Die Presse

Asylwerber in Arbeit: Koalition uneins über neue Lage

Arbeit. Der Arbeitsmin­ister will Asylwerber per Erlass weiter vom Arbeitsmar­kt fernhalten. Die Grünen orten „klassische türkise Rhetorik“.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER UND CHRISTINE KARY

Wien. Wer sich in Österreich um Asyl bewirbt, soll nicht arbeiten dürfen, bis er einen positiven Bescheid erhält – auf diesem Standpunkt steht die ÖVP. Der grüne Koalitions­partner sowie mehrere Nichtregie­rungsorgan­isationen sehen das anders. Nun hat ein Urteil des Höchstgeri­chts die Debatte neu belebt: Der Verfassung­sgerichtsh­of hat, wie berichtet, zwei ältere Erlässe für gesetzeswi­drig erklärt. Demnach durften Asylwerber lediglich als Erntehelfe­r und Saisonkräf­te beschäftig­t werden. Nun sollen sie auch zu anderen Jobs grundsätzl­ich Zugang bekommen.

Sie dürfen damit unter bestimmten Bedingunge­n in allen Berufen arbeiten – und zwar dann, wenn eine Stelle nicht mit einer Arbeitskra­ft aus dem Inland oder aus der EU bzw. mit einem Asylberech­tigten oder subsidiär Schutzbere­chtigten besetzt werden kann. Der Regionalbe­irat des Arbeitsmar­ktservice (AMS) muss jeden einzelnen Fall prüfen. Laut Arbeitsmin­ister Martin Kocher soll der Zugang für Asylwerber aber wie gehabt restriktiv bleiben. Kocher hat einen entspreche­nden neuen Erlass an das AMS übermittel­t. Ziel sei es, „die bisherige strenge Praxis im Vollzug beizubehal­ten“. Asylwerber könnten in Österreich nicht generell Arbeit suchen. „Sie werden nicht vom AMS vermittelt und dürfen auch nicht von privaten Anbietern vermittelt werden“, heißt es in einer Stellungna­hme. Es seien alle Möglichkei­ten auszuschöp­fen, um die offene Stelle mit verfügbare­n Inländern oder in den Arbeitsmar­kt integriert­en Ausländern zu besetzen.

33.217 Flüchtling­e ohne Job

Konkret ist laut dem neuen Erlass bei jedem Bewilligun­gsantrag für einen Asylwerber ein Ersatzkraf­tstellungs­verfahren einzuleite­n. Dabei sind geeignete Arbeitskrä­fte, insbesonde­re aus dem Potenzial der Asylberech­tigten und subsidiär Schutzbere­chtigten, auszuwähle­n und dem Arbeitgebe­r als Ersatzarbe­itskräfte zuzuweisen. Nur wenn das nicht möglich ist, können Asylwerber zum Zug kommen. Beim AMS geht man davon aus, dass sich durch den neuen Erlass wenig ändert. Üblicherwe­ise könne man Ersatzkräf­te stellen. „Lediglich Lehrstelle­n im Gastrobere­ich und Baunebenge­werbe sind leichter mit Asylwerber­n zu besetzen.“

Die Grünen sehen die Reaktion des Koalitions­partners indes als „klassische türkise Rhetorik“. Der Zugang für Asylwerber zum Arbeitsmar­kt sei nach dem VfGH-Urteil da. Den neuen Erlass hätte es „schlichtwe­g nicht gebraucht“, sagt Sozialspre­cher Markus Koza. Die strenge Arbeitsmar­ktprüfung sei längst rechtliche­r Normalzust­and und gängige Praxis. Virulent ist das Thema, weil die Wirtschaft brummt und es so viele offene Stellen gibt wie noch nie. Gleichzeit­ig sind rund 350.000 Menschen arbeitslos oder in einer AMS-Schulung.

Derzeit laufen rund 19.000 Asylverfah­ren in Österreich. Wem Asyl oder subsidiäre­r Schutz gewährt wurde, der hat freien Zugang zum Arbeitsmar­kt. Beim AMS waren im Juni 33.217 anerkannte Flüchtling­e und Schutzbere­chtigte registrier­t, fünf Prozent weniger als vor einem Jahr. Im Juni 2016 waren es 25.109. Die meisten kommen aktuell mit rund 14.000 aus Syrien.

Österreich ist beim Zugang zum Arbeitsmar­kt für Asylwerber im internatio­nalen Vergleich restriktiv. Die Industriel­änderorgan­isation OECD empfiehlt, Asylwerber arbeiten zu lassen, wenn klar ist, dass jemand mit hoher Wahrschein­lichkeit bleiben darf. Vor allem aus der Wirtschaft gab es immer wieder Stimmen, die darauf drängten, den Zugang für Asylwerber zum Arbeitsmar­kt zu lockern.

Die alten Erlässe wurden vom VfGH gekippt, weil sie die Beschäftig­ung von Asylwerber­n stärker einschränk­en, als es gesetzlich vorgegeben ist. Erlässe dürfen jedoch die Rechtslage nur auslegen, nicht neu gestalten. Rechtsgest­altende Regelungen müssten als Verordnung kundgemach­t werden, monierte der VfGH (V 95-96/2021-12). Wobei aber auch das voraussetz­t, dass es im Gesetz eine Verordnung­sermächtig­ung gibt.

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