Wie rassistisch ist es eigentlich, Weißwein zu trinken?
Die Wahnidee, die deutsche Sprache moralisch zu desinfizieren, ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern wird auch ein immens politisches werden.
Die gute Nachricht: Die Wiener Linien haben das Schwarzfahren abgeschafft, so wie die U-BahnBetreiber in München und Berlin. Die schlechte Nachricht: Das heißt nicht, dass wir keine Tickets mehr brauchen, sondern bloß, dass der Begriff „Schwarzfahrer“abgeschafft wird; ein „Fahrgast ohne gültiges Ticket“blecht aber trotzdem eine happige Strafe.
Dass der Begriff „Schwarzfahrer“getilgt werden soll, dürfte auf eine Kampagne einer „Initiative Schwarze Menschen“zurückzuführen sein. Die hatte bereits 2019 gefordert: „Wir lehnen die Verwendung des Begriffs ’ Schwarzfahren’ ab. Ungeachtet der Frage, ob der Begriff schon ursprünglich für die Herabwürdigung von schwarzen Menschen durch die Assoziation mit Illegalität, strafbarem Verhalten, Betrug, dem verdächtig- und Fehlam-Platz-Sein verwendet wurde, entfaltet er in der rassistischen Gegenwart in Deutschland seit Jahrzehnten eben diese Wirkung.“
Nun haben wir ja bisher eher vermutet, „schwarze Menschen“würden aufgrund ihrer Hautfarbe manchmal am Wohnungs- oder am Arbeitsmarkt benachteiligt, wo es also reale Probleme gibt, die zu lösen sind. Dass hingegen der Begriff des „Schwarzfahrers“irgendjemanden kränkt, erschließt sich auch hoch empathischen Zeitgenossen nicht wirklich. Ganz offenbar hecheln hier personell überbesetzte städtische Betriebe einem leicht verblödeten Zeitgeist nach; anstelle endlich dafür zu sorgen, dass in Wien im Hochsommer nicht noch immer zahllose nicht klimatisierte Straßenbahnen unterwegs sind.
Verständigen wir uns aber wider jede Vernunft, derartige Begriffe zu tilgen, haben wir einen Berg Arbeit vor uns: Dann können wir künftig beim Italiener nicht mehr eine Flasche „Bianco“bestellen, weil das non-bianco-Menschen ausschließt; wird die Finanz nicht mehr gegen Schwarzgeld vorgehen können, müssen wir den Schwarzenbergplatz umbenennen (PoCbergplatz würde sich anbieten, obwohl das wegen „uralter weißer Mann“auch nicht geht). Und was macht eigentlich der geschätzte Kollege KarlPeter Schwarz?
Man würde einiges an schwarzem Humor brauchen, um das psychisch unbeschadet zu überstehen, doch der wird ja auch den Sprach-Taliban geopfert werden müssen – man muss kein Schwarzseher sein, um das zu behirnen. Ups, Schwarzseher geht natürlich auch nicht (Danke an Leser J. für den Hinweis!).
Heitere Charaktere werden die bizarr anmutenden Kulturkämpfe als Teil der intellektuellen Folklore des frühen 21. Jahrhunderts belächeln, leicht irre, aber auch irrelevant. Dass Schach rassistisch ist, weil weiß den ersten Zug macht; der Browser „Firefox“sein „Master-Passwort“in „Hauptpasswort“ändert, weil „Master“an Sklaverei erinnert und zum „Wachhalten von Rassismus“beitrage und im woken Milieu die harmlose Frage „Woher kommst du?“als Übergriff verstanden wird, klingt ja eher nach Klapsmühle denn nach Relevanz.
Doch es wäre ein Fehler, diese an Terrain gewinnende Bewegung zur Regulierung der Sprache durch selbst ernannte Tugendwächter als bloßes Zeitgeistphänomen abzutun. Denn der Kampf um die vermeintlich richtige Sprache ist immer auch ein politischer Kampf. Wer bestimmen kann, wie wir sprechen und schreiben dürfen und wie nicht, wird früher oder später auch darüber bestimmen können, wie wir leben dürfen – und vor allem wie nicht.
Jenes Milieu, das uns vorschreiben will, Begriffe wie „Schwarzfahrer“nicht mehr zu verwenden, ist ja personell und von den politischen Plattformen her weitgehend ident mit denen, die uns das Fliegen weitgehend untersagen wollen, den Fleischkonsum kriminalisieren und ganz insgesamt eine Welt der Kargheit, des Verzichts und der habituell schlechten Laune errichten wollen.
Sich gegen die Taliban des Gutmenschentums zu wehren, ist daher nicht nur eine ästhetische Notwendigkeit, sondern vor allem eine politische. Venceremos!
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Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.
Morgen in „Quergeschrieben“: Anneliese Rohrer
Wer bestimmen kann, wie wir sprechen dürfen, wird früher oder später bestimmen können, wie wir leben dürfen.