Wie die Linke ins Abseits geriet
Kalter Krieg. Eine große Komponente in der österreichischen Politik von 1945 bis 1955 war der Antikommunismus. Er wurde zur Grundsäule des Selbstverständnisses der Republik.
Die zehn Jahre nach dem Kriegsende 1945 bieten Stoff für viele Geschichtserzählungen. Die Ost-Westbesetzung Österreichs mitten im Kalten Krieg war brandgefährlich, Parlament und Regierung konnten nicht souverän agieren und hörten dennoch nie auf, um die Selbstständigkeit zu ringen – in großer Geschlossenheit und ohne die zerstörerischen Parteienkämpfe der Ersten Republik. Und letztlich mit Erfolg. Es entstand der Mythos der „Lagerstraße“: Die verfeindeten Politiker hatten gemeinsam das Konzentrationslager durchlitten und fanden durch dieses Trauma zur Versöhnungsbereitschaft.
Ein Erbe der Besatzungszeit war auch: Der Begriff des Kommunismus blieb fortan mit einem unauslöschlichen Makel behaftet. Marodierende und vergewaltigende Soldaten der Roten Armee bestätigten die Vorurteile, die seit der bolschewistischen Revolution von 1918 existierten. Als Befreier wurden sie nicht willkommen geheißen, als Besatzer gehasst. Die Abgrenzung vom kommunistischen System wurde von Österreichs Politik ab 1945 mit Vehemenz betrieben. Sie blieb noch ein Mittel der politischen Auseinandersetzung, als seine real existierende Version schon lang untergegangen war. Noch im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 musste sich Alexander Van der Bellen mit dem Vorwurf herumschlagen, eine kommunistische Vergangenheit zu haben, was ihn nach Meinung der politischen Gegner für das Amt disqualifizierte.
Der österreichische Zeitgeschichtler Oliver Rathkolb hat in seinem Buch „Die paradoxe Republik“(2005) die These aufgestellt, dass die wesentliche verbindende Funktion nach 1945 nicht das Lager-Erlebnis war, sondern die Abgrenzung zum Kommunismus. Diese „verdrängte Komponente der österreichischen Identität“stärkte das Nationalbewusstsein, war aber auch verantwortlich für konservative Werthaltungen, die lang nachwirkten.
Georg Friesenbichler, drei Jahrzehnte lang Redakteur der „Wiener Zeitung“und durch wichtige historische Publikationen bekannt, hat diese These nun in seinem neuesten Buch über Österreichs Linke im Kalten Krieg aufgegriffen und mit umfangreichen Belegen die Bedeutung des Antikommunismus für die Zweite Republik untermauert. Er hält ihn für „eine Grundsäule des österreichischen Selbstverständnisses“.
Man muss davon ausgehen, dass die Rolle der Kommunisten zu Beginn der Zweiten Republik nicht so unbedeutend war, wie ihre Randexistenz später nahelegt. Dass die KPÖ zu den drei Gründungsparteien der Zweiten Republik zählte, dass sie die erste Frau in einer österreichischen Regierung stellte, ist heute vergessen. Ebenso dass Kommunisten die ersten prononcierten Vertreter eines Bekenntnisses zur österreichischen Nation waren. Das alles entspricht nicht den gängigen Rezeptionsklischees und Erzählmustern.
Die KPÖ bezog in der Nachkriegszeit als einzige Partei eine konsequente antifaschistische Position und vertrat bei den Arbeitskämpfen kompromisslos die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung. Sie wurde wegen ihrer Nähe zur Sowjetunion und dem Festhalten am Marxismus-Leninismus als Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Hartnäckig verweigerte sie die Einsicht, dass in den 50er-Jahren doch ein gewisser Wohlstand spürbar wurde und igelte sich angesichts der Gegenpropaganda immer mehr ein. Ständig suchte sie den Klassenkampf, eine adäquate Antwort auf die allmähliche Entpolitisierung der Gesellschaft fand sie nicht, bei den Wahlen war sie völlig erfolglos. Kein Wunder: Bei Österreichs Nachbarn waren gerade diktatorische „Volksdemokratien“im Entstehen.
