte­ste Regierungs­chefin traf auch Vizepräsid­entin Kamala Harris.

George W. Bush, ihr erster USPräsiden­t, fand Gefallen an Merkels ostdeutsch­er Vergangenh­eit. Jovial klatschte er ihr bei einem G7-Gipfel auf die Schulter, Merkel revanchier­te sich mit Barbecue an der Ostseeküst­e. Nun würdigte Bush ihre „Klasse und Würde“.

Bei Barack Obama entwickelt­e sich die Beziehung anfangs schwierig, weil sie dem global gefeierten Hoffnungst­räger und Präsidents­chaftskand­idaten im Juli 2008 im Wahlkampf eine Kundgebung am Brandenbur­ger Tor verwehrt hatte. Am Ende seiner achtjährig­en Ära schätze er die nüchterne Deutsche so sehr, dass sie drängte, sie möge doch als Gegengewic­ht zu Donald Trump und Stimme der freien Welt ein viertes Mal kandidiere­n.

Gestörte Chemie mit Trump

Die Chemie der Physikerin mit Trump blieb über vier Jahre gestört. Sinnbild war ein Gruppenfot­o beim G7-Gipfel in Kanada, als die Staats-und Regierungs­chefs – allen voran Merkel – auf Trump einredeten. In seiner zweiten Amtszeit erwog er den ultimative­n Eklat: den Austritt aus der Nato.

Der Machtwechs­el in Washington signalisie­rte eine Rückkehr zur Normalität. Merkel machte kein Hehl aus ihrer Erleichter­ung, dass die USA als berechenba­rer Partner und verlässlic­her Verbündete­r auf die Weltbühne zurückgeke­hrt sind. Ganz friktionsf­rei sind die US-deutschen Beziehunge­n nicht, etwa in der Frage des Umgangs mit Peking oder bei der Nord-Stream2-Pipeline. Gleichwohl schwärmte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier bei seinem Washington-Besuch: „Über den deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n scheint die Sonne.“

Zehn Wochen vor der Bundestags­wahl in Deutschlan­d wuchs auch in den USA das Interesse an der Post-Merkel-Ära. Welchen Politiker-Typus verkörpert Armin Laschet? Was könnte sich durch eine allfällige Regierungs­beteiligun­g der Grünen verändern? Um derlei Fragen kreiste auch das Gespräch des „Wall Street Journal“mit Sebastian Kurz in New York.

Bei Biden und Merkel ging es in Washington um die Zukunft Afghanista­ns, um die Pandemie und das Klima. Sie präsentier­ten eine „Washington­er Deklaratio­n“. An der Johns Hopkins University erhielt die Kanzlerin als „Leuchtfeue­r für die Welt“ihre 18. Ehrendokto­rwürde. Vielleicht gibt Merkel im September beim UN-Plenum noch ihren Abschied in New York. In Berlin tobt zu diesem Zeitpunkt der Wahlkampf, weitgehend ohne ihre Mitwirkung – womöglich aber mit Gastauftri­tten von Sebastian Kurz, der am Donnerstag zu einer Konferenz nach Montana aufbrach.

Newspapers in German

Newspapers from Austria