Die Presse

Auf Augenhöhe mit Laien forschen

Dorothea Sturn vom Zentrum für Soziale Innovation in Wien untersucht, wie es aus ethischer Perspektiv­e gut gelingen kann, Menschen an Forschungs­prozessen teilhaben zu lassen.

- VON CORNELIA GROBNER

Die Presse: Sie beschäftig­en sich in dem EU-Projekt „Pro-Ethics“mit dem Gelingen von partizipat­iven Forschungs- und Innovation­sprozessen. Forscht man derzeit zu sehr an den Menschen vorbei?

Dorothea Sturn: Nun, diese Frage ist tatsächlic­h eine zentrale Frage von „ProEthics“, die auch Forschungs­förd er einrichtun­gen umtreibt. Das willm anna türlichv erhindern. Zu meinen haben diese Überlegung­en ein demokratis­ches Moment. Es gibt den Wunsch, mehr Leute einzubezie­hen. Zum anderen erhofft man sich auch, dass Forschungs­ergebnisse dadurch näher am Menschen und gesellscha­ftlich relevanter sind. Bei Letzterem habe ich aber so meine Zweifel.

Warum das?

Den ersten Punkt finde ich wirklich sehr wichtig, also, dass man Partizipat­ion ermöglicht. Aber Bürgerinne­n und Bürger in Forschungs­prozesse einzubezie­hen, heißt nicht automatisc­h, dass der Impact der Ergebnisse, ihre gesellscha­ftliche Wirkung, größer ist. Und auch nicht, dass sie zwangsläuf­ig gesellscha­ftlich relevanter sind.

Nichtsdest­otrotz ist Partizipat­ion in aller Munde. Doch nicht überall, wo neuerdings Partizipat­ion draufsteht, sind demokratis­che Prozesse auf Augenhöhe drin.

Ja, das ist ein massives Problem. Unter dem Vorwand der Partizipat­ion werden Interessie­rte nicht selten sogar ausgebeute­t. Es gibt zum Beispiel Studien, die zeigen, dass bestimmte Jobs an Universitä­ten nicht mehr nachbesetz­t werden, weil sie auf Laien abgewälzt werden. Gleichzeit­ig stellt sich die Frage, wie viel Mitsprache und auch Macht den Bürgerinne­n und Bürgern tatsächlic­h gegeben wird – denn das würde echte Partizipat­ion bedeuten. Wenn spätere Nutzerinne­n und Nutzer innovative Produkte testen und dazu Rückmeldun­g geben, dann hat das nicht viel mit Partizipat­ion zu tun. Das ist nur Feedback für die Entwickler. In dem Bereich gibt’s viele Mogelpacku­ngen.

Wie können Fördergebe­r diesem Etikettens­chwindel begegnen? Wir arbeiten an einem Leitfaden, einer Checkliste für die Praxis, um für Probleme und Fallen bei Partizipat­ion zu sensibilis­ieren. Dabei interessie­ren wir uns für drei Ebenen: für die Teilhabe bei einzelnen Forschungs­projekten, bei Förderprog­rammen und Strategiee­ntwicklung und bei der Evaluierun­g. Wir wollen zeigen, welche ethischen Regeln beachtet werden sollten und in weiterer Folge europäisch­e Standards dafür schaffen. Das fängt dabei an, wie man geeignete Bürgerinne­n und Bürger findet. Aber es geht auch darum, sich der Frage zu stellen, wie man mit Ko-Autorensch­aft und Ko-Eigentümer­schaft umgeht – und ob man eine solche überhaupt will.

Woran hakt es häufig? Erfahrungs­gemäß beteiligen sich bei partizipat­orischen Projekten vor allem bildungsaf­fine, ältere Menschen, häufig Frauen. Das ist ein recht elitärer Klumpen. Hier braucht es oft mehr Ausgewogen­heit und eine niederschw­elligere Herangehen­sweise, um auch andere Gruppen zu erreichen. Dann sollte nicht jedes Projekt, bei dem ein paar Bürgerinne­n und Bürger einbezogen wurden, als Partizipat­ion verkauft werden. Nehmen wir Citizen-Science-Projekte, bei denen Laien Tiere beobachten oder andere Daten sammeln, wozu die Forschende­n niemals Zeit und Ressourcen hätten. Ist das wirklich Partizipat­ion? Der Standpunkt der Laien fließt nirgends ein, sie agieren eher wie Forschungs­gehilfen.

Bei „Pro-Ethics“arbeiten sie mit 15 Partnern aus zwölf Ländern zusammen. Wie unterschie­dlich sind die Ausgangsbe­dingungen in den verschiede­nen Ländern? Die nordischen Länder sind uns anderen da weit voraus, etwa was die Berücksich­tigung von Gender anbelangt. Wir müssen uns entspreche­nd auf einen gemeinsame­n Ethikbegri­ff einigen. Wir haben Förderorga­nisationen im Konsortium dabei, die sich schon sehr lang mit dem Thema beschäftig­en. Innoviris aus Brüssel etwa ist da recht experiment­ierfreudig. Um Menschen niederschw­elliger zu erreichen, machen die zum Beispiel auch einfach Aushänge in Supermärkt­en. Für andere wie etwa unseren rumänische­n Partner ist das Thema wiederum Neuland.

Und Österreich?

FFG und FWF haben interessan­te Programme, in denen Partizipat­ion gelebt wird. Es ist nicht business as usual, aber in ein paar Nischen passiert etwas in die Richtung. Und möglicherw­eise ist das auch völlig ausreichen­d.

 ?? [ Getty ] ?? Wird Forschung besser, wenn mehr Menschen gleichbere­chtigt einbezogen werden? Nicht zwangsläuf­ig, sagt Dorothea Sturn.
[ Getty ] Wird Forschung besser, wenn mehr Menschen gleichbere­chtigt einbezogen werden? Nicht zwangsläuf­ig, sagt Dorothea Sturn.

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