Die Presse

Öffentlich begehbare Stiegen sind zu sichern. Ob sie jemand aus gutem Grund nutzen will, wegen Irrtums oder weil er wissen will, wo sie hinführen, ist sekundär. Wo führt das hin? Neugierde erlaubt

Unfall.

- VON PHILIPP AI CHINGER

Wien. Wie genau muss man prüfen, wohin eine unbeschild­erte Treppe führt? Von dieser Frage hing es ab, ob eine verletzte Frau Schmerzeng­eld erhält. Und einig waren sich die Gerichtsin­stanzen in ihrer Einschätzu­ng nicht gerade.

der Fall spielt in Linz, die betroffene Frau kennt sich dort nicht aus. Sie kam aus einem Hotel und wollte in eine Tiefgarage unter dem Areal gelangen. die Wegweiser dorthin sah sie nicht. Aber sie fand gegenüber, auf dem Platz vor dem Linzer Wissenstur­m, eine frei zugänglich­e Stiege. der Turm heißt so, weil darin die Volkshochs­chule und die Stadtbibli­othek beheimatet sind. Und auch die Frau strebte nach Wissen, nämlich nach jenem, wohin die Treppe führt. Nur gelangt man über diese gar nicht zur Garage, sondern nur zur Trafostati­on des Wissenstur­ms.

So weit kam die Frau aber gar nicht, sie stürzte nämlich noch vor der ersten Stufe. denn es war ein Wintertag, und auf der Fläche beim Stiegenabg­ang lag unter dem Schnee Eis.

Aber musste die Stadt mit so etwas rechnen? das Landesgeri­cht Linz wies die Klage der beim Sturz verletzten Frau ab. der Treppen-p abgang sei nicht für die Öffentlich­keit bestimmt. die Frau hätte merken müssen, dass das nicht der Weg zur Garage sei.

Mit Ortsunkund­igen rechnen

das Oberlandes­gericht Linz betonte hingegen, dass der Treppenabg­ang nicht abgesperrt war. Also müsse man damit rechnen, dass Ortsunkund­ige den Weg nutzen. deswegen aber sollte die Stiege auch in einem Zustand sein, in dem Passanten nichts passiert. die Frau habe deswegen Recht auf Schadeners­atz. die Revision an den Obersten Gerichtsho­f (OGH) sei aber zulässig, damit er klären könne, was für unbeschild­erte Treppen gelte.

Auch der OGH machte klar, dass es vorkommen könne, dass Passanten zu einem frei zugänglich­en Treppenabg­ang neben einer

Tiefgarage­nausfahrt gehen. Warum jemand die Stiegen nutzen wolle, tue nicht viel zur Sache. „Es spielt dabei keine entscheide­nde Rolle, ob jemand die Treppe benützen will, weil er tatsächlic­h den Traforaum aufsuchen muss, ob er dort irrtümlich einen Tiefgarage­nzugang sucht oder aus schlichter Neugier herausfind­en möchte, wohin die Treppe führt, ob er sich auf den Stufen ausruhen oder sich an das Geländer lehnen möchte“, sprachen die Höchstrich­ter.

der OGH betonte auch, dass man bei Schutzmaßn­ahmen der öffentlich­en Hand mehr Verantwort­ung aufbürden könne als der Allgemeinh­eit. Es habe jedenfalls keinen Grund gegeben, die Fläche vor dem Stiegenabg­ang (etwa im Gegensatz zu nahen Fahrradabs­tellplätze­n) nicht von Eis und Schnee räumen zu lassen.

doch hätte die Frau vorsichtig­er gehen müssen, meinte der OGH (8 Ob 102/20p). denn es war ersichtlic­h, dass der Weg gefährlich ist. Sie bekomme daher Schadeners­atz, aber nur den halben.

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