Lippenbekenntnisse und neue Raketentests des Diktators aus Pjöngjang
Aufrüstung. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un hat sich zuletzt verständigungsbereit gegeben. Tatsächlich aber treibt sein Regime sein Waffenprogramm voran.
Tokio/Pjöngjang. Statt Gesprächen über Entspannung fliegen wieder Geschoße über die koreanische Halbinsel: Nach südkoreanischen Angaben hat Nordkorea am Dienstag erneut eine ballistische Rakete getestet. Das Regime feuerte ein – zunächst – „nicht identifiziertes“Flugobjekt östlich der Halbinsel in Richtung Japan ab. Die Militärführung in Seoul geht davon aus, dass es sich dabei sehr wahrscheinlich um eine U-Boot-gestützte ballistische Rakete, in der Fachsprache SLBM genannt, gehandelt hat, die vom Marinestützpunkt Sinpo ins Meer geschossen worden ist. In dieser riesigen Werft haben Satelliten auch U-Boote geortet. Shin Beom Chul vom südkoreanischen Forschungsinstitut für Nationale Strategie hält diese Einschätzung deshalb für „sehr wahrscheinlich“.
Für viele Beobachter ist klar, dass man Kim Jong-uns „Liebeswerben“um Südkorea nicht für bare Münze nehmen darf. Zwar ließ der Diktator Anfang Oktober nach zwei Monaten Unterbrechung wieder die Kommunikationskanäle zwischen Nord und Süd öffnen. Nach Darstellung der nordkoreanischen Staatsagentur KCNA verband der Machthaber damit die Absicht, einen „dauerhaften Frieden“auf der koreanischen Halbinsel zu schaffen. Aber nicht einmal zwei Wochen später hat sich dies nun als Lippenbekenntnis erwiesen.
Die einzige Sprache, die Diktator Kim bereit ist anzuwenden, scheinen militärische Drohungen zu sein. Nordkorea hat in den vergangenen Wochen mehrfach sein Waffenarsenal getestet, zuletzt Ende September mit einer angeblichen Hyperschallrakete. Solche extrem schnellen und flexiblen Geschoße sind schwer abzuwehren, womit das Regime eine neue Stufe seiner Aufrüstung erreicht hätte. Aber auch von U-Booten und sogar mobilen Eisenbahnzügen ließ Kim Jong-un feuern.
Provokation an die Adresse der USA
Dieses Mal hatte der Waffennarr in Pjöngjang aber noch ein spezielles Ziel. Exakt zum Zeitpunkt des Abschusses trafen sich in Seoul zur Eröffnung der Internationalen Luftfahrt- und Verteidigungsmesse (Adex) die Chefs der Geheimdienste aus den USA, Japan und Südkorea. Thema der Konferenz war dem Vernehmen nach, wie das Patt in den Gesprächen mit Nordkorea aufgelöst werden könnte.
Ob eine Waffenschau wie diese, bei der die neueste Generation von Kampfflugzeugen, Hubschraubern oder Drohen vorgestellt wird, wirklich der geeignete Ort für Verhandlungsangebote an Nordkorea ist, sei dahingestellt.
Und so ist auch dieser Raketentest aus Kims Arsenal nicht zuletzt wieder ein Schuss in Richtung Washington und eine direkte Reaktion auf das aktuelle Angebot des Nordkorea-Sonderbeauftragten des Weißen Hauses, Sung Kim, für ein „Treffen ohne Vorbedingungen“. Die Vereinigten Staaten hegten „keine feindseligen Absichten“gegen Nordkorea, hatte er gesagt. Solche Offerte hat Machthaber Kim Jong-un bisher stets brüsk als „billigen Trick“der USA zurückgewiesen.
Und so ganz stimmig ist die Einladung der Vereinigten Staaten zu Gesprächen „ohne Vorbedingungen“aus Sicht von Pjöngjang auch nicht. Denn die US-Regierung von Präsident Joe Biden will zuerst über ein Ende des nordkoreanischen Atomprogramms verhandeln und dann erst über die Lockerung der Sanktionen gegen Pjöngjang. Diktator Kim lehnt jedoch strikt ab, sein Atomwaffenarsenal abzubauen. Weil nicht einmal klar ist, vorüber überhaupt gesprochen werden könnte, hat es schon drei ergebnislose Gipfeltreffen zwischen den USA und Nordkorea gegeben.
Warnungen an die Genossen
Es stellt sich jedoch immer wieder die Frage, womit Kim Jong-un seine Raketentests finanziert. Aus der Leistung seiner maroden Wirtschaft garantiert nicht. Musste doch der Machthaber erst vor knapp einer Woche öffentlich eingestehen, dass das Land mit seiner sozialistischen Planwirtschaft de facto pleite ist. Ausgerechnet zum Jahrestag der regierenden Arbeiterpartei verkündete Kim seinen Genossen eine „düstere Lage“. Selbst „Staatsbedienstete sollten sich keine Privilegien oder bevorzugte Behandlung erhoffen und jederzeit überlegen, ob ihre Arbeit die Interessen des Volkes verletzt oder Schwierigkeiten bereitet“, warnte Kim.
Diese offene Bankrotterklärung muss allerdings nicht zwingend für das Militär gegolten haben. Und dafür gibt es einen einfachen Grund: illegale Einnahmen aus dem globalen Drogenhandel und der Cyberkriminalität. Ein hochrangiger Überläufer des nordkoreanischen Geheimdienstes berichtete der britischen TV-Station BBC, dass er selbst schon in den 1990er-Jahren ein staatliches Rauschgiftlabor aufgebaut habe. Der Ex-Agent mit dem Pseudonym Kim Kuk Song erklärte in dem Interview, eine operative Abteilung namens „715 Verbindungsbüro“beschaffe enorme Mengen „revolutionärer Fonds“für die Clique des Machthabers.
Zudem seien im nordkoreanischen Geheimdienst etwa 6000 auch im Ausland geschulte Hacker aktiv, um im Internet durch Betrug und Erpressung Devisen einzusacken, schilderte der Überläufer weiter. Bekannteste Einheit – so vermutet es jedenfalls der britische Geheimdienst – ist die Lazarus-Gruppe, deren bisher wahrscheinlich prominentestes Opfer der SonyKonzern 2014 gewesen ist. Die Cyberkrieger werden im Pjöngjanger Machtapparat ganz unverblümt „Kim Jong-uns Informationszentrum“genannt.