Flut schockt Deutschland
Unwetter. Mindestens 42 Menschen sterben bei Überflutungen nach starkem Regen. Der Westen des Landes ist nun Katastrophengebiet.
Schuld bei Adenau/Wien. An normalen Sommertagen ist Schuld bei Adenau ein Dorf, wie es in Westdeutschland viele gibt: adrett gestutzte, sattgrüne Wiesen, weiß gekalkte Fachwerkbauten, ein Hotel mit dem Namen „Zur Linde“, ein paar Ferienwohnungen, ein Angelpark, ein Spielplatz. Etwas mehr als 700 Menschen leben hier. Um ihre Häuser schlängelt sich die Ahr – ein Fluss, an normalen Tagen so breit wie ein Einfamilienhaus.
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag jedoch, wurde das kleine Schuld bei Adenau, Bundesland Rheinland-Pfalz, zum Bild der Katastrophe, die über Westdeutschland hereingebrochen ist und seither die Republik in Atem hält: Es regnete und regnete, die Flüsse schwollen an und stiegen über die Ufer. In Städten wie Hagen fielen in zwei Tagen rund 250 Liter Regen pro Quadratmeter.
Die schmale Ahr wuchs zu einem Strom an, der zwei Häuser mitriss und vier einstürzen ließ. 25 weitere Gebäude in Schuld bei Adenau sind schwer beschädigt. Mehrere Dorfbewohner sollen in den Wassermassen gestorben sein.
„Tote, Tote, Tote“
Mit Drohnen gemachte Aufnahmen der Zerstörung in Schuld bei Adenau gingen um die Welt. Das Boulevardmedium „Bild“mietete einen Helikopter, um die Bilder der Verwüstung zu zeigen: Weggespülte Straßen, eingestürzte Brücken, zerschmetterte Häuser, zerdrückte Autos. „Tote, Tote, Tote“wurde hinter den zwei Moderatoren eingeblendet, die nicht einmal davor zurückschreckten eine „Bild“-Reporterin aus der Gegend live auf Sendung zu fragen, ob sie glaube, dass ihre Großeltern noch am Leben sind. Sie wusste es nicht.
Es wird noch dauern, bis klar ist, wie viele Menschen in den Überflutungen nach den Regenfällen gestorben sind. Mindestens 42 Tote zählten die Behörden am Donnerstag. Insgesamt wurden noch 50 bis 70 Menschen vermisst. Mehrere Orte waren zu Redaktionsschluss von den Helfern abgeschnitten. Auch das Mobilfunknetz fiel in mehreren Regionen aus. Rund 200.000 Menschen waren am Donnerstag ohne Strom.
Rund 15.000 Helfer befanden sich am Donnerstag in Westdeutschland im Einsatz. Die Bundeswehr rückte mit Soldaten und Bergepanzern aus, Helfer versuchten mit Booten und Helikoptern an
Orte zu kommen, an denen Menschen ausharren. Manche verbrachten Stunden auf Hausdächern. Zwei Feuerwehrmänner ließen im Dienst ihr Leben: Ein 46-Jähriger fiel nach einer erfolgreichen Rettungsmission selbst ins Wasser und wurde mitgerissen, ein 52-Jähriger kollabierte.
Rheinbach, Kordel, Altenahr, Hagen, Dorsel – die Liste der Ortschaften, die sich am Donnerstag noch im absoluten Katastrophenmodus befanden ist lang. Tausende Menschen in Rheinland–Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden in Sicherheit gebracht, da Dämme unter dem Druck des Wassers zu brechen drohen. Sie bangen in Notquartieren um ihre Häuser.
Laschet in Gummistiefeln
Bereits am Vormittag brach Armin Laschet eine Reise nach Süddeutschland ab und kehrte nach Nordrhein-Westfalen zurück. Der 60-Jährige ist nicht nur Ministerpräsident des Bundeslandes, sondern auch CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Unionsparteien für die Bundestagswahl im Herbst.
In Gummistiefeln stapfte er durch das braune Wasser, gab im „Bild“-Fernsehen ein erstes LiveInterview. Mehrere deutsche Politiker brachen ihren Urlaub ab, darunter SPD-Kandidat Olaf Scholz und die Grüne Annalena Baerbock. Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich von ihrer USReise und sicherte den Deutschen „alle Kräfte unseres Staates“zu, um die Notlage zu überwinden.