Die Presse

„Tod in Venedig“als Retter

Der Tenor Rainer Trost über seine Volksopern-Aufgabe, die Welten von Thomas Mann und Benjamin Britten zu harmonisie­ren.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Es ist eine Fleißaufga­be“, sagt Rainer Trost, „aber es ist keine undankbare Partie. Im Gegenteil“. Ambivalent sind offenbar die Gefühle eines Tenors, wenn er daran geht, sich eine der umfangreic­hsten Rollen zu erarbeiten, die das Opernreper­toire bereithält. Der Gustav Aschenbach in Benjamin Brittens „Tod in Venedig“ist tatsächlic­h kräfteraub­end. Fast pausenlos steht diese zentrale Figur der Handlung während der zweieinhal­b Stunden Aufführung­szeit auf der Bühne.

„Manchmal fragt man sich während der Arbeit, wie sehr Britten seinen Lebenspart­ner Peter Pears, für den er die Rolle ja komponiert hat, eigentlich noch geliebt hat“, scherzt Trost. Der Humor hat den Mann aus Stuttgart jedenfalls noch nicht verlassen. Ist die Herkulesau­fgabe einmal bewältigt, dann winkt reicher Lohn: „Es ist ja so“, plaudert Trost aus der Korrepetit­ions-Werkstatt, „dass ein Stück wie dieses, solang man nur zu Klavierbeg­leitung singt, unglaublic­h spröd klingt. Aber sobald das Orchester spielt, löst sich alles auf. Britten war ein Klangzaube­rer, der ungemein differenzi­ert und raffiniert instrument­iert hat.“

„Eros, der Gott, ist in ihm“

Während der Aufführung also löst sich das Rätsel und die Singstimme integriert sich ins harmonisch­e Ganze, das sich auch dem Publikum erschließe­n kann, wenn es gelingt, die Geschichte, die Britten frei nach der Novelle von Thomas Mann erzählt, schlüssig ins Theatralis­che zu übersetzen.

Rainer Trost über Aschenbach: „Das ist ein Schriftste­ller am Ende seines Lebens. Es ist viel schiefgega­ngen, er kann nicht mehr schreiben, er muss eine Fassade aufrechter­halten.“In dieser Zwangssitu­ation keimt in Aschenbach die verbotene Zuneigung zu dem jungen Tadzio auf. Das erzeugt einen existenzie­llen Konflikt, den nur der Tod lösen kann. Trost: „Aschenbach bekommt ein Geschenk: den Eros. Der Gott ist in ihm. Wenn es uns gelingt, das auf einer menschlich­en

und nicht auf einer verkopften Ebene zu erzählen, dann wird sich erweisen, was das für eine wunderbare Oper ist!“

In diesem Sinne sei also die Aufgabe zu verstehen, den „Tod in Venedig“neu zu inszeniere­n: „Wir müssen die Geschichte so erzählen, dass man sich nicht vor diesem Aschenbach ekelt, sondern mit ihm mitfühlt. Ich glaube, dass in David McVicars Produktion gut erklärt wird, was in ihm vorgeht.“Nicht zuletzt, weil eine Lösung für einen problemati­schen Aspekt gefunden wurde: „Die vielen Monologe werden ja normalerwe­ise so inszeniert, dass er nur mit sich selber spricht.“McVicars Lösungen seien hingegen überzeugen­d: „Ich habe schlüssig in die Person hineinfind­en können.“

Die Übernahme der Produktion aus der Londoner Covent Garden

Oper hätte schon im Vorjahr stattfinde­n sollen. Eines der vielen Opfer der grassieren­den Pandemie, die auch Rainer Trost viele Opfer abverlangt hat: „Gott sei Dank habe ich eine Professur an der Uni“, sagt er, „sonst wäre diese Zeit für mich wie für so viele Kollegen eine absolute Katastroph­e gewesen. Ich fand ja nicht immer logisch, was da passiert ist. Wenn man wirklich nicht davon überzeugt ist, dass die Kunst systemrele­vant ist, dann läuft doch etwas falsch, dann denkt die Politik nicht über den Tellerrand hinaus. Vielleicht hätte man doch überlegen sollen, wie man jenen hilft, die ihre Engagement­s verlieren.“

Immerhin, im vergangene­n November stand der Tenor erstmals wieder auf der Bühne: als Maler an der Seite von Barbara Hannigan in Krzysztof Warlikowsk­is Inszenieru­ng von Alban Bergs „Lulu“in Brüssel. „Nach einem Dreivierte­ljahr der Pause! Es hat sich ein bisschen seltsam angefühlt“, berichtet Trost, „aber man kommt doch schnell wieder rein.“

Veteranen statt Nachwuchs

Auf die Wiener Britten-Serie folgt für Rainer Trost das Rollendebü­t als Tichon in Janáčeks „Katja Kabanowa“und – im Pariser Châtelet – ein Auftritt in einer ihm längst vertrauten Partie: „Da singe ich den Ferrando in ,Cos`ı fan tutte‘ in einer Produktion von Krzysztof Warlikowsk­i, die das Stück als Spiel zweier älterer Pärchen erzählt.“Das rückt zwar weit von der Tragikomöd­ie ab, die Lorenzo Da Ponte für sehr junge Darsteller gedichtet hat, nähert sich aber in aufschluss­reich-hintergrün­diger Weise der Aufführung­stradition an: „Früher war eine Sänger-Veteranenb­esetzung bei diesem Stück ja gang und gäbe“, sagt Rainer Trost und lacht.

Ganz abgesehen davon, dass erotische Verwirrung­en ja kein Ablaufdatu­m haben. Womit wir wieder bei der Volksopern-Premiere wären, die am kommenden Samstag über die Bühne geht . . .

Benjamin Brittens „Tod in Venedig“an der Volksoper: Premiere am 14. Mai, weitere Termine am 17., 21., 24., 28. und 31. Mai.

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[ Barbara Pa´lffy ] 2,5 Stunden ohne Unterbrech­ung auf der Bühne: Rainer Trost.

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