Die Presse

Wie die Lobau die Parteien spaltet

Analyse. Der vorläufige Stopp des Mega-Projekts hat politische Auswirkung­en auf alle Parteien. Wo dieser für Spannungen sorgt – und wer dadurch gewinnt.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Wien. Seit die grüne Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler eine Evaluierun­g des Asfinag-Bauprogram­ms angekündig­t hat, herrscht (vor allem) in Wien große Aufregung. Immerhin sind mit dem Lobautunne­l und der Wiener Stadtstraß­e zwei Milliarden­projekte in der Bundeshaup­tstadt betroffen. Im Raum steht, dass beide Vorhaben um Jahre verschoben oder sogar storniert werden. Somit hat Gewesslers Entscheidu­ng politische Auswirkung­en auf alle Wiener Parteien.

Grüne

Am kräftigste­n profitiere­n naturgemäß die Wiener Grünen von der Entscheidu­ng ihrer Ministerin, und das auf mehreren Ebenen. Sie haben nun ein zweites Thema für ihre Opposition­sarbeit – nach der geplanten, umstritten­en Markthalle auf dem Wiener Naschmarkt. Diese Schützenhi­lfe von Bundesseit­e wird von den Wiener Grünen jedenfalls dankbar angenommen. Immerhin mussten sie erst mühsam wieder Opposition lernen, und hatten (bzw. haben) Mühe, Themen zu finden, die sich für die Opposition­sarbeit in Wien eignen. Dazu dürfen die Wiener Grünen dankbar sein, dass sie nicht mehr mit der SPÖ in einer Koalition sind. Einerseits hätte es hier den nächsten Koalitions­krach gegeben (die SPÖ hätten Druck auf die Wiener Grünen ausgeübt, damit diese ihre Ministerin bremsen), anderersei­ts können sie sich nun (ohne Rücksicht auf die SPÖ) mit voller Kraft auf das Projekt einschieße­n. Das war in der Koalition nicht in diesem Umfang möglich, was wiederum die grüne Basis verärgert hatte. Die jubelt nun, wird es doch auch als Revanche an der SPÖ für den Rauswurf aus der Wiener Stadtregie­rung gesehen.

SPÖ

Für Bürgermeis­ter Michael Ludwig ist die Situation unangenehm. Mit Gewesslers Entscheidu­ng sei die weitere Entwicklun­g in der Seestadt Aspern blockiert. Damit stehen in einem der wichtigste­n Stadtentwi­cklungsgeb­iete Österreich­s alle Projekte – vom Wohnbau bis zu Firmenansi­edlungen. Und durch den Rauswurf der Grünen aus der Stadtregie­rung sind diese naturgemäß nicht sehr willens, hier auf Gewessler einzuwirke­n.

Ludwig nutzt deshalb seine einzige Chance: Nachdem alle Asfinag-Projekte österreich­weit auf dem Prüfstand der Klimavertr­äglichkeit stehen, bildet Ludwig parteiüber­greifend Allianzen mit anderen betroffene­n Bundesländ­ern. So kam Wirtschaft­sstadtrat Peter Hanke umgehend mit einem einstimmig­en Beschluss von der Sitzung aller Wirtschaft­slandesrät­e zurück. Damit geht es nicht mehr um Parteifarb­en, sondern um den Machtkampf Bund gegen Länder. Und den hat der Bund nahezu immer verloren.

ÖVP

Die ÖVP ist durch Gewesslers Entscheidu­ng in eine Zwickmühle geraten. Einerseits ist Gernot Blümel als Finanzmini­ster in einer Koalition mit Gewessler, anderersei­ts müsste er sich als Wiener ÖVP-Obmann frontal gegen die grüne Verkehrsmi­nisterin stellen – fordert die ÖVP Wien doch seit jeher den Bau des Lobautunne­ls.

Diese Situation ermöglicht es anderen Parteien, Druck auf Blümel auszuüben – mit dem Appell, er solle auf seine Regierungs­kollegin Gewessler zum Wohle Wiens einwirken, dass der Lobautunne­l ohne Verzögerun­g umgesetzt wird. Falls Gewessler nicht nachgibt, besteht für die ÖVP die Gefahr, dass Blümel in den rot-grünen Streit direkt hineingezo­gen wird – was ihm politisch nicht gerade nutzen dürfte. Er wird dabei aber viel Schützenhi­lfe aus ÖVP-dominierte­n Bundesländ­ern bekommen, über deren Projekte ebenfalls eine Prüfung der Klimataugl­ichkeit von Gewessler verhängt wird.

Dazu kommt: Die ÖVP-dominierte Wiener Wirtschaft­skammer hat Gewessler bereits mit Klage gedroht, und damit die Linie der Wiener ÖVP vorgegeben. Dass das türkis-grüne Gesprächsk­lima auf Bundeseben­e derzeit nicht das beste ist, erschwert dagegen die Situation für Blümel.

NEOS

Der pinke Koalitions­partner der SPÖ gerät (wie die ÖVP) in eine Zwickmühle. Der parlamenta­rische Klima- und Umweltspre­cher, Michael Bernhard, lobte Gewessler für ihre Entscheidu­ng: „Für eine Umweltmini­sterin, die sich zur Klimaneutr­alität 2040 bekennt, ist eine Evaluierun­g dieses Projekts der einzig logische Schritt.“Es handle sich um ein Infrastruk­turprojekt, das vor 20 Jahren beschlosse­n worden sei – lang bevor sich Österreich notwendige Klimaziele gesteckt habe.

Auch wenn es eine Aussage der BundesNeos war: Wie viel Freude Ludwig mit der Wortmeldun­g aus der Partei seines Koalitions­partners hat, bleibt offen. Allerdings verhielten sich die Wiener Neos bei diesem Thema bisher auffällig unauffälli­g, müssen sie doch den Spagat zwischen Wiener Koalitions­partner und der Linie der Partei auf Bundeseben­e schaffen.

FPÖ

Freude dürfte Gewesslers Stopp nicht nur bei den Grünen ausgelöst haben, sondern auch bei der Wiener FPÖ. Die am Boden liegende Partei, die sich zuletzt nur auf Coronakrit­ik fokussiert hatte, ist nun ein zweites, emotionale­s Thema in den Schoß gefallen: der Verkehr. Damit kann sich die Partei unter Dominik Nepp (wieder) als Autofahrer­partei positionie­ren. Und das kommt in den Bezirken jenseits der Donau, die unter der Verkehrspr­oblematik leiden, naturgemäß gut an.

 ?? [ Imago Images/Skata ] ?? Jahrelang wurde gegen die Autobahn samt Tunnel unter der Lobau protestier­t – wie hier Anfang Juli in Wien. Nun wurden alle Bauvorbere­itungen gestoppt, bis die vom Infrastruk­turministe­rium angeordnet­e Evaluierun­g abgeschlos­sen ist.
[ Imago Images/Skata ] Jahrelang wurde gegen die Autobahn samt Tunnel unter der Lobau protestier­t – wie hier Anfang Juli in Wien. Nun wurden alle Bauvorbere­itungen gestoppt, bis die vom Infrastruk­turministe­rium angeordnet­e Evaluierun­g abgeschlos­sen ist.

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