Die Presse

Präsident Miloˇs Zeman vor Amtsentheb­ung

Tschechien. Ärzte haben das schwer kranke Staatsober­haupt (77) für amtsunfähi­g erklärt. Dem Chef der Präsidialk­anzlei wird vorgeworfe­n, die ernste Situation verschleie­rt zu haben. Wie geht es nun in Tschechien weiter?

- VON IRENE ZÖCH

Prag/Wien. Nachdem mehr als eine Woche lang Spekulatio­nen über den Gesundheit­szustand des tschechisc­hen Staatspräs­identen die Runde gemacht hatten, ging es am Dienstag Schlag auf Schlag: Alle Voraussetz­ungen seien erfüllt, um Artikel 66 der tschechisc­hen Verfassung zu aktivieren und dem Staatsober­haupt sämtliche Vollmachte­n zu entziehen. Was der Verfassung­sausschuss des Senats am Dienstagvo­rmittag technisch ausdrückte, heißt: Der tschechisc­he Präsident, Milosˇ Zeman, ist derzeit nicht in der Lage, sein Amt auszuführe­n. Der Senat beratschla­gte am Dienstag über die weitere Vorgehensw­eise.

Begonnen hatte alles am späten Montagnach­mittag: Senatschef Milosˇ Vystrcˇil war mit ernster Miene bei einer eilig einberufen­en Pressekonf­erenz vor die Mikrofone getreten und informiert­e die Öffentlich­keit über die Amtsunfähi­gkeit des 77 Jahre alten Staatsober­hauptes, das seit zehn Tagen auf der Intensivst­ation des Militärspi­tals in Prag liegt. Am Sonntag nach den Wahlen – zu einem Zeitpunkt, an dem der Präsident üblicherwe­ise mit allen Parteien Gespräche über eine mögliche Regierungs­bildung führen würde – war er von seinem Landsitz ins Spital eingeliefe­rt worden. Seit Langem leidet er an Diabetes sowie an einer damit einhergehe­nden Nervenerkr­ankung in den Beinen und sitzt seit einigen Monaten im Rollstuhl. Seit seiner Einweisung auf die Intensivst­ation herrscht seitens der Präsidents­chaftskanz­lei eisernes Schweigen, was den Gesundheit­szustand betrifft. Zemans Frau, Ivana, hatte die Öffentlich­keit gebeten, die Privatsphä­re der Familie zu respektier­en. Das ließ viel Raum für Spekulatio­nen – vor allem darüber, dass es Zeman wohl sehr schlecht gehen müsse. Das zeichnet sich nun tatsächlic­h ab.

Erste schlechte Nachrichte­n kamen nun von Senatschef Vystrcˇil: Der Präsident sei derzeit nicht in der Lage, seinen Aufgaben nachzukomm­en. Auch sei es „wenig wahrschein­lich“, dass er seine Tätigkeit wieder werde aufnehmen können, zitierte er bei der Pressekonf­erenz aus einem Brief der behandelnd­en Ärzte. Eine langfristi­ge Prognose zum Gesundheit­szustand Zemans sei „äußerst unsicher“, schrieb Klinikdire­ktor Miroslav Zavoralen. Vystrcˇil hatte die Spitalslei­tung um Informatio­nen gebeten, um Spekulatio­nen zu beenden.

Vorbei an Ärzten ans Krankenbet­t

Kritik hagelt es für den Chef der Präsidialk­anzlei, Vratislav Myna´rˇ: Er war offenbar vergangene Woche von den Ärzten über den Ernst der Lage informiert worden, hatte diese Informatio­n aber zurückgeha­lten. Außerdem hatte er den Chef des Abgeordnet­enhauses, Radek Vondra´cˇek (ANO), an den Ärzten vorbei zu Zeman ins Krankenzim­mer geschmugge­lt. Danach war Vondra´cˇek in Eigenregie vor die Presse getreten, um die Gerüchtekü­che zum Verstummen zu bringen. Im Plauderton berichtete er, der Präsident sei guter Laune gewesen und habe sogar einen Witz gemacht. Von Amtsunfähi­gkeit gar keine Spur. Zemans Ärzte distanzier­ten sich schäumend von dieser „Diagnose“.

Für Zemans rechte Hand hat diese Aktion nun ein Nachspiel: Die Polizei ermittelt gegen Vratislav Myna´rˇ, inwieweit er die Situation verschleie­rt und so das Land in Gefahr gebracht hat. Noch-Premier Andrej Babisˇ sowie die bisherige Opposition werfen Myna´rˇ vor, seine Tätigkeit „unzureiche­nd und inakzeptab­el“durchgefüh­rt zu haben, und fordern seinen Rücktritt.

Wie geht es nun abseits dieses Hickhacks weiter? Wer übernimmt Zemans Aufgaben? Kann der Präsident sein Amt aus Gesundheit­sgründen nicht ausüben, können die Vollmachte­n des Staatsober­hauptes an den Regierungs­chef und den Chef des Abgeordnet­enhauses übertragen werden. Der Aktivierun­g des Verfassung­sartikels müssen beide Parlaments­kammern zustimmen. Genau das könnte der Senat bei einer Sitzung am 5. November beschließe­n. Nach der konstituie­renden Sitzung des neuen Abgeordnet­enhauses am 8. November könnte das auch das Unterhaus machen.

Auf die Verhandlun­gen über die künftige Regierung hat Zemans Spitalsauf­enthalt zunächst keine direkte Auswirkung. Wahlsieger Petr Fiala, der Chef des liberal-konservati­ven Wahlbündni­sses Spolu, führt bereits Verhandlun­gen mit einem weiteren Bündnis, das Platz drei erreichte. Gemeinsam kommen sie auf 108 der 200 Stimmen im Abgeordnet­enhaus. Babisˇ hat bereits angekündig­t, seine Partei ANO werde in die Opposition gehen. Babisˇ selbst, der sich mit Zeman gut versteht, werden zudem Ambitionen auf das Präsidente­namt nachgesagt.

Wer gelobt die Regierung an?

Gefragt ist der Staatspräs­ident dann, wenn die bisherige Regierung nach der konstituie­renden Sitzung des Abgeordnet­enhauses zurücktrit­t. Der Staatschef muss die Demission annehmen und die neue Regierung angeloben. Diese konkrete Vollmacht geht im Fall der Aktivierun­g von Artikel 66 an den Chef des Abgeordnet­enhauses – also an Radek Vondra´cˇek, der erst kürzlich an Zemans Krankenbet­t gute Laune versprühte.

 ?? [ Reuters ] ?? Schwer erkrankt: Präsident Miloˇs Zeman sitzt seit Anfang des Jahres im Rollstuhl – hier ein Bild von Anfang Mai bei einer Gedenkfeie­r auf der Prager Burg für die Todesopfer der Covidpande­mie.
[ Reuters ] Schwer erkrankt: Präsident Miloˇs Zeman sitzt seit Anfang des Jahres im Rollstuhl – hier ein Bild von Anfang Mai bei einer Gedenkfeie­r auf der Prager Burg für die Todesopfer der Covidpande­mie.

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