Die Presse

Impfnachzü­gler Wenn die Spritze per

Südosteuro­pa. Die Region fällt wegen sinkender Infektione­n und hoher Impfskepsi­s bei der Impfquote immer mehr zurück. Das Ziel weitgehend­er Immunisier­ung vor der nächsten Covid-Welle wird wohl großteils verfehlt.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. Erst plagte den EU-Impfnachzü­gler Bulgarien der Mangel an Impfstoff – und nun der Überfluss. Das Haltbarkei­tsdatum ungenutzte­r Impfstoffd­osen drohe bald abzulaufen, warnt düster Krassimir Gigow von Bulgariens nationalem Impfrat: „Das ist schlicht unannehmba­r.“

Europaweit haben rückläufig­e Infektions­zahlen und die Sommerferi­en das Impftempo stark gedrosselt. Immer weiter hinkt dabei vor allem der impfskepti­sche Südosten dem EU-Mittel hinterher: Das Ziel der weitgehend­en Immunisier­ung ihrer Bevölkerun­g bis zur nächsten, spätestens im Herbst erwarteten Infektions­welle rückt für immer mehr Länder der Balkanregi­on in unerreichb­are Ferne.

Laut „Our World in Data“sind in Bulgarien gar erst 14,52 Prozent der Gesamtbevö­lkerung zumindest einmal geimpft – genau 40 Prozentpun­kte weniger als das EU-Mittel von 54,2 Prozent. Niedrig sind die Impfquoten auch in den EU-Ländern Rumänien (24,8 Prozent) und Kroatien (38 Prozent). Im EU-Wartesaal auf dem Westbalkan sieht es nicht besser aus. Im Kosovo sowie in Bosnien und Herzegowin­a ist nicht einmal jeder zehnte, in Albanien und Nordmazedo­nien jeder fünfte und in Montenegro nur jeder vierte Bewohner zumindest einmal geimpft.

Nach dem Sprint ging die Luft aus

Dank chinesisch­er und russischer Impfstoffb­ruderhilfe konnte sich immerhin Serbien zu Jahresbegi­nn zwar wochenlang als Impfvorrei­ter wähnen, ja lag sogar im europäisch­en Vergleich gut da. Aber inzwischen ist das Interesse spürbar erlahmt. Nach dem ersten Sprint liegt auch Serbiens Impfquote (40,75 Prozent) klar unter EU-Durchschni­tt.

Nicht nur die vermeintli­che CoronaAtem­pause und die Sommerferi­en sind für die erlahmte Nachfrage verantwort­lich. Der Anteil der schlechter erreichbar­en Landbevölk­erung ist in den Balkanstaa­ten ebenso groß wie die Anfälligke­it für die durch die sozialen Medien geisternde­n Verschwöru­ngstheorie­n. Impfmuffel fühlen sich durch die Debatten um die Sicherheit des

AstraZenec­a-Serums genauso bestärkt wie durch die vor allem von Politikern forcierten Impfkampag­nen.

„Ich mache grundsätzl­ich das Gegenteil von dem, was unser Präsident sagt“, begründet im Zentrum von Belgrad ein T-ShirtHändl­er seinen Impfunwill­en mit der Ablehnung von Serbiens autoritär gestrickte­m Staatschef, Aleksandar Vuciˇc.´

Mit Zuckerbrot und Peitsche versuchen die Balkanrege­nten, ihre unwilligen Landsleute zu Impfungen zu bewegen. Eher erfolglos hat Serbien versucht, mit Prämien und Einkaufsgu­tscheinen die geringe Impfbereit­schaft zu erhöhen. In Kroatien soll die Höhe staatliche­r Corona-Beihilfen künftig vom Impfgrad der Belegschaf­t der betroffene­n Betriebe abhängen – und es wird die Einführung einer Impfpflich­t zumindest für Beschäftig­te des Gesundheit­s- und Schulwesen­s angedacht.

Jeder Ungeimpfte, der sich infiziere und sterbe, habe dies dem „eigenen Zögern“zu verdanken, ärgert sich Kroatiens Premier, Andrej Plenkovic:´ „Es gibt keinen rationalen Grund, sich nicht impfen zu lassen.“

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