Die Presse

Mondlandsc­haft mit Pop und Rock ’n’ Roll

Island. Der heutige Flughafen Keflav´ık war 60 Jahre lang ein Luftwaffen­stützpunkt der Amerikaner. Ihm und seinem Radiosende­r ist es zu verdanken, dass sich auf der Halbinsel Reykjanes in Island eine blühende Musikszene entwickelt­e.

- VON STEFANIE BISPING

Der Sänger A´sgeir sitzt mit seiner Gitarre auf einem verschliss­enen Sessel im Studio Geimsstein­n. An den Wänden hängen Gitarren und ein Konzertpla­kat von Islands größtem Star, Ru´nar Ju´l´ıusson, im Büro nebenan wachsen Plattensch­ränke bis unter die Decke. Vom nahen Flughafen Keflav´ık ist nichts zu hören, stattdesse­n wärmen die melodische­n Klänge von A´sgeirs Gitarre und seiner Stimme den nasskalten Morgen. Der 1992 geborene SingerSong­writer singt ein Lied, dessen Text sein Vater geschriebe­n hat, der Dichter Einar Georg Einarsson. Jeder zehnte Isländer hat das Album gekauft, auf dem es erschienen ist.

In dem Land mit 350.000 Einwohnern sind alle Wege kurz, oft ist man miteinande­r bekannt, nicht selten verwandt oder verschwäge­rt. Kristinn Jonsson,´ Gitarrist der Band Hjalmar,´ ist ebenfalls an diesem Morgen im Studio. Ru´nar, den Mann auf dem Plakat, traf er morgens oft vor dem Studio, wenn die Rocklegend­e spazieren ging und Kristinn gerade seine Kinder zur Schule gebracht hatte.

Geologisch­e Phänomene

Man plauderte, trank einige der sieben Tassen Kaffee, die Isländer im Schnitt am Tag konsumiere­n, spielte Schach und sprach über Musik, vor allem tropische. Denn Kristinns Band spielt Reggae, wie zum Beweis, dass Musik und Klima einander nicht zwingend bedingen. Das Wetter ist hier nämlich eher noch ruppiger als im übrigen Land. Jeder Urlauber landet auf der Halbinsel Reykjanes, doch kaum jemand sieht mehr von ihr als den Flughafen Keflav´ık und die Blaue Lagune, einen dekorativ zwischen Lavafelder­n gelegenen Thermalbad­esee. Dabei verfügt der südwestlic­he Zipfel der größten Vulkaninse­l der Welt über ebenso eindrucksv­olle geologisch­e Phänomene wie der Rest des Landes. Die „Brücke zwischen den Kontinente­n“macht die Lage der Halbinsel auf der Bruchzone zwischen eurasische­r und amerikanis­cher Kontinenta­lplatte fassbar. Sie überspannt eine fünfzehn Meter breite Lavaschluc­ht, die durch das Auseinande­rdriften der beiden Platten entstanden ist. Zwei Zentimeter entfernen sie sich im Jahr voneinande­r. In der Nähe liegt der Vulkan Gunnuhver, an dessen blubbernde­n Schlammque­llen in respektvol­lem Abstand Stege entlangfüh­ren. Der Wind bläst bisweilen so heftig, dass Fußgänger ihre Schritte sorgfältig setzen müssen, um der Steilküste fernzublei­ben. Mit samtig grünem Moos und Flechten bewachsene Lavaströme, das wütende Brausen des Atlantiks und mehrere aktive Vulkane zeugen von weiteren Schwierigk­eiten, mit denen der Mensch hier zu tun hatte, bis er auf die Idee kam, Geothermal­kraftwerke anzulegen. Und als wäre das alles nicht reizvoll genug, destillier­t sich auf Reykjanes auch die jüngere Geschichte der kleinen Nation, begleitet von viel Musik.

„Keflav´ık war in den Sechzigern das Liverpool Islands“, erklärt Baldur Guðmunsson. Er ist der Sohn des 2008 im Alter von 63 Jahren auf der Bühne verstorben­en Superstars Ru´nar Ju´l´ıusson. Ru´nar aus Keflav´ık wurde nicht nur einer der erfolgreic­hsten Musiker Islands, er spielte zeitweise auch für die Fußballnat­ionalmanns­chaft und war mit Miss Island liiert – viel cooler kann man auch in dem kreativen Inselstaat kaum sein. Baldur betrachtet im Icelandic Museum of Rock ’n’ Roll in Reykjanesb­ær, dem größten Städtchen der Halbinsel, einen Schaukaste­n mit Erinnerung­sstücken seines berühmten Vaters und seiner als Musikerin ebenfalls erfolgreic­hen Mutter. Daneben sieht man Bilder isländisch­er Popstars mit Pilzköpfen: die Band Hljomar,´ die in den Sechzigern unter Leader Runar´ hier so populär wurde wie im Rest der Welt die Beatles. Dass das Museum 2014 in Reykjanes eröffnete, ist kein Zufall. Isländisch­e Pop- und Rockmusik hat hier, wo sich mehr als 60 Jahre lang eine Militärbas­is der USA befand, ihre Wurzeln. Auch Kristinn Jonsson,´ der bereits einen Platz im Museum hat, stammt von der Halbinsel, ebenso der junge Superstar A´sgeir, der in der ganzen Welt Konzerte gibt, und die Band Monsters of Men.

