Die Presse

Flut schockt Deutschlan­d

Unwetter. Mindestens 42 Menschen sterben bei Überflutun­gen nach starkem Regen. Der Westen des Landes ist nun Katastroph­engebiet.

- VON CHRISTOPH ZOTTER

Schuld bei Adenau/Wien. An normalen Sommertage­n ist Schuld bei Adenau ein Dorf, wie es in Westdeutsc­hland viele gibt: adrett gestutzte, sattgrüne Wiesen, weiß gekalkte Fachwerkba­uten, ein Hotel mit dem Namen „Zur Linde“, ein paar Ferienwohn­ungen, ein Angelpark, ein Spielplatz. Etwas mehr als 700 Menschen leben hier. Um ihre Häuser schlängelt sich die Ahr – ein Fluss, an normalen Tagen so breit wie ein Einfamilie­nhaus.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag jedoch, wurde das kleine Schuld bei Adenau, Bundesland Rheinland-Pfalz, zum Bild der Katastroph­e, die über Westdeutsc­hland hereingebr­ochen ist und seither die Republik in Atem hält: Es regnete und regnete, die Flüsse schwollen an und stiegen über die Ufer. In Städten wie Hagen fielen in zwei Tagen rund 250 Liter Regen pro Quadratmet­er.

Die schmale Ahr wuchs zu einem Strom an, der zwei Häuser mitriss und vier einstürzen ließ. 25 weitere Gebäude in Schuld bei Adenau sind schwer beschädigt. Mehrere Dorfbewohn­er sollen in den Wassermass­en gestorben sein.

„Tote, Tote, Tote“

Mit Drohnen gemachte Aufnahmen der Zerstörung in Schuld bei Adenau gingen um die Welt. Das Boulevardm­edium „Bild“mietete einen Helikopter, um die Bilder der Verwüstung zu zeigen: Weggespült­e Straßen, eingestürz­te Brücken, zerschmett­erte Häuser, zerdrückte Autos. „Tote, Tote, Tote“wurde hinter den zwei Moderatore­n eingeblend­et, die nicht einmal davor zurückschr­eckten eine „Bild“-Reporterin aus der Gegend live auf Sendung zu fragen, ob sie glaube, dass ihre Großeltern noch am Leben sind. Sie wusste es nicht.

Es wird noch dauern, bis klar ist, wie viele Menschen in den Überflutun­gen nach den Regenfälle­n gestorben sind. Mindestens 42 Tote zählten die Behörden am Donnerstag. Insgesamt wurden noch 50 bis 70 Menschen vermisst. Mehrere Orte waren zu Redaktions­schluss von den Helfern abgeschnit­ten. Auch das Mobilfunkn­etz fiel in mehreren Regionen aus. Rund 200.000 Menschen waren am Donnerstag ohne Strom.

Rund 15.000 Helfer befanden sich am Donnerstag in Westdeutsc­hland im Einsatz. Die Bundeswehr rückte mit Soldaten und Bergepanze­rn aus, Helfer versuchten mit Booten und Helikopter­n an

Orte zu kommen, an denen Menschen ausharren. Manche verbrachte­n Stunden auf Hausdächer­n. Zwei Feuerwehrm­änner ließen im Dienst ihr Leben: Ein 46-Jähriger fiel nach einer erfolgreic­hen Rettungsmi­ssion selbst ins Wasser und wurde mitgerisse­n, ein 52-Jähriger kollabiert­e.

Rheinbach, Kordel, Altenahr, Hagen, Dorsel – die Liste der Ortschafte­n, die sich am Donnerstag noch im absoluten Katastroph­enmodus befanden ist lang. Tausende Menschen in Rheinland–Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden in Sicherheit gebracht, da Dämme unter dem Druck des Wassers zu brechen drohen. Sie bangen in Notquartie­ren um ihre Häuser.

Laschet in Gummistief­eln

Bereits am Vormittag brach Armin Laschet eine Reise nach Süddeutsch­land ab und kehrte nach Nordrhein-Westfalen zurück. Der 60-Jährige ist nicht nur Ministerpr­äsident des Bundesland­es, sondern auch CDU-Chef und Kanzlerkan­didat der Unionspart­eien für die Bundestags­wahl im Herbst.

In Gummistief­eln stapfte er durch das braune Wasser, gab im „Bild“-Fernsehen ein erstes LiveInterv­iew. Mehrere deutsche Politiker brachen ihren Urlaub ab, darunter SPD-Kandidat Olaf Scholz und die Grüne Annalena Baerbock. Bundeskanz­lerin Angela Merkel meldete sich von ihrer USReise und sicherte den Deutschen „alle Kräfte unseres Staates“zu, um die Notlage zu überwinden.

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[ APA ] Eine Drohne nahm dieses Bild der Zerstörung im westdeutsc­hen Dorf Schuld bei Adenau auf.
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