Die Linke in der SPÖ wurde abgedrängt
Die SPÖ, damals „Sozialistische Partei“, führte mit ihren Proponenten Adolf Schärf und Oskar Helmer einen erbitterten Kampf gegen die KPÖ und wehrte alle Ideen einer Zusammenarbeit ab. Das führte im Endeffekt auch dazu, dass die linken Kräfte in der SPÖ marginalisiert wurden. Waren sie im Ausland im Exil, legte man ihnen nahe, dort zu bleiben. Ein Bruno Kreisky kehrte erst relativ spät aus Schweden zurück. Otto Bauers Idee des „Austromarxismus“, die Idee, eine Dritte Kraft sein zu wollen zwischen Sowjetkommunismus und US-Kapitalismus, kam für die SPÖ nicht infrage. Sie entdeckte die Marktwirtschaft und näherte sich den amerikanischen Positionen an. Wirtschaftshilfe, wie sie sonst im Rahmen des Marshall-Plans keinem Land zuteil wurde, war die Belohnung. Je drastischer die kommunistische Bedrohung dargestellt wurde, desto mehr Unterstützung kam vom Westen.
Der Mythos vom „Kommunistenputsch“im Oktober 1950 ist heute von der Zeitgeschichteforschung weitgehend widerlegt. Die Kommunisten standen damals an der Spitze einer Welle von Hungerprotesten und riefen zu wilden Streiks auf – gegen den Willen der Gewerkschaft, die ihre KPÖ-Mitglieder gerade von den Posten entfernte. Mit einem Generalstreik als Höhepunkt wollte die KPÖ ihre Position stärken, die SPÖ kämpfte wild dagegen an: „Die Kommunisten nützen den Hunger der Bevölkerung für ihre Parteizwecke aus“, so in der AZ. Die „Radaubrüder“der KPÖ wollten Chaos herbeiführen und Österreich damit in die Armee der Sowjetunion treiben, hieß es, weil sie es dank der politischen Reife des österreichischen Volks nicht anders schafften.
Ein Rollkommando der von Franz Olah geführten Bau- und Holzarbeitergewerkschaft knüppelte die demonstrierenden KPÖ-ler zusammen, Olah verstand es über Jahrzehnte, sich als Retter vor einem Staatsstreich zu inszenieren. Dass die Aktion als Putsch der sowjetunterstützten KPÖ angelegt war, wurde von Leopold Figl schon am Tag danach behauptet, es fehlten aber die Belege – bis heute.
Es dauerte lang, bis 1968, bis sich in Europa wieder so etwas wie eine Linke bemerkbar machte, die zwar von Karl Marx inspiriert war, aber vom Sowjet-Sozialismus nichts wissen wollte. In Österreich konnte sich aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern keine antikapitalistische Linke ausbilden. Der Grundstein dafür, dass 1968 in Österreich keine vergleichbare rebellierende Jugendbewegung auftrat, ist nach Friesenbichler eben in dieser Zeit der Verdrängung der Linken nach 1945 zu suchen. Der Antikommunismus, so der Autor, diente durchgehend als „verlässliches Instrument, um gesellschaftspolitische Veränderungswünsche hintanzuhalten“.
Der Geist des Kalten Kriegs
Friesenbichler nennt seine umfangreiche Studie ironisch einen „Ziegel“und verwendet damit eine in der Buchbranche häufig verwendete Metapher aus dem Baugewerbe. Er trifft damit aber einen Punkt: Sein Werk legt ein Fundament für die Untersuchung der Linken in Österreich, der Autor will sie von 1956 bis 1989 fortsetzen. Dass er sich bei der Wissenschaft entschuldigt, ihr als Journalist ins Handwerk zu pfuschen, ist reine Tiefstapelei. Allein die Fülle der ausgewerteten Quellen und die Kunst der Darstellung machen den „Ziegel“auch dank einiger reportageartiger Elemente zu einem äußerst lesbaren Panorama der Zeit des Kalten Kriegs in Österreich. Man staunt, mit welcher Wut und in welcher Sprache die ideologischen Kontrahenten damals aufeinander losgingen. Kaum ein Buch vermittelt den Geist des Kalten Kriegs hierzulande so unmittelbar.