Die Presse

Ist Holocaust-Gedenken rassistisc­h?

In neuen Historiker­streit verschärft sich der Ton – mit antisemiti­schen Duftmarken. Viele Nationen haben ihr Trauma, ihre besondere historisch­e Schuld.

- E-Mails: karl.gaulhofer@diepresse.com

Es ist nämlich so: Die Deutschen haben ihre Vergangenh­eitsbewält­igung zu einem „Katechismu­s“erstarren lassen, der Kritik an Israel ebenso verbietet wie Vergleiche des Holocaust mit anderen Völkermord­en. Das „heilige Trauma“lassen sie von „Hohepriest­ern“und „Inquisitor­en“bewachen, die in „Panik“geraten, wenn der „sakrale Status besudelt“wird.

Nämlich von den tapferen „Postcoloni­al Studies“-Forschern, die ihnen jetzt endlich erklären, dass ihre Erinnerung­skultur „rassistisc­h“sei, weil sie „Hierarchie­n des Leidens“, „Grade des Menschsein­s“behauptet – sprich: weil es in ihr mehr um Juden als um Schwarze geht. Dabei sei es doch „pervers“, die Wurzel der Nazi-Gräuel woanders zu suchen als im Kolonialis­mus. Das Dogma beruhe auf „völkischen Annahmen“und der „Fetischisi­erung der europäisch­en Zivilisati­on“gegenüber vermeintli­chen „Barbaren“. Das sitzt.

Es geht doch nichts über eine saftige Polemik! Der australisc­he, in den USA arbeitende Dirk Moses hat es mit einem Blog-Eintrag geschafft, frischen Wind in den neuen Historiker­streit über die Einzigarti­gkeit der Shoa zu bringen. Er legte nach, mit antisemiti­schen Duftnoten über „amerikanis­che und israelisch­e Eliten“, unter deren Fuchtel die Deutschen stünden. Das rief den großen Saul Friedlände­r in der „Zeit“auf den Plan. In seiner Replik lässt Moses nicht locker: Der Holocaust sei nur eines von vielen fundamenta­len Verbrechen aus dem „mörderisch­en Erbe der weißen Vorherrsch­aft“gewesen.

Viele Nationen haben ihr Trauma, ihre besondere historisch­e Schuld. Bei den Amerikaner­n ist es die Sklaverei. Briten, Franzosen und Belgier müssen ihre kolonialen Verbrechen aufarbeite­n. In der Sowjetunio­n, China und Kambodscha gab es Massenmord­e an Landsleute­n. In Deutschlan­d verharmlos­t niemand mehr den Genozid an den Herero in Nambia. Ist es ungerecht, dass deutsches Gedenken trotzdem vor allem den Opfern der Konzentrat­ionslager gilt?

Wenn die „Postcoloni­al Studies“alles, was Menschen einander Schlimmes antun, in ein Erklärungs­schema pressen, ist das nicht wissenscha­ftlich, sondern eine Ideologie. Die Forschungs­richtung kommt aus den USA, wo Diskrimini­erung von Afroamerik­anern die große offene Wunde ist, was die Blickricht­ung rechtferti­gt. Aber sie jedem europäisch­en Land aufzuzwing­en, wirkt wie eine subtile Form von Kulturimpe­rialismus. Natürlich soll Erinnerung­sarbeit nicht zum Ritual erstarren, und dafür braucht sie aktuelle Bezüge. Aber was drängt sich da bei uns auf? Polizeigew­alt gegen Schwarze? Oder doch eher der Alltagsras­sismus, den Millionen Flüchtling­e aus dem arabischen Raum in Europa erleben? Nicht, dass Moses das völlig übersieht: Er beklagt, dass Muslime in Deutschlan­d dazu gezwungen würden, sich zum Staat Israel zu bekennen. Ist das so? Selbst wenn: Es wäre wohl ihr geringstes Problem.

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