„Tod in Venedig“als Retter
Der Tenor Rainer Trost über seine Volksopern-Aufgabe, die Welten von Thomas Mann und Benjamin Britten zu harmonisieren.
Es ist eine Fleißaufgabe“, sagt Rainer Trost, „aber es ist keine undankbare Partie. Im Gegenteil“. Ambivalent sind offenbar die Gefühle eines Tenors, wenn er daran geht, sich eine der umfangreichsten Rollen zu erarbeiten, die das Opernrepertoire bereithält. Der Gustav Aschenbach in Benjamin Brittens „Tod in Venedig“ist tatsächlich kräfteraubend. Fast pausenlos steht diese zentrale Figur der Handlung während der zweieinhalb Stunden Aufführungszeit auf der Bühne.
„Manchmal fragt man sich während der Arbeit, wie sehr Britten seinen Lebenspartner Peter Pears, für den er die Rolle ja komponiert hat, eigentlich noch geliebt hat“, scherzt Trost. Der Humor hat den Mann aus Stuttgart jedenfalls noch nicht verlassen. Ist die Herkulesaufgabe einmal bewältigt, dann winkt reicher Lohn: „Es ist ja so“, plaudert Trost aus der Korrepetitions-Werkstatt, „dass ein Stück wie dieses, solang man nur zu Klavierbegleitung singt, unglaublich spröd klingt. Aber sobald das Orchester spielt, löst sich alles auf. Britten war ein Klangzauberer, der ungemein differenziert und raffiniert instrumentiert hat.“
„Eros, der Gott, ist in ihm“
Während der Aufführung also löst sich das Rätsel und die Singstimme integriert sich ins harmonische Ganze, das sich auch dem Publikum erschließen kann, wenn es gelingt, die Geschichte, die Britten frei nach der Novelle von Thomas Mann erzählt, schlüssig ins Theatralische zu übersetzen.
Rainer Trost über Aschenbach: „Das ist ein Schriftsteller am Ende seines Lebens. Es ist viel schiefgegangen, er kann nicht mehr schreiben, er muss eine Fassade aufrechterhalten.“In dieser Zwangssituation keimt in Aschenbach die verbotene Zuneigung zu dem jungen Tadzio auf. Das erzeugt einen existenziellen Konflikt, den nur der Tod lösen kann. Trost: „Aschenbach bekommt ein Geschenk: den Eros. Der Gott ist in ihm. Wenn es uns gelingt, das auf einer menschlichen
und nicht auf einer verkopften Ebene zu erzählen, dann wird sich erweisen, was das für eine wunderbare Oper ist!“
In diesem Sinne sei also die Aufgabe zu verstehen, den „Tod in Venedig“neu zu inszenieren: „Wir müssen die Geschichte so erzählen, dass man sich nicht vor diesem Aschenbach ekelt, sondern mit ihm mitfühlt. Ich glaube, dass in David McVicars Produktion gut erklärt wird, was in ihm vorgeht.“Nicht zuletzt, weil eine Lösung für einen problematischen Aspekt gefunden wurde: „Die vielen Monologe werden ja normalerweise so inszeniert, dass er nur mit sich selber spricht.“McVicars Lösungen seien hingegen überzeugend: „Ich habe schlüssig in die Person hineinfinden können.“
Die Übernahme der Produktion aus der Londoner Covent Garden
Oper hätte schon im Vorjahr stattfinden sollen. Eines der vielen Opfer der grassierenden Pandemie, die auch Rainer Trost viele Opfer abverlangt hat: „Gott sei Dank habe ich eine Professur an der Uni“, sagt er, „sonst wäre diese Zeit für mich wie für so viele Kollegen eine absolute Katastrophe gewesen. Ich fand ja nicht immer logisch, was da passiert ist. Wenn man wirklich nicht davon überzeugt ist, dass die Kunst systemrelevant ist, dann läuft doch etwas falsch, dann denkt die Politik nicht über den Tellerrand hinaus. Vielleicht hätte man doch überlegen sollen, wie man jenen hilft, die ihre Engagements verlieren.“
Immerhin, im vergangenen November stand der Tenor erstmals wieder auf der Bühne: als Maler an der Seite von Barbara Hannigan in Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von Alban Bergs „Lulu“in Brüssel. „Nach einem Dreivierteljahr der Pause! Es hat sich ein bisschen seltsam angefühlt“, berichtet Trost, „aber man kommt doch schnell wieder rein.“
Veteranen statt Nachwuchs
Auf die Wiener Britten-Serie folgt für Rainer Trost das Rollendebüt als Tichon in Janáčeks „Katja Kabanowa“und – im Pariser Châtelet – ein Auftritt in einer ihm längst vertrauten Partie: „Da singe ich den Ferrando in ,Cos`ı fan tutte‘ in einer Produktion von Krzysztof Warlikowski, die das Stück als Spiel zweier älterer Pärchen erzählt.“Das rückt zwar weit von der Tragikomödie ab, die Lorenzo Da Ponte für sehr junge Darsteller gedichtet hat, nähert sich aber in aufschlussreich-hintergründiger Weise der Aufführungstradition an: „Früher war eine Sänger-Veteranenbesetzung bei diesem Stück ja gang und gäbe“, sagt Rainer Trost und lacht.
Ganz abgesehen davon, dass erotische Verwirrungen ja kein Ablaufdatum haben. Womit wir wieder bei der Volksopern-Premiere wären, die am kommenden Samstag über die Bühne geht . . .
Benjamin Brittens „Tod in Venedig“an der Volksoper: Premiere am 14. Mai, weitere Termine am 17., 21., 24., 28. und 31. Mai.