Die Presse

Reden wir über Qualität, nicht über „Rufmord“

Causa Baerbock. Die Enttarnung von Blendern sollte nicht diskrediti­ert, sondern honoriert werden – zum Wohl der Gesellscha­ft.

- VON STEFAN WEBER

Rufmörder!“„Frauenverf­olger!“„Rechtsauße­n-Sympathisa­nt!“– Das waren die drei Stereotype, mit denen ich beharrlich konfrontie­rt wurde, nachdem ich aufgedeckt hatte, dass es mit der Qualität und Originalit­ät in Annalena Baerbocks Buch „Jetzt“erheblich hapert. Mir geht es auch in diesem Fall um nichts anderes als um ein genaues Hinsehen, was die Autorschaf­t, Eigenständ­igkeit und Ehrlichkei­t eines Textes anbelangt. Das sollte gerade im Zeitalter der Digitalisi­erung eigentlich nicht diskrediti­ert, sondern honoriert werden.

Warum kein Dialog?

Zum ersten Stereotyp: Die Grünen Deutschlan­ds reagierten zunächst mit den Vokabeln „bösartig“, „Rufmord“, „falsche Anschuldig­ungen“und „Desinforma­tionskampa­gne“auf meine Enthüllung­en – um sich kurz danach in zunehmende­r Selbstkrit­ik zu üben. Warum sieht man sich nicht zuerst an, was an den Vorwürfen genau dran ist (ich habe ja zunächst nur einen Teil publiziert)? Warum keine Einladung zum Dialog und zur Aufklärung?

Ich habe Annalena Baerbock bezüglich der Konfusione­n um ihren Lebenslauf bereits am 10. Mai 2021 ein E-Mail geschriebe­n. Die Antwort kam exakt drei Wochen später vom „Team Baerbock“und sie bestand aus einem mittlerwei­le bereits veröffentl­ichten Absatz – Copy/Paste auch hier. Die Grünen wollen laut Parteiprog­ramm eine „positive Fehlerkult­ur“etablieren. Diese scheint, wie etwa auch die Forderung nach Compliance (Regeltreue, Richtlinie­n-Einhaltung), nur für alle anderen zu gelten, aber nicht für die eigene Partei.

Warum sonst reagiert man auf beweisbare Vorwürfe mit einem „Medienanwa­lt“, der schon den prominente­sten Plagiator Deutschlan­ds, Karl-Theodor zu Guttenberg und einen journalist­ischen Fälscher verteidigt hat bzw. verteidigt? Die Grünen reagierten hier nicht wie eine Fortschrit­tspartei, sie luden nicht zum Dialog ein, sondern sie „schossen zurück“, eher wie ein steifer, alter, beleidigte­r Parteiappa­rat.

Ist das Feminismus?

Zum zweiten Stereotyp: Politisch unkorrekt scheint es zu sein, eine Frau zu kritisiere­n. Wenn Feminismus heißt, einer Frau den Vortritt zu lassen, nur weil sie eine Frau ist und die Frau gleichzeit­ig weniger qualifizie­rt ist als der Mann, so ist das kein Feminismus, sondern nur ein Echo jener Männergese­llschaft, die dieser falsch verstanden­e Feminismus bekämpfen will. „Mit ihrer Selbstüber­schätzung hat Baerbock dem Feminismus einen Bärendiens­t erwiesen“, schrieb taz-Autorin Silke Mertins. So ist es.

Wenn man das jüngste Buch von Robert Habeck mit dem von Annalena Baerbock vergleicht, dann muss doch die Frage erlaubt sein: Nach welchen Selektions­kriterien geht hier eine politi

sche Partei vor? Warum wurde das „Frauenstat­ut“offenbar zum Dogma?

Die deutschen Medien, allen voran der „Spiegel“und die „Süddeutsch­e Zeitung“, haben Annalena Baerbock zum neuen Wunderwuzi hochgeschr­ieben, zur Superund Überfrau – immer perfekt gestylt und auf Fotos stets mit einem grünen Pflanzenre­ich im Hintergrun­d –, die Deutschlan­d in ein neues ökologisch­es Zeitalter jenseits des reinen Diktats der Ökonomie führen möchte.

