Das Unmögliche wurde nicht einmal versucht
Bei der Impfkampagne setzte die Bundesregierung weder auf Anreize noch auf Druckmittel. Der Mangel an Fantasie und Kreativität ist beachtlich.
ine unbequeme Wahrheit gleich vorweg: Dass Österreich besonders hohe Impfquoten erreichen und zu den Spitzenreitern in Europa zählen würde, war von Anfang an unrealistisch. Dafür herrscht in der Bevölkerung seit jeher eine zu große Skepsis gegenüber Schutzimpfungen, die mehr eine Glaubens- denn eine Wissensfrage darstellen. Die traditionell geringe Rate bei der Grippe – bis zur Pandemie betrug sie jährlich acht bis zehn Prozent – ist nur ein Beispiel dafür.
Gegen das Coronavirus ließen sich bisher knapp 62 Prozent der Gesamtbevölkerung impfen, eine im Europavergleich auffallend niedrige Quote. Mit der Folge, dass schon seit Monaten rund zehn Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt sind. Sollte die Zahl der Neuinfektionen und somit auch die der schwer Erkrankten in den kommenden Wochen steigen, wovon mit den kälter werdenden Temperaturen und dem Verlagern des sozialen Lebens in Innenräume auszugehen ist, sind Verschiebungen von nicht dringenden Eingriffen unausweichlich – und möglicherweise auch Verschärfungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. So viel zur nach wie vor fragilen Lage in Österreich, die vermeidbar gewesen wäre, hätte sich rund eine weitere Million Menschen impfen lassen.
Nun sollten aber neben der eingangs erwähnten großen Gruppe an Impfskeptikern, die in ihrem Standpunkt noch dazu von der FPÖ bestärkt werden, auch andere Faktoren berücksichtigt werden, die zur niedrigen Impfquote beigetragen haben dürften. Dazu gehört vor allem der Umstand, dass der individuelle Leidensdruck in Österreich nie so groß war wie in anderen Ländern – so konnte sich die Bevölkerung zu jeder Zeit auf eine optimale medizinische Versorgung verlassen, Einkommensund Umsatzverluste wurden im Europavergleich durchaus großzügig ersetzt.
Die Voraussetzungen für eine zufriedenstellende Impfquote sind also alles andere als günstig. Um den misstrauischen Teil der Bevölkerung von einer Gefahr zu überzeugen, die vielfach immer noch als theoretisch empfunden wird, braucht es daher neben etwas Druck und einer umfassenden zielgruppenspezifischen Aufklärung in mehreren Sprachen auch eine
Dosis Fantasie und Kreativität. Portugal etwa ernannte einen über alle Maßen angesehenen Admiral der Marine zum obersten Impfkoordinator. Dänemarks Regierung überraschte ihre Bürger mit der Entscheidung, ihnen fixe Termine zuzuteilen. Wer sie nicht wahrnehmen wollte, musste sie aktiv absagen – ein Kunstgriff, der auch viele Unentschlossene zur Impfung bewegte. Mit weniger kreativen Methoden reaktivierten Italien und Frankreich ihre ins Stocken geratenen Kampagnen, und zwar mittels Impfpflicht für Berufsgruppen wie etwa Gesundheitspersonal und Pädagogen – nicht nur für Neuanstellungen, auch bei bestehenden Dienstverträgen. Andere Länder wiederum erhöhten ihre Raten, indem sie Impfwilligen Belohnungen wie Gutscheine in Aussicht stellten.
xperimente, auf die Österreich weitgehend verzichtete – auch aus Angst davor, der Schuss könnte nach hinten losgehen. Mit Argumenten, wonach Anreize wie Gewinnspiele bereits Geimpfte vor den Kopf stoßen würden und zu viel Druck das Risiko beinhalte, dass sich eigentlich impfbereite Menschen mit impfskeptischen solidarisierten.
Stattdessen wurde – und wird – es der Bevölkerung einfach gemacht, auch ohne Impfung ein relativ uneingeschränktes Leben zu führen, unter anderem mit leicht zugänglichen und kostenlosen Tests. Ihrem Effekt, also dem frühen Ermitteln und Isolieren von Infizierten, dürfte es auch zu verdanken sein, dass selbst die niedrige Impfquote in Österreich mit ein bisschen Glück ausreichen sollte, um ohne eine weitere starke Welle über den Winter zu kommen.
Vorausgesetzt, die Auffrischungsimpfungen nehmen Fahrt auf, um zumindest die schon erreichte Immunität aufrechtzuerhalten. Auch bei dieser Aufgabe wird mehr Kreativität notwendig sein als die einzige Maßnahme, die Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein bisher angekündigt hat – nämlich zweimal Geimpfte per Brief daran zu erinnern, dass sie bald an der Reihe sind.