Warum die Junta Gefangene freilässt
Das Militärregime entlässt überraschend Tausende politische Gefangene aus der Haft. Doch dahinter steckt nicht das lang erhoffte Ende der Repression. Sondern eine Image-Offensive.
Wien/Yangon. Vor dem Insein-Gefängnis in Yangon drängen sich die Menschen. Viele weinen, andere wirken angespannt, manche umarmen sich innig. Die noch Wartenden hoffen, gleich den lang vermissten Verwandten, Freund, Nachbarn zu sehen, wie er durch die Gefängnistore schreitet.
Nach Monaten brutaler Repression gegen die Opposition in Burma (Myanmar), kündigte am Montag General Min Aung Hlaing überraschend eine Amnestie für 5636 politische Gefangene an. Wer genau freikam, sagte der Chef der Militärjunta nicht. Das wurde auch später nicht bekannt gegeben.
Und so bleibt vielen Burmesen nur die Hoffnung, dass unter den bereits freigelassenen Ärzten, Reportern, Studenten, Aktivisten oder Politikern die eigenen Angehörigen sind. Fix ist lediglich, dass hochrangige Vertreter der bis zum Putsch im Februar amtierenden demokratischen Regierung in Haft bleiben, so auch Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Die Ex-Regierungschefin hat „Redeverbot“im Hausarrest.
Ein Ablenkungsmanöver
Die Behörden hatten bereits im Juli mehr als 2000 Oppositionelle aus den Gefängnissen entlassen. Die Junta prahlte nun, die Amnestie erfolge aus „humanitären Gründen“. Diese Erklärung ist laut Menschenrechtsorganisationen ganz besonders zynisch. Denn in Burma herrschen seit Februar Chaos und Terror: Nach UN-Angaben wurden mehr als 1100 Menschen bei von Sicherheitskräften brutal aufgelösten Protesten der Demokratiebewegung getötet. Auch nur die leiseste Kritik wird mit Gewalt erstickt, mehr als 8000 Menschen wurden verhaftet, darunter Kinder. Von vielen Festgenommenen gibt es kein Lebenszeichen mehr, Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass sie zu Tode gefoltert wurden.
Der Putsch hat das bereits zuvor bitterarme südostasiatische Land in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt: Im Dschungel und in den Bergen haben sich Demonstranten aus den Städten Rebellen ethnischer Minderheiten angeschlossen, sie greifen nun gemeinsam die Militärs an. Die Junta reagiert mit Bombardements, willkürlichen Razzien und zündet Dörfer an.
Die Amnestie der Generäle sei eine Augenauswischerei, Repression und Festnahmen gingen unvermindert weiter, warnt die burmesische NGO Assistance Association for Political Prisoners Burma. Die Menschenrechtsorganisation spricht von einem „Ablenkungsmanöver für ausländische Regierungen“. Denn der Zeitpunkt sei kein Zufall: Junta-Chef Hlaing war am Freitag von der Teilnahme am Gipfeltreffen der Organisation südostasiatischer Staaten (Asean) ausgeladen worden. Burma soll beim Treffen Ende Oktober, bei dem auch US-Präsident Joe Biden erwartet wird, von einem „unpolitischen“Vertreter repräsentiert werden.
Der Grund für die Ausladung: Es gebe keine Fortschritte in Burma. Die Asean-Außenminister verwiesen auf einen Fünf-PunktePlan für Burma, auf den sich die Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel im April verständigt hatten. General Hlaing hatte eine „zivile Regierung“mit baldigen Wahlen angekündigt – nichts von dem hat bisher stattgefunden. Zudem sagte die Asean eine für diese Woche geplante Vermittlungsmission ab, nachdem die Junta dem Asean-Mediator ein Treffen mit Aung San Suu Kyi verboten hatte.
Der Ausschluss vom Gipfel ist für das Asien-Bündnis ein ungewöhnlich harter Schritt, normalerweise mischt sich das Bündnis in interne Angelegenheiten seiner Mitglieder nicht ein. Doch die
Angst vor einer Destabilisierung der gesamten Region ist groß: Das Land grenzt an fünf Staaten, bereits jetzt versuchen viele Burmesen auf der Flucht die Grenzen zu überqueren.
Verlässlicher Partner
Die politisch und wirtschaftlich isolierten Militärs versuchen nun, ihr Image aufzupolieren. „Die Junta lässt politische Gefangene nicht wegen eines Richtungswechsels frei, sondern wegen des Drucks“, twitterte Tom Andrews, UN-Sonderberichterstatter für Burma.
Allerdings kann das bitterarme Burma auch mit den brutalen Generälen an der Spitze auf seinen wichtigsten Partner weiter zählen: China investiert nach wie vor in das an Bodenschätzen und Edelsteinen reiche Land – allen Sanktionen zum Trotz.