„Außer Fisch hatten wir nichts“

„Nach Keflav´ık kam die neue Musik, und hier konnte man vom Musikmache­n leben“, erzählt Baldur Guðmunsson. Hljomar,´ die Band seines Vaters, trat schon früh in der Airbase auf. Zugleich drang aus dieser kleinen US-amerikanis­chen Enklave viel nach außen. Auf der Halbinsel lauschte man dem amerikanis­chen Radiosende­r, der in Reykjav´ık schon nicht mehr zu empfangen war. Musiker hörten besonders aufmerksam zu, spielten das Gehörte nach und brachten es, isländisch interpreti­ert, in die Hauptstadt.

1941 errichtete­n die Amerikaner einen Stützpunkt in Keflav´ık. Zwar griffen die USA noch nicht in den Weltkrieg ein, doch Island war der ideale Ort für die notwendige Zwischenla­ndung bei Versorgung­sflügen ins bedrängte Vereinigte Königreich. 120.000 Menschen lebten damals in Island, das Land zählte zu den ärmsten Europas. „Die industriel­le Revolution erreichte uns mit 150 Jahren Verspätung; außer Fisch hatten wir nichts, das wir exportiere­n konnten“, erklärt Historiker Friðthor´ Eydal. Das änderte sich mit einem Schlag. Die USA lieh Großbritan­nien Geld, um isländisch­en Fisch zu kaufen – zum Zehnfachen der Vorkriegsp­reise. Island

konnte sich in den USA mit bislang kaum gekannten Konsumgüte­rn versorgen. Ausgerechn­et ein winziges Fischerdor­f in einem besonders kargen Teil Islands, wo über Jahrhunder­te kaum jemand leben wollte, wurde so zur Boomtown, der Stützpunkt für Schiffe und Bomber im Atlantik zum Katalysato­r für Islands Entwicklun­g. Hier gab es Jobs, Alkohol, Zigaretten, Süßigkeite­n und Truthähne. „Es war ganz normal, von der Militärbas­is zu stehlen“, erzählt vergnügt ein Einheimisc­her. Aus dem GI-Radio klang dazu munterer Swing. 1943 waren fast 45.000 Soldaten hier stationier­t, mehr, als es isländisch­e Männer gab. Das sollte gelegentli­ch für Missklänge sorgen.

Übernation­ale Liaisonen

Auch deshalb knüpfte Island bei seiner Aufnahme in die Nato 1949 das Angebot eines Standorts an die Bedingung, dass in Friedensze­iten keine Truppen stationier­t würden. Nach Beginn des Korea-Kriegs stimmte man der Stationier­ung von 5000 Soldaten zu. Allerdings bestanden die Isländer nun auf einer abendliche­n Ausgangssp­erre für die Amerikaner in ihren schicken Uniformen und mit vergleichs­weise weltmännis­chen Umgangsfor­men. Die Sperre konnte eine Vielzahl übernation­aler Liaisonen aber weder in den Fünfzigern noch in den folgenden Jahrzehnte­n verhindern. Soldaten, die hier gezeugte Kinder nicht anerkannte­n, hinterließ­en ihnen ein zweifelhaf­tes Erbe: Nachnamen, die wie in Island üblich die jüngste Familienge­schichte erzählen. Nur dass bei ihnen die Endung -son oder -dottir,´ Sohn oder Tochter, nicht einem stolzen isländisch­en Vatervorna­men angehängt wurde, sondern einem schlichten, gleichwohl stigmatisi­erenden „Hermann“. Der Name weist das Kind als Soldatenso­hn oder -tochter aus. Ein Trost mag da allenfalls sein, dass sich Isländer stets beim Vornamen nennen.

Im Herbst 2006 zogen die US-Streitkräf­te ab. Für Reykjanes bedeutete es nicht nur den Verlust von 600 Arbeitsplä­tzen. Sondern es warf auch die Frage auf, was aus dem Militärgel­ände werden sollte, das über Nacht zur Geistersta­dt geworden war. Obwohl die Weltwirtsc­haftskrise bald darauf auch Island hart traf, fand man schnell Antworten.

Heute sind hier eine Privatschu­le, Fachhochsc­hule, Luftfahrta­kademie und rund hundert Firmen ansässig, außerdem entstanden Wohnheime und Appartemen­ts für Studenten und junge Familien. Außer der Musik ist der Halbinsel auch ein Faible für Hotdogs und Tacos geblieben. Und auch die besten Basketball­mannschaft­en Islands sind nach wie vor hier zu Hause.

 ?? [ Dieter Meyrl/Getty Images ] ?? Über ihr der Himmel so blau, blau, blau: Islands Blaue Lagune auf der Halbinsel Reykjanes.
[ Dieter Meyrl/Getty Images ] Über ihr der Himmel so blau, blau, blau: Islands Blaue Lagune auf der Halbinsel Reykjanes.
 ?? [ S. Bisping ] ?? Singer und Songwriter Asgeir´ und Kristinn Jons-´ son, Gitarrist der Band Hjalmar.´
[ S. Bisping ] Singer und Songwriter Asgeir´ und Kristinn Jons-´ son, Gitarrist der Band Hjalmar.´

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