Ist Holocaust-Gedenken rassistisch?
In neuen Historikerstreit verschärft sich der Ton – mit antisemitischen Duftmarken. Viele Nationen haben ihr Trauma, ihre besondere historische Schuld.
Es ist nämlich so: Die Deutschen haben ihre Vergangenheitsbewältigung zu einem „Katechismus“erstarren lassen, der Kritik an Israel ebenso verbietet wie Vergleiche des Holocaust mit anderen Völkermorden. Das „heilige Trauma“lassen sie von „Hohepriestern“und „Inquisitoren“bewachen, die in „Panik“geraten, wenn der „sakrale Status besudelt“wird.
Nämlich von den tapferen „Postcolonial Studies“-Forschern, die ihnen jetzt endlich erklären, dass ihre Erinnerungskultur „rassistisch“sei, weil sie „Hierarchien des Leidens“, „Grade des Menschseins“behauptet – sprich: weil es in ihr mehr um Juden als um Schwarze geht. Dabei sei es doch „pervers“, die Wurzel der Nazi-Gräuel woanders zu suchen als im Kolonialismus. Das Dogma beruhe auf „völkischen Annahmen“und der „Fetischisierung der europäischen Zivilisation“gegenüber vermeintlichen „Barbaren“. Das sitzt.
Es geht doch nichts über eine saftige Polemik! Der australische, in den USA arbeitende Dirk Moses hat es mit einem Blog-Eintrag geschafft, frischen Wind in den neuen Historikerstreit über die Einzigartigkeit der Shoa zu bringen. Er legte nach, mit antisemitischen Duftnoten über „amerikanische und israelische Eliten“, unter deren Fuchtel die Deutschen stünden. Das rief den großen Saul Friedländer in der „Zeit“auf den Plan. In seiner Replik lässt Moses nicht locker: Der Holocaust sei nur eines von vielen fundamentalen Verbrechen aus dem „mörderischen Erbe der weißen Vorherrschaft“gewesen.
Viele Nationen haben ihr Trauma, ihre besondere historische Schuld. Bei den Amerikanern ist es die Sklaverei. Briten, Franzosen und Belgier müssen ihre kolonialen Verbrechen aufarbeiten. In der Sowjetunion, China und Kambodscha gab es Massenmorde an Landsleuten. In Deutschland verharmlost niemand mehr den Genozid an den Herero in Nambia. Ist es ungerecht, dass deutsches Gedenken trotzdem vor allem den Opfern der Konzentrationslager gilt?
Wenn die „Postcolonial Studies“alles, was Menschen einander Schlimmes antun, in ein Erklärungsschema pressen, ist das nicht wissenschaftlich, sondern eine Ideologie. Die Forschungsrichtung kommt aus den USA, wo Diskriminierung von Afroamerikanern die große offene Wunde ist, was die Blickrichtung rechtfertigt. Aber sie jedem europäischen Land aufzuzwingen, wirkt wie eine subtile Form von Kulturimperialismus. Natürlich soll Erinnerungsarbeit nicht zum Ritual erstarren, und dafür braucht sie aktuelle Bezüge. Aber was drängt sich da bei uns auf? Polizeigewalt gegen Schwarze? Oder doch eher der Alltagsrassismus, den Millionen Flüchtlinge aus dem arabischen Raum in Europa erleben? Nicht, dass Moses das völlig übersieht: Er beklagt, dass Muslime in Deutschland dazu gezwungen würden, sich zum Staat Israel zu bekennen. Ist das so? Selbst wenn: Es wäre wohl ihr geringstes Problem.