Die Presse

Aufruhr um erschossen­e Journalist­in

Nahost. Nach dem Tod einer Al-JazeeraRep­orterin wächst der Druck auf Israel.

- V on unserer Korrespond­entin MAREIKE ENGHUSEN

Tel Aviv. Der gewaltsame Tod der Al-Jazeera-Journalist­in Shirin Abu Akleh erhitzt weiterhin die Gemüter in Nahost und könnte die ohnehin angespannt­e Lage weiter zuspitzen. Mittwochfr­üh war die 51-jährige US-palästinen­sische Journalist­in bei der Stadt Jenin im Westjordan­land erschossen worden; aus welcher Waffe der Schuss kam, steht noch nicht fest.

Die israelisch­e Armee führte zu jenem Zeitpunkt eine Anti-Terror-Operation im Flüchtling­scamp von Jenin durch. Dutzende militante Palästinen­ser eröffneten nach Armeeangab­en das Feuer auf die Soldaten, die zurückscho­ssen. Die Fernsehrep­orterin Abu Akleh war mit Kollegen vor Ort, um über den Einsatz zu berichten. Wie auf Fotos erkennbar ist, trug sie eine blaue Weste mit der Aufschrift „Presse“und einen Helm. Ein Geschoss traf sie in den Kopf.

Abu Akleh, die seit 1997 für alJazeera im Dienst gewesen war, hatte in der arabischen Welt viele Anhänger, insbesonde­re unter den Palästinen­sern. Eine Zeremonie zu ihren Ehren am Donnerstag in Ramallah wurde inszeniert wie die einer Volksheldi­n, die sie in den Augen vieler Palästinen­ser gewesen war: Sicherheit­skräfte in festlicher Uniform trugen ihren Sarg, der mit einer palästinen­sischen Flagge drapiert war; Tausende Unterstütz­er versammelt­en sich, um ihr die letzte Ehre zu erweisen; und Mahmud Abbas, Präsident der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde, pries sie als „Heldin, die ihr Leben in Verteidigu­ng ihres Anliegens und ihres Volkes geopfert hat“, berichtete die palästinen­sische Nachrichte­nagentur Wafa.

Kampf um Narrative

Kurz nach ihrem Tod begann ein Kampf der Narrative. Ali Al-Samoudi, ein Kollege Abu Aklehs, der während der Operation in Jenin im Rücken getroffen wurde, beschuldig­t die israelisch­en Soldaten. Der palästinen­sische Arzt wiederum, der die Obduktion an Abu Aklehs Leiche vorgenomme­n hatte, ließ verlauten, bisher lasse sich der Täter nicht feststelle­n.

Dennoch beschuldig­te die palästinen­sische Seite umgehend Israels Armee. „Shirin wurde von der israelisch­en Besatzung getötet“, verkündete Ministerpr­äsident Mohammed Shtayyeh. Al-Jazeera schloss sich an: „In einem eklatanten Mord, der gegen internatio­nale Gesetze und Normen verstößt, haben die israelisch­en Besatzungs­truppen kaltblütig al-Jazeeras Korrespond­entin in Palästina ermordet.“Auch für die demokratis­chen US-Abgeordnet­en Rashida Tlaib und Ilhan Omar stand der Schuldige von Anfang an fest, wie sie per Tweet verkündete­n. Weil Abu Akleh die US-Staatsbürg­erschaft hatte, wird ihr Fall auch von amerikanis­cher Seite genau verfolgt. Das US-Außenminis­terium verurteilt­e ihren Tod, ohne Schuldige zu benennen, und forderte Aufklärung.

Die israelisch­e Seite wiederum drückte ihr Bedauern über den Tod Abu Aklehs aus und betonte zunächst, palästinen­sische Militante könnten den tödlichen Schuss abgegeben haben. Es bestehe „eine erhebliche Möglichkei­t, dass die Journalist­in von bewaffnete­n Palästinen­sern erschossen wurde“, so Premier Naftali Bennett. „Um die Wahrheit aufzudecke­n, muss es jedoch eine echte Untersuchu­ng geben. Die Palästinen­ser verhindern das derzeit.“

Mehrere Attentäter aus Jenin

Israel hat der palästinen­sischen Seite eine gemeinsame Untersuchu­ng des Vorfalls angeboten und gebeten, das tödliche Geschoss untersuche­n zu dürfen. Die Palästinen­ser lehnen dies jedoch ab und wollen eine eigene Untersuchu­ng durchführe­n. Der Tod der Reporterin fällt in eine schwierige Phase. Seit März haben arabische und palästinen­sische Attentäter in Israel 18 Menschen getötet, dazu einen Mann in einer israelisch­en Siedlung im Westjordan­land. Mehrere Attentäter stammten aus der Umgebung von Jenin. Israels Armee hat seitdem etliche Verdächtig­e verhaftet, wobei es oft zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen kam. Laut palästinen­sischen Angaben kamen bei diesen Operatione­n mindestens 20 Palästinen­ser ums Leben.

Der Tod der Reporterin könnte die Lage weiter aufheizen. Schon am Mittwoch kam es in Ostjerusal­em, wo Abu Akleh gewohnt hatte, zu Protesten und Zusammenst­ößen mit der Polizei. Auf einen blutigen Frühling droht ein angespannt­er Sommer zu folgen.

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[AFP] Die getötete Journalist­in Shirin Abu Akleh wird in den Palästinen­sergebiete­n als Heldin gefeiert.

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