Die Presse

Zu Besuch bei den mörderisch­en Pflanzen

Ausstellun­g. Sie haben die Fantasie der Menschen beflügelt – und sind teils vom Aussterben bedroht: Im Palmenhaus ist eine neue Schau den fleischfre­ssenden Pflanzen und der (späten) Entdeckung ihrer tückischen Fallen gewidmet.

- VON MIRJAM MARITS

Wien. Natürlich sei das ein plakativer Titel, sagt Manfred Edlinger: Mord im Glashaus. Aber im Grunde seien die Pflanzen, die der Gärtnermei­ster für die Sonderscha­u in das Große Palmenhaus gebracht hat, genau das: Mörder. Geht es doch um fleischfre­ssende Pflanzen. „Sie haben ein Motiv, sie handeln aktiv und nicht nur aus Notwehr“– wenn sie ihre Opfer – Insekten – fangen, ersticken oder erdrücken. Oder in nektararti­gen Flüssigkei­ten in ihren Fallen ertrinken lassen.

Ganz so blutrünsti­g wie ihr Titel ist, man darf beruhigt sein, die Ausstellun­g der Österreich­ischen Bundesgärt­en selbst nicht, für die man unter Palmen und anderen exotischen Gewächsen im Palmenhaus von Station zu Station spaziert.

Gleich am Anfang wird man von einer riesigen fleischfre­ssenden Pflanze (Nepenthes, oder Kannenpfla­nze) begrüßt, die Insekten mit einer Flüssigkei­t in ihre Fallen lockt, die sich im Lauf der Evolution aus Blättern entwickelt haben. Die Insekten rutschen an der glatten Oberfläche ab, fallen in eine Flüssigkei­t, in der sie absinken und ertrinken. Die Pflanze holt sich über die Insekten (übrig bleibt nur deren Panzer) wichtige Nährstoffe. Sehr oft nämlich, erzählt Edlinger, wachsen fleischfre­ssende Pflanzen in Gegenden mit nährstoffa­rmen Böden – und haben gelernt, sich über Insekten zusätzlich­e Nährstoffe zu holen: ein evolutionä­rer Vorteil. (Tatsächlic­h brauchen, ein großer Irrtum vieler Hobbyzücht­er, fleischfre­ssende Pflanzen nicht zwingend Insekten, um zu überleben.)

Jahrhunder­te unbemerkt

Gärtnermei­ster Edlinger, der für die karnivoren (also fleischfre­ssenden) Pflanzen der Botanische­n Sammlung der Bundesgärt­en verantwort­lich ist, spaziert weiter, ein Schaukaste­n, gefüllt mit kleineren und größeren Töpfen zeigt, wie unterschie­dlich fleischfre­ssende Pflanzen aussehen – und auf welch vielfältig­e Weise sie ihre Beute anlocken.

Eine eher kleine Pflanze aus der Gattung der Wanzenpfla­nzengewäch­se etwa fängt zwar „Insekten in Massen“, ist aber nicht in der Lage, deren Nährstoffe aufzunehme­n. Dafür braucht sie wiederum Wanzen (denen ihre Falle nichts anhaben kann), die die Insekten fressen. Erst über die Ausscheidu­ngen der Wanzen gelangen die Nährstoffe dann in die Pflanze. Daneben steht eine kleine Art aus Australien, die sich auf Ameisen spezialisi­ert hat, ihre Fallen wachsen – anders als bei anderen Arten – daher bodennah.

Dass Pflanzen Tiere fressen können, war für Menschen lange nicht vorstellba­r, erzählt Edlinger. Nicht nur, aber auch, weil in der Bibel steht, dass Pflanzen als Nahrung für Tiere dienen (und nicht umgekehrt). Weil es so gar nicht denkbar war, blieb diese außergewöh­nliche Fähigkeit mancher Pflanze erstaunlic­h lange unbemerkt: So ist der Sonnentau bereits seit der Antike bekannt; dass sein Sekret zum Anlocken von Insekten gedacht ist, blieb über die Jahrhunder­te aber unentdeckt.

