Wie die Lobau die Parteien spaltet
Analyse. Der vorläufige Stopp des Mega-Projekts hat politische Auswirkungen auf alle Parteien. Wo dieser für Spannungen sorgt – und wer dadurch gewinnt.
Wien. Seit die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler eine Evaluierung des Asfinag-Bauprogramms angekündigt hat, herrscht (vor allem) in Wien große Aufregung. Immerhin sind mit dem Lobautunnel und der Wiener Stadtstraße zwei Milliardenprojekte in der Bundeshauptstadt betroffen. Im Raum steht, dass beide Vorhaben um Jahre verschoben oder sogar storniert werden. Somit hat Gewesslers Entscheidung politische Auswirkungen auf alle Wiener Parteien.
Grüne
Am kräftigsten profitieren naturgemäß die Wiener Grünen von der Entscheidung ihrer Ministerin, und das auf mehreren Ebenen. Sie haben nun ein zweites Thema für ihre Oppositionsarbeit – nach der geplanten, umstrittenen Markthalle auf dem Wiener Naschmarkt. Diese Schützenhilfe von Bundesseite wird von den Wiener Grünen jedenfalls dankbar angenommen. Immerhin mussten sie erst mühsam wieder Opposition lernen, und hatten (bzw. haben) Mühe, Themen zu finden, die sich für die Oppositionsarbeit in Wien eignen. Dazu dürfen die Wiener Grünen dankbar sein, dass sie nicht mehr mit der SPÖ in einer Koalition sind. Einerseits hätte es hier den nächsten Koalitionskrach gegeben (die SPÖ hätten Druck auf die Wiener Grünen ausgeübt, damit diese ihre Ministerin bremsen), andererseits können sie sich nun (ohne Rücksicht auf die SPÖ) mit voller Kraft auf das Projekt einschießen. Das war in der Koalition nicht in diesem Umfang möglich, was wiederum die grüne Basis verärgert hatte. Die jubelt nun, wird es doch auch als Revanche an der SPÖ für den Rauswurf aus der Wiener Stadtregierung gesehen.
SPÖ
Für Bürgermeister Michael Ludwig ist die Situation unangenehm. Mit Gewesslers Entscheidung sei die weitere Entwicklung in der Seestadt Aspern blockiert. Damit stehen in einem der wichtigsten Stadtentwicklungsgebiete Österreichs alle Projekte – vom Wohnbau bis zu Firmenansiedlungen. Und durch den Rauswurf der Grünen aus der Stadtregierung sind diese naturgemäß nicht sehr willens, hier auf Gewessler einzuwirken.
Ludwig nutzt deshalb seine einzige Chance: Nachdem alle Asfinag-Projekte österreichweit auf dem Prüfstand der Klimaverträglichkeit stehen, bildet Ludwig parteiübergreifend Allianzen mit anderen betroffenen Bundesländern. So kam Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke umgehend mit einem einstimmigen Beschluss von der Sitzung aller Wirtschaftslandesräte zurück. Damit geht es nicht mehr um Parteifarben, sondern um den Machtkampf Bund gegen Länder. Und den hat der Bund nahezu immer verloren.
ÖVP
Die ÖVP ist durch Gewesslers Entscheidung in eine Zwickmühle geraten. Einerseits ist Gernot Blümel als Finanzminister in einer Koalition mit Gewessler, andererseits müsste er sich als Wiener ÖVP-Obmann frontal gegen die grüne Verkehrsministerin stellen – fordert die ÖVP Wien doch seit jeher den Bau des Lobautunnels.
Diese Situation ermöglicht es anderen Parteien, Druck auf Blümel auszuüben – mit dem Appell, er solle auf seine Regierungskollegin Gewessler zum Wohle Wiens einwirken, dass der Lobautunnel ohne Verzögerung umgesetzt wird. Falls Gewessler nicht nachgibt, besteht für die ÖVP die Gefahr, dass Blümel in den rot-grünen Streit direkt hineingezogen wird – was ihm politisch nicht gerade nutzen dürfte. Er wird dabei aber viel Schützenhilfe aus ÖVP-dominierten Bundesländern bekommen, über deren Projekte ebenfalls eine Prüfung der Klimatauglichkeit von Gewessler verhängt wird.
Dazu kommt: Die ÖVP-dominierte Wiener Wirtschaftskammer hat Gewessler bereits mit Klage gedroht, und damit die Linie der Wiener ÖVP vorgegeben. Dass das türkis-grüne Gesprächsklima auf Bundesebene derzeit nicht das beste ist, erschwert dagegen die Situation für Blümel.
NEOS
Der pinke Koalitionspartner der SPÖ gerät (wie die ÖVP) in eine Zwickmühle. Der parlamentarische Klima- und Umweltsprecher, Michael Bernhard, lobte Gewessler für ihre Entscheidung: „Für eine Umweltministerin, die sich zur Klimaneutralität 2040 bekennt, ist eine Evaluierung dieses Projekts der einzig logische Schritt.“Es handle sich um ein Infrastrukturprojekt, das vor 20 Jahren beschlossen worden sei – lang bevor sich Österreich notwendige Klimaziele gesteckt habe.
Auch wenn es eine Aussage der BundesNeos war: Wie viel Freude Ludwig mit der Wortmeldung aus der Partei seines Koalitionspartners hat, bleibt offen. Allerdings verhielten sich die Wiener Neos bei diesem Thema bisher auffällig unauffällig, müssen sie doch den Spagat zwischen Wiener Koalitionspartner und der Linie der Partei auf Bundesebene schaffen.
FPÖ
Freude dürfte Gewesslers Stopp nicht nur bei den Grünen ausgelöst haben, sondern auch bei der Wiener FPÖ. Die am Boden liegende Partei, die sich zuletzt nur auf Coronakritik fokussiert hatte, ist nun ein zweites, emotionales Thema in den Schoß gefallen: der Verkehr. Damit kann sich die Partei unter Dominik Nepp (wieder) als Autofahrerpartei positionieren. Und das kommt in den Bezirken jenseits der Donau, die unter der Verkehrsproblematik leiden, naturgemäß gut an.