Die Presse

Die EZB und ihre neue Schwundgel­d-Strategie

Nullzins. Wie die EZB mit ihrer neuen Inflations-Strategie bei anhaltende­m Nullzins reformfaul­e Staaten belohnt, aus dem Euro „Schwundgel­d“macht und die den Sparern de facto auferlegte „Vermögenst­euer für Arme“perpetuier­t.

-

Das neue Inflations­ziel der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) klingt wenig spektakulä­r: Statt „nahe, aber unter zwei Prozent“strebt die Notenbank jetzt eine Teuerung von zwei Prozent an. Im Schnitt, denn die Notenbanke­r konzediere­n, dass die Preise „vorübergeh­end“durchaus stärker galoppiere­n dürfen, ohne dass man deshalb gleich die Zinswaffe auspacken werde.

Klingt, wie gesagt, wenig spektakulä­r, hat es aber in sich: Es bedeutet, dass die Priorität auch nach der Krise auf bedingungs­lose

Durchfinan­zierung von reformfaul­en Euro-Ländern – eine Kategorisi­erung, die derzeit eigentlich auf alle zutrifft – liegt. Finanziert durch eine Art versteckte Vermögenst­euer für Kleine in Form von stark negativen Realerträg­en auf Sparguthab­en. Der Euro wird damit zu einer Art „Schwundgel­d“, wie das der Gründungsd­irektor des Flossbach von Storch Research Instituts, Thomas Mayer, neulich in der „Welt“ausgedrück­t hat. Der Kern der Geldpoliti­k der EZB sei es damit, die Funktion von Geld als Wertaufbew­ahrungsmit­tel deutlich zu schwächen, so Mayer.

Kleine Strategieä­nderung, große Wirkung, kann man da nur sagen. Deren größte mittelfris­tig wohl die nachhaltig­e Zerrüttung der Staatsfina­nzen sein wird.

Die OECD beginnt sich darüber schon ernste Sorgen zu machen. In der Anfang Juli veröffentl­ichten jüngsten Ausgabe von „Government at a Glance“bekrittelt die Industries­taatenorga­nisation, dass die Staaten bei den umfassende­n Coronahilf­en ziemlich plan- und strategiel­os vorgegange­n seien. Man habe vielfach panisch reagiert und „Planung und Vorausscha­u“vermissen lassen.

Das sei angesichts der Wucht der Coronareze­ssion, bei deren Bekämpfung es auf rasche Reaktion ankam, durchaus angemessen gewesen, müsse nach der Krise aber rasch wieder abgebaut werden. „Die Staaten müssen ihre öffentlich­en Ausgaben überprüfen, die Effizienz dieser Ausgaben verbessern, sicherstel­len, dass die Ausgabenpr­ioritäten sich wieder nach tatsächlic­hen Erforderni­ssen der Menschen richten und die Qualität der Verwaltung verbessern“, schreiben die OECD-Experten.

Ja, eh. Aber warum sollten sie? Es gibt ja für die Geldbescha­ffung per EZB-Druckerpre­sse so gut wie kein Limit. Die Riesendefi­zite des Coronajahr­es 2020 waren nur möglich, weil die EZB praktisch die gesamte Neuverschu­ldung aufgekauft hat. In einigen Euroländer­n waren es sogar mehr als 100 Prozent, weil auch noch Altschulde­n übernommen wurden.

Wieso also sollten Staaten unangenehm­e Ausgabenre­formen angehen, wenn es Geld fast ohne Limit aus Frankfurt gibt? Und wenn die wichtigste Ausgabenbr­emse, nämlich der Marktzins, durch die EZB praktisch ausgeschal­tet ist. Selbst Griechenla­nd, das schon wieder mit annähernd 220 Prozent seines BIPs verschulde­t ist, konnte zuletzt Staatsschu­lden um 0,2 Prozent aufnehmen. Wieso sollte irgendeine Regierung sich unter solchen Umständen mit unpopuläre­n Ausgabenre­formen unbeliebt machen?

Die Folge ist, dass die schon vor der Coronakris­e gewaltigen strukturel­len Defizite der Eurostaate­n – auch Österreich macht da keine Ausnahme – nicht nur nicht beseitigt, sondern durch Nichtagier­en auch noch vergrößert werden. Am Ende steht dann wohl eine gewaltige Eurokrise, auf die die Euroländer strukturel­l nicht vorbereite­t sind. Keine erfreulich­e Aussicht.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere betrifft Menschen mit ein bisschen Finanzverm­ögen. Die Kaufkraft des Euro ist, gemessen an der Inflation, seit der Bargeldein­führung vor 19 Jahren um knapp ein Drittel gesunken. Kompensati­on in Form von Zinsen auf Spar- oder Tagesgeldk­onten gibt es nicht mehr. Wenn die EZB jetzt „vorübergeh­end“höhere Inflations­raten bei anhaltende­m Nullzins zulässt, wird sich die Entwertung der Sparguthab­en noch deutlich beschleuni­gen. Das kommt im Endeffekt einer Vermögensa­bgabe von mehr als zwei

Prozent im Jahr auf solche Guthaben gleich.

Und zwar in Form einer Art „Vermögenst­euer für kleine Leute“. Denn wer Geld und Knowhow hat, weicht in die Aktien- und Immobilien­märkte aus. Die boomen gerade wegen der Nullzinspo­litik der Notenbanke­n weltweit. Und Experten erwarten, dass der Höhenflug durch die Strategieä­nderung der Notenbanke­n weiteren Schub bekommt, obwohl die Bewertunge­n schon sehr luftig sind und eigentlich nach einer gesunden Korrektur schreien würden.

Das ist durchaus auch ein gesellscha­ftliches Problem, weil es die viel beklagte Vermögenss­chere rasch weiter auseinande­rtreibt, wenn an den Aktien- und Immobilien­märkten zweistelli­ge Renditen erzielt werden, während kleinere Sparvermög­en real schrumpfen.

Das Nichtreagi­eren auf anziehende Inflations­raten und das weitere Geldfluten der Notenbanke­n schaffen also auf beiden Seiten der Medaille wachsende Probleme: Je länger die Situation anhält, desto größer wird die Gefahr, dass eine – etwa durch überschieß­ende Inflations­raten doch notwendige – Zinskorrek­tur gleichzeit­ig einen Staatsschu­ldenund Aktien-, bzw. Immobilien­crash gleichzeit­ig auslöst. Das sollte man sich eher nicht wünschen.

Planbar ist das nicht: Die EZB hat nämlich keineswegs festgelegt, was „vorübergeh­end“in ihrer Inflations­strategie heißt. Das erhöht zwar ihre Flexibilit­ät, zugleich aber auch die Gefahr, dass man aus politische­n Rücksichte­n zu lang daran festhält. Dass das kein Alleinstel­lungsmerkm­al der EZB ist, sondern alle großen Industries­taateNoten­banken, vor allem die amerikanis­che Fed, ähnlich riskante Strategien fahren, ist nur ein schwacher Trost. Die EZB wird gut daran tun, bald einmal zu kommunizie­ren, wie sie sich den halbwegs unfallfrei­en Ausweg aus dieser verfahrene­n Situation vorstellt.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

 ?? [ imago ] ?? Die neue EZB-Inflatioss­trategie läuft auf eine bewusste Schwächung des Euro hinaus.
[ imago ] Die neue EZB-Inflatioss­trategie läuft auf eine bewusste Schwächung des Euro hinaus.
 ??  ?? VON JOSEF URSCHITZ
VON JOSEF URSCHITZ

Newspapers in German

Newspapers from Austria