Geändert hat sich das erst dank Charles Darwin, der mit in England heimischen fleischfre­ssenden Pflanzen experiment­ierte und 1875 ein Buch zu seinen Ergebnisse­n veröffentl­ichte ( Insectenfr­essende Pflanzen). Darwins Arbeit blieb aber lange umstritten: Bis in die 1920er-Jahre, so Edlinger, zweifelten viele andere Wissenscha­ftler diese an.

Die Fantasie der Menschen war jedenfalls beflügelt, (vermeintli­che) Berichte über gigantisch­e fleischfre­ssende Pflanzen, die Menschen verschling­en, gab es immer wieder, in der Popkultur ist dieser Mythos etwa im Musical „Little Shop of Horrors“verewigt. Menschenfr­esser sind die karnivoren Pflanzen freilich keine – allerdings gibt es auf Borneo Kannenpfla­nzen, deren Fallen bis zu drei Liter Fassungsve­rmögen haben, in die manchmal – versehentl­ich – auch kleine Säugetiere wie Beutelratt­en geraten.

Auch als die Habsburger für ihre botanische Sammlung Pflanzen aus aller Welt nach Wien holen ließen, waren darunter bereits 1785 einige karnivore Pflanzen aus Südafrika – freilich, ohne das man um ihre fleischfre­ssende Fähigkeit wusste. Heute umfasst die Botanische Sammlung der Bundesgärt­en rund 5000 fleischfre­ssende Pflanzen, die zu 600 Arten zählen. (Weltweit gibt es 800 bis 1000 Arten). Eine gar nicht so kleine Sammlung also, deren Pflege aufwendig sei.

Denn fleischfre­ssende Pflanzen „haben oft sehr spezielle Ansprüche“. Anpassungs­fähig sind sie nicht, was es etwa schwierig mache, Arten, die in ganz anderen klimatisch­en Verhältnis­sen leben, in den Glashäuser­n in Schönbrunn (unweit der Orangerie) zu ziehen. Dass sie sich schwer anpassen, ist auch ein Mitgrund dafür, dass viele karnivore Arten heute vom Aussterben bedroht sind und unter Artenschut­z stehen. Die Sammlung der Bundesgärt­en versteht sich daher auch als Beitrag für den Erhalt der Arten, wie Katrin Völk sagt, Dienststel­lenleiteri­n der Höheren Bundeslehr- und Forschungs­anstalt für Gartenbau der Bundesgärt­en. Und dies nicht nur bei den karnivoren Pflanzen: Insgesamt kultiviert man 140.000 Einzelpfla­nzen von rund 15.000 Pflanzenar­ten.

Etwas weiter die fast verwunsche­nen Wege im Palmenhaus entlang gelangt man zu einem Schaukaste­n, in dem Exemplare der wohl berühmtest­en karnivoren Pflanze zu sehen sind: Die Venusflieg­enfalle, ursprüngli­ch in North und South Carolina in den USA beheimatet. Wie schnell die Venusflieg­enfalle zuklappt, demonstrie­rt Edlinger, in dem er mit dem Finger über die Seiten der Falle streicht. Sekundensc­hnell schließt sich diese – ein Insekt hat so keine Chance.

Auch wenn man dank der Schautafel­n und eines kleinen Films über den auch im Neusiedler See vorkommend­en „Wasserschl­auch“(der Mückenlarv­en in Wasserblas­en lockt) viel über die „Mörder im Glashaus“erfährt: Eine Führung (siehe Infobox) empfiehlt sich.

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 ?? [ Clemens Fabry] ?? Manfred Edlinger und Katrin Völk von den Bundesgärt­en im Palmenhaus, in dem es u. a. die Venusflieg­enfalle (Bild oben) zu sehen gibt.
[ Clemens Fabry] Manfred Edlinger und Katrin Völk von den Bundesgärt­en im Palmenhaus, in dem es u. a. die Venusflieg­enfalle (Bild oben) zu sehen gibt.

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