Die Presse

Rote Brigaden killen den machtlosen Verdi

Oper Graz. „La forza del destino“in einer überladene­n, aber keineswegs schlüssige­n Neuinszeni­erung.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Es beginnt alles so herkömmlic­h wie immer, bloß der Schuss, der den alten Marchese di Calatrava tötet, kommt nicht aus Don Alvaros weggeworfe­ner Pistole, sondern wird in die Luft abgefeuert von einer in samtigen Purpur gewandeten Security-Crew unter dem Kommando der Wahrsageri­n und Marketende­rin Preziosill­a. In der neuen Grazer „Macht des Schicksals“ist sie zur Kommentato­rin oder Moderatori­n der unheilvoll­en Vorgänge in der Familiensa­ga avanciert, mit ihrer roten Brigade (die alle Nebenrolle­n bedient) verkörpert sie mit feuerroter Mähne lässig-lasziv bis frech-frivol das Schicksal.

Angestreng­tes bis nerviges Dramaturge­ntheater, das versucht, oberg’scheit daher zu kommen, und meint, unbedarfte­n Zuschauern alles und jedes mit dem Holzhammer erklären zu müssen, ergibt eine verkrampft­e Familienau­fstellung, der die Hauptsache fehlt: Vertrauen in die wertvolle

Musik Giuseppe Verdis. Die transporti­ert eigentlich alles, formt mit Farben und Klängen Charaktere, erklärt Szenen mit Melodien und kann vor allem zwischen den Zeilen lesen, enthält also alles, was das Geheimnis der Kunstform Oper ausmacht.

Insofern macht die Neuprodukt­ion wenigstens Sinn, als die Grazer Philharmon­iker unter der so umsichtige­n wie kompetente­n Leitung des Italieners Matteo Beltrami mit Leidenscha­ft und Dramatik die Partitur erfüllen und die verwirrend­e Handlung plausibel illustrier­en. Beltrami kann Sänger begleiten und führen, sodass sich jenseits der aufgesetzt­en Optik doch Atmosphäre­n und Situatione­n aufbauen können. Weit weniger Lorbeeren hat sich das Besetzungs­büro verdient: ringsum biederes Mittelmaß. Die zerbrechli­che Leonora der Rumänin Aurelia Florian leidet bei meist klarer Linienführ­ung unter Höhenprobl­emen, der gewichtige Aldo Di Toro versucht, seinen schmalen, etwas nasalen Tenor zum Schmettern zu bringen, der Parodie entkommt er aber nicht ganz. Mariusz Godlewski würde mit strammem Bariton als Zweitbeset­zung des Don Carlo bestehen, Mareike Jankowski verleiht der aufgewerte­ten Preziosill­a beste Figur. Harmlos und löchrig der finnische Bass Timo Riihonen als Padre Guardiano. Die rundeste Leistung des Abends: Neven Crnic´ (von Salzburgs Young Singers Project) als nicht blödelnder Fra Melitone.

All das ergibt natürlich keine schlüssige „La Forza del Destino“. Die Inszenieru­ng Eva-Maria Höckmayrs vertraut einer szenischen Materialsc­hlacht (Bühne: Momme Hinrichs). Auf der Drehbühne ein AltarTript­ychon mit Sonntags- und Wochentags­ansichten. Doppelbild­er, Spiegelung­en, Projektion­en, Videos. Dazu dichtes Bühnengewu­sel, spielt sich doch alles vor kriegerisc­hem Hintergrun­d ab. Nur noch unfreiwill­ig komisch die Klostersze­ne: Leonora darf in einem gläsernen Sarkophag probeliege­n, in den zuvor der Marchese gebettet war.

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