Die Presse

„Wer die klügsten Lösungen findet, steht auf der Polepositi­on für den Wohlstand“

Was ist notwendig, damit Österreich zu den wettbewerb­sfähigsten Ländern aufschließ­en kann und zugleich ehrgeizige Klimaziele realisierb­ar sind? Antworten von IV-Präsident Georg Knill.

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Vor ziemlich genau einem Jahr wurden Sie zum Präsidente­n der Industriel­lenvereini­gung gewählt. Wie fällt Ihre persönlich­e Bilanz bis dato aus?

Die coronabedi­ngten Einschränk­ungen haben uns allen alles abverlangt bzw. sind immer noch ein massives Thema. Denken wir etwa an die Reisebesch­ränkungen, die nach wie vor aufrecht sind. Und dennoch: Es ist beeindruck­end, wie rasch sich die Industrie als Anker der Stabilität wieder hochgearbe­itet hat. Die Industrie als kräftige Lokomotive sichert und schafft Arbeitsplä­tze und nachhaltig­es Wachstum. Bei der Industriel­lenvereini­gung haben wir uns erfolgreic­h dafür eingesetzt, dass die Unternehme­n und Beschäftig­ten gut durch die Krise und gestärkt aus der Krise kommen. Die Investitio­nsprämie war ebenso eine Erfolgsges­chichte wie die betrieblic­hen Testungen als Teil der nationalen Teststrate­gie, die praktikabl­e Homeoffice-Lösung und die Kurzarbeit­sregeln.

Was haben Sie zu Ihrem Dienstantr­itt geändert?

Für mich hat Vorrang, die Interessen unserer Mitglieder zu vertreten. Unsere Prioritäte­nsetzung erfolgt daher im direkten Austausch mit ihnen. Klar ist, dass Interessen­vertretung im Jahr 2021 anders funktionie­rt als vor zehn oder 20 Jahren. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit meinem Team rund um Sabine Herlitschk­a, Philipp von Lattorff und F. Peter Mitterbaue­r in den vergangene­n Monaten intensiv für eine nachhaltig­e Wirtschaft­spolitik stark gemacht.

Wie sieht moderne Interessen­vertretung für Sie aus?

Die Stärke der IV ist das Know-how, die Erfahrung unserer Mitglieder und die Expertise unserer Mitarbeite­r. Wir reden hier von Unternehme­rinnen und Unternehme­rn bzw. Führungskr­äften, die mit ihren Betrieben in den unterschie­dlichsten Branchen auf der ganzen Welt erfolgreic­h tätig sind. Mir ist sehr wichtig, dass dieses Wissen in unsere Arbeit noch stärker einfließt. Ich persönlich setze daher stark auf direkte Kommunikat­ion, ob in den Bundesländ­ern oder in unseren IVAusschüs­sen, in denen sich rund 900 IV-Mitglieder mit industrier­elevanten Themen beschäftig­en und die großen Zukunftsth­emen aktiv gestalten.

Welche Schwerpunk­te werden Sie und ihr Team in den nächsten Monaten setzen?

Die Wirtschaft­skrise ist vorbei, auch wenn uns Corona noch weiterhin begleiten wird. Gemeinsam mit den Unternehme­n haben wir eine Industries­trategie entwickelt. Dabei geht es darum, wie wir als Exportland am globalen Aufschwung teilhaben können und in Summe nicht nur das Vorkrisenn­iveau erreichen, sondern über uns hinauswach­sen.

Das kann gelingen, indem . . .

. . . wir die großen Herausford­erungen der Zukunft als Chance nutzen: Qualifizie­rung, Digitalisi­erung und Ökologisie­rung. Wer hier die klügsten Lösungen findet, steht auf der Polepositi­on für den Wohlstand von morgen. Das kann die österreich­ische Industrie und das wollen wir für Österreich sichern. Ich war in den vergangene­n Wochen bei IV-Sommerempf­ängen in fünf Bundesländ­ern zu Gast. Aus der Vielzahl an Rückmeldun­gen wissen wir, dass für die Mehrheit der Unternehme­n der Fachkräfte­mangel neben der derzeit schwierige­n Verfügbark­eit von wichtigen Rohstoffen zu den größten Problemen zählt.

Welche Maßnahmen schlägt die Industrie konkret vor?

