US-Nationalgarde kooperiert mit Bundesheer
Reise. Klaudia Tanner flog in die USA, besuchte das Pentagon und Vermont – und nahm telefonisch an der ÖVP-Krise zu Hause teil.
Washington. Klaudia Tanner spaziert am Montagnachmittag durch ein Stück Geschichte: Drinnen gemusterte Himmelbetten und türkis-grüne gefärbte Wände – eine Trendfarbe im späten 18. Jahrhundert. Draußen blökende Schafe und die Sonne über Mount Vernon. Eine Mitarbeiterin führt die österreichische Delegation gerade durch den ehemaligen Landsitz des ersten US-Präsidenten, George Washington. Vorbei an gepflegten Gärten, hinauf in den Dachboden im Herrenhaus, der sonst nicht für Besucher geöffnet ist. Auf dem Weg hin läutet Tanners Handy. Schon wieder, an diesem Tag.
Die Verteidigungsministerin ist zwar mehr als 7000 Kilometer in Richtung Westen geflogen, die österreichische Innenpolitik hat sie aber erstaunlich schnell eingeholt. Und zwar schon in der ersten Nacht, durch die Zeitverschiebung: Es ist Sonntag, vier Uhr früh. Tanner sitzt in ihrem Hotelzimmer in Washington, D.C., als Elisabeth Köstinger anruft. Sie werde zurücktreten, kündigt sie ihrer Parteiund Regierungskollegin an. Auch die Nacht darauf wird nicht ruhiger, Tanner schläft nur zwei Stunden. Ab zwei Uhr bespricht sie mit ihrer Partei die interne Krise.
Eigentlich steht die Kooperation zwischen dem Bundesheer und dem US-Militär im Zentrum dieser Reise. Im Pentagon, dem US-Verteidigungsministerium, wird Tanner in einen Besprechungssaal mit dunklem Holztisch und schweren Vorhängen geführt, an der Wand leuchtet eine rote Schrift: „Secret: mic off.“Dabei tauschen hier Daniel Hokanson, Chef der US-Nationalgarde, Tanner und ihre militärischen Berater ohnehin keine hoch klassifizierten Informationen aus. Sondern die wichtigsten Ziele der neuen Zusammenarbeit, die kurz darauf offiziell gemacht wird.
Es ist also nicht geheim, aber durchaus ungewöhnlich, was in diesen Tagen fixiert wird: Die USA nehmen Österreich in ihr sogenanntes State Partnership Program auf. Eine internationale Kooperation, die jeweils zwischen der Nationalgarde eines US-Bundesstaates und dem Militär eines anderen Landes besteht. Und in diesem Fall ist es eine überraschende Kombination: Nicht nur, weil Österreich neutral ist. Sondern auch, weil es nicht Teil des Warschauer Pakts war. Bisher haben die USA in Europa nur Partner gesucht, die früher zu dem Militärbündnis mit der Sowjetunion gehört haben. Lange Zeit war nämlich das Ziel des Partnership Program, ehemalige Ostblockstaaten militärisch an westliche Standards anzupassen – und an die Nato anzunähern.
In einem Fall zahlte sich die Kooperation übrigens besonders aus: Die Nationalgarde von Kalifornien arbeitet seit 1993 mit dem Militär der Ukraine zusammen, der US-Bundesstaat half beim Aufbau der Streitkräfte. Als der russische Angriffskrieg begann, habe die Ukraine zuerst in Kalifornien, nicht in Washington, D. C. angerufen, erzählt Hokanson der österreichischen Delegation.
Und jetzt also sitzt Tanner hier. Warum? Aus österreichischer Perspektive spricht vieles dafür: Schon der ehemalige Verteidigungsminister der FPÖ, Mario Kunasek, hatte sich für das Partnership Program interessiert – 2019 reiste er dafür in die USA. Die Regierung wollte (und will immer noch) die strategische Partnerschaft mit den USA ausbauen. Heute ist es auch ein politisches Signal. In der Vergangenheit wurde Österreich oft vorgeworfen, sich stark an Russland zu orientieren. Militärisch kann das Bundesheer ohnehin von der Expertise der Nationalgarde profitieren.
Und die USA - was haben sie davon? Aus strategischen Gründen hofft man, dass Österreich militärisch etwas aufholen kann – und aufrüstet. Hie und da lässt man zudem fallen, dass eine Investition in den USA möglich wäre. Im Pentagon nennt man den Beginn der Partnerschaft denn auch einen „door opener“. Immerhin ist es eine neue Art der Zusammenarbeit, die man hier beginnt.
Es gibt dann auch noch einen US-Bundesstaat, der profitiert: Vermont. Das ist der Partner, mit dem Österreich kooperieren wird. Es ist die nächste Station für Tanner: Eineinhalb Stunden Flugzeit trennen sie vom schicken Regierungsviertel in D. C., als sie später in dieser Woche im Nordosten des Landes kurz vor der kanadischen Grenze landet. 4000 Soldaten gehören hier zur Nationalgarde. Sie ist der Teil der US-Truppe, der am ehesten mit der Miliz in Österreich vergleichbar ist. Viele Uniformierte haben einen zivilen Hauptberuf und sind im Nebenjob beim Militär. Bloß dass es eine viel intensivere Arbeit als in Österreich ist: Die Nationalgarde übt mindestens ein Wochenende im Monat und zusätzlich zwei Wochen im Jahr. Eingesetzt wird sie im Inland (bei Naturkatastrophen oder anderen Notfällen), hauptsächlich im eigenen Bundesstaat – oder auch im Ausland.
Hügel statt Alpen
Die Nationalgarde von Vermont soll nun eben eng mit Österreich kooperieren. Die Details müssen erst festgelegt werden, aber in groben