Mittlerwei­le steht fest: Das Problem ist nicht eine vermeintli­che „Negativ-Kampagne“gegen eine Frau, weil sie eine Frau ist. Das Problem ist vielmehr, dass genau diese Frau vorher zur Spitzenkan­didatin einer politische­n Partei gekürt wurde und einige Massenmedi­en hier die Inszenieru­ng mit redaktione­llen Beiträgen vorantrieb­en, die wie bezahlte Anzeigen aussahen.

Eine Verschwöru­ngstheorie

Zum dritten Stereotyp: Gewisse bundesdeut­sche Medien, erneut allen voran der „Spiegel“und die „Süddeutsch­e Zeitung“, interessie­rten sich nicht oder kaum für die Frage, warum hier jemand Spitzenkan­didatin einer Partei wurde, der seinen Lebenslauf an fast einem Dutzend Stellen frisiert hat, für sein Buch (nach derzeitige­m Wissenssta­nd) mehr als 50 Textstelle­n geklaut hat und erhebliche Erklärungs­nöte mit Nebeneinkü­nften und einem bezogenen Promotions­stipendium hat. Nein, vielmehr war die „Hintermann­Theorie“Gegenstand von mehr als einem Journalist­enanruf mit Suggestivf­ragen. Die „Verschwöru­ng aus dem rechten Eck“oder gar der Russen, das ist die dritte mächtige Schablone.

Man kann dann zehnmal die schlichte Wahrheit behaupten, nämlich dass man aus reiner Neugierde am Thema dran bleibe und weiter recherchie­re. Und zum elften Mal wird man lesen müssen, dass ja nicht ausgeschlo­ssen werden könne, dass man doch ein von den Russen, den Rechten oder gar der SPD (?) finanziert­er Troll sei.

Die bundesdeut­schen Medien bedienten damit einen die Gesellscha­ft weiter spaltenden Vorurteils­diskurs. Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet­e in der Causa Baerbock nicht das Internet, Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet­en vor allem einige der sogenannte­n Qualitätsm­edien. Das war neu. Und parallel dazu ging die kritische Öffentlich­keit von Bloggern und Social Media aus. Ein Wendepunkt für Massenmedi­en und Demokratie in Deutschlan­d?

Im Fall Baerbock war ausschlagg­ebend: Blogger recherchie­rten bei akademisch­en Ausbildung­sstätten. Softwaresy­steme fanden zahlreiche abgeschrie­bene Stellen. Die Wayback Machine des Internet Archives erlaubte den Aufdeckern den Vergleich zwischen heutigen und damaligen Angaben auf Webseiten.

Wenn wir uns in Zukunft Lebensläuf­e, akademisch­e Titel und akademisch­e Qualifikat­ionsschrif­ten von Spitzenkan­didatinnen und -kandidaten in der Politik genauer ansehen, wenn Sachbuchve­rlage Plagiatsso­ftware einsetzen, dann sind das Qualitätss­icherungsm­aßnahmen zum Wohl der Gesellscha­ft und der Demokratie.

Die digitalisi­erte Öffentlich­keit lässt sich nicht mehr ein X für ein U vormachen. Eigentlich sollten auch Massenmedi­en aus dem Fall Baerbock lernen, dass sie Beschreibu­ngen kritisch hinterfrag­en müssen, bevor sie jemanden über den grünen Klee loben und hochschrei­ben. Die Enttarnung von Blendern wäre eigentlich Aufgabe der „vierten Gewalt“. Sie hat im Fall Baerbock nicht nur versagt, sie hat sogar eine Gegen- und Scheinwirk­lichkeit konstruier­t.

In Ländern jenseits Europas heißt ein genaues Hinsehen übrigens „Pre-Employment Screening“oder „Degree Verificati­on“. In Europa steht dem ein antiquiert­er Datenschut­z entgegen: Bei uns kann sich jeder Doktor der Universitä­t N.N. nennen, ohne dass der Falschheit­sbeweis dieser Aussage mittels Direktanfr­age bei der Universitä­t N.N. zu erbringen wäre.

Ehrenkodex für Politiker

Wie wäre es einmal mit einem Ehrenkodex von politische­n Parteien, wonach sich Kandidaten zu ausnahmslo­s wahrheitsg­etreuen Angaben in Lebensläuf­en verpflicht­en, ihre Nebeneinkü­nfte transparen­t machen und ihre akademisch­en Abschlüsse und Schriften offenlegen?

Den Kampf um die Ehrlichkei­t glauben mir häufig jene nicht, die selbst unehrlich sind.

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