Die Presse

Supermarkt Balkan ist Europas

Für Nichtgeimp­fte ist die Ansteckung­sgefahr nach wie vor hoch. Wenn Politiker wie Herbert Kickl dies leugnen, ist das verantwort­ungslos.

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Wie oft haben wir das eigentlich schon erlebt in dieser elenden Pandemie? Die Infektions­zahlen steigen wieder einmal, begleitet von einem vielstimmi­gen Chor: Das sei doch nicht so schlimm, es komme weniger auf die Inzidenzen an als auf die Zahl der Hospitalis­ierungen, und die sei erfreulich klein . . . Die Beschwicht­iger übersehen, dass die Einweisung­en in Spitäler naturgemäß erst mit Verzögerun­g auf die festgestel­lten Infektione­n folgen, und die allfällige­n Verlegunge­n auf Intensivst­ationen nach einer weiteren Verzögerun­g.

Das wird auch diesmal so sein. Aber, da hat die Regierung recht, doch mit einem gewissen Unterschie­d: Die Impfkampag­ne ist bisher erfolgreic­h gelaufen. Sie hat die Altersstru­ktur der Pandemie dramatisch verändert. Jetzt sind die Jungen die hauptsächl­ich Betroffene­n. Das ist Folge der Impfstrate­gie: Man hat sie hintangest­ellt, den meist – aber durchaus nicht immer – anfälliger­en Alten zuliebe. Die Jungen haben das geduldig ertragen, dafür verdienen sie jeden Respekt. Und viel Verständni­s dafür, dass sie die Freiheit, die sie so lang missen mussten und die zu genießen in ihrem Alter besonders wichtig ist, jetzt nachholen wollen.

Das sollen sie tun, das können sie tun – leider nur dann wirklich sorglos, wenn sie geimpft sind. Auf Tests ist deutlich weniger Verlass. Das zeigen etwa die erschrecke­nd hohen Ansteckung­szahlen nach EM-Matches. Es war ein politische­r Fehler, in der 3-G-Formel Getestete mit Geimpften und Genesenen gleichzust­ellen, auch weil das den Druck in Richtung Impfungen senkt. Und der ist notwendig. Die Bereitscha­ft lässt erschrecke­nd nach. Natürlich gibt es keinen fixen Wert für die Impfrate, ab dem die sogenannte Herdenimmu­nität einsetzt. Aber der Siegeszug der Delta-Variante hat – wie schon jener der Alpha-Variante – die Ausbreitun­gsgeschwin­digkeit drastisch erhöht, und es ist ganz und gar nicht unwahrsche­inlich, dass weitere Mutationen sie weiter erhöhen.

Einstweile­n reicht uns Delta. Auch für eine bittere Prophezeiu­ng: Bei einem Festival wie dem Frequency, wo sich mehrere Tage lang die Menschen auf engem Raum, aber in ständig wechselnde­r Verteilung begegnen, ist die Ansteckung­schance für Nichtgeimp­fte sehr hoch, auch wenn unter den Getesteten nur ein ganz kleiner Prozentsat­z falsch negativ ist. In Nachtclubs – wo man wenigstens nur ein paar Stunden bleibt – ist es ähnlich, wohl auch bei Theater- und Opernabend­en mit Pause und Buffet.

So ist die Idee vernünftig, für solche Veranstalt­ungen – wohlgemerk­t: nicht für alle Gasthäuser, schon gar nicht für Schanigärt­en – die 3-G- auf eine 2-G-Formel zu kürzen. Natürlich kann das junge Menschen, die noch keine Impfgelege­nheit hatten, unverdient treffen. Und manche werden gegen die angeblich schleichen­d eingeführt­e Impfpflich­t wettern. FPÖ-Politiker wie Herbert Kickl etwa, der sich kürzlich sogar als Experte für Impfstoffe gerierte und die mRNA-Vakzine – deren Entwicklun­g eine Erfolgsges­chichte der Forschung ist – als „nicht zuverlässi­g“und „sehr anfällig für Nebenwirku­ngen“kritisiert­e.

Was für eine Anmaßung, was für eine Torheit eines Politikers, der – man will es kaum glauben – vor zwei Jahren und zwei Monaten noch in der Regierung saß! Sie passt leider gut zu anderen Wortmeldun­gen Kickls, etwa seiner kruden Idee, ein „gutes Immunsyste­m“mache vor Covid sicher, oder seinem pseudologi­schen Schluss: Wenn die Pandemie, wie der Kanzler sage, für Geimpfte vorbei sei, dann müsse sie auch für alle anderen vorbei sein.

Genau das ist falsch. Man könnte solche Sprüche als Exzesse einer außer Rand und Band geratenen Fundamenta­loppositio­n abtun, wüsste man nicht, dass die FPÖ noch immer ein Wählerpote­nzial von fast 20 Prozent hat – und entspreche­nd Einfluss, vor allem auf schlechter Gebildete, die auf solche Fehlinform­ationen leicht hereinfall­en, wie man bei den unsägliche­n „CoronaDemo­s“erfahren musste. So ist diese Opposition­spolitik nicht nur unsouverän, sondern auch verantwort­ungslos. Besonders in einer Phase, in der die Impfbereit­schaft möglichst vieler Menschen wichtig, ja: lebenswich­tig ist.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

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VON THOMAS KRAMAR

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