Eine umfassende Fachkräfte­strategie, die auf den drei Säulen Ausund Weiterbild­ung, qualifizie­rte Zuwanderun­g und Verbesseru­ng der Frauenerwe­rbsquote aufbaut. Um das Problem richtig anzugehen, müssen zunächst bestehende Analysen und Prognosen zu Themen wie etwa Industrie 4.0 und Digitalisi­erung aufgegriff­en werden. Die Erkenntnis daraus müssen wir dann den aktuell verfügbare­n Kompetenzp­rofilen und dem zukünftige­n Kompetenzb­edarf am österreich­ischen Arbeitsmar­kt gegenübers­tellen. Darauf aufbauend sollte es klare Empfehlung­en an die Politik geben, was etwa Kompetenze­ntwicklung in der Aus- und Weiterbild­ung oder in der Arbeitsmar­ktpolitik betrifft.

Ein weiteres Thema, das für die Industrie lang ein Reizthema war, ist der Klimaschut­z . . .

Hier möchte ich mit einem Missverstä­ndnis aufräumen: Die Industrie ist kein Bremser beim Klimaschut­z, wir sind Vorreiter. Wir sind seit vielen Jahrzehnte­n Pionier im Klimaschut­z und nicht erst seitdem das Thema in aller Munde ist. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die österreich­ische Papierindu­strie hat etwa ihre CO2-Emissionen pro Tonne Papier seit 1990 um 40 Prozent reduziert. Auch die heimische Eisen- und Stahlindus­trie setzt Benchmarks in Sachen Nachhaltig­keit.

Aber wir müssen auch über die zweite Seite der Medaille sprechen: Statt unrealisti­scher Ziele oder ideologisc­her Debatten brauchen wir – die Unternehme­rinnen und Unternehme­r – Klarheit über die Rahmenbedi­ngungen, wie Ziele erreicht und umgesetzt werden können. Es reicht nicht, Klimaneutr­alität per Gesetz vorzuschre­iben. Die Energiewen­de steht und fällt mit der Akzeptanz der Bevölkerun­g. Ideologisc­h getriebene Klimapolit­ik kann den Wohlstand in unserem Land gefährden.

Was ist notwendig, damit Österreich seine Klimaziele erreichen kann?

Wir brauchen eine vernünftig­e, ehrliche und faktenbasi­erte Klimapolit­ik. Diese muss so gestaltet sein, dass dem Klima geholfen wird, aber Produktion im Land weiter möglich und wirtschaft­lich sinnvoll ist. Für viele Betriebe ist Klimaschut­z eine Chance. Aber wir brauchen auch für jene Unternehme­n eine Lösung, für die hohe Energiekos­ten ein zentraler Wettbewerb­sfaktor sind.

Wie kann man die heimischen Unternehme­n am besten unterstütz­en?

Nachhaltig­er Klimaschut­z und energieint­ensive Produktion können und müssen eine gemeinsame Zukunft in Österreich haben. Dafür müssen die betroffene­n Unternehme­n aber unterstütz­t werden. Es braucht eine Kompensati­on der Kosten, die nicht am weltweiten Markt untergebra­cht werden können. Konkret schlagen wir hier einen Industrie-Dekarbonis­ierungs-Fonds vor.

Sie haben in einem Gastkommen­tar im „Trend“die Art und Wiese kritisiert, wie über Klimaschut­z diskutiert wird . . .

Klimaschut­z kostet ein Vermögen und ist am Ende von den Konsumente­n und Steuerzahl­ern zu tragen. Diese unbequeme, aber fundamenta­le Wahrheit muss klar kommunizie­rt werden. Ein weiterer Punkt sind die Genehmigun­gsverfahre­n. Das Ziel 100 Prozent erneuerbar­e Energie bis 2030 ist aus den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit nicht realistisc­h, da die Genehmigun­gen zum Bau der neuen Energieque­llen und Energiespe­icher zeitgerech­t erfolgen müssen. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: die zusätzlich­e „Evaluierun­g“, ein de facto Umsetzungs­stopp, wichtiger bereits vereinbart­er und – oft jahrzehnte­lang – geprüfter Infrastruk­turvorhabe­n der Asfinag. Dass es nach jahrelange­n gerichtlic­hen Verfahren nun durch eine politische Entscheidu­ng zu neuerliche­n Verzögerun­gen kommt, ist weder nachvollzi­ehbar noch akzeptabel.

Zum Abschluss: Was erwarten Sie vom zweiten Halbjahr 2021?

Der Aufschwung läuft und hat weite Teile der Volkswirts­chaft erfasst. Wie stark und nachhaltig dieser ausfällt, hängt auch maßgeblich von den Rahmenbedi­ngungen für die Unternehme­n ab.

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[ Foto: IV/Alexander Müller ] Georg Knill, seit 2019 Präsident der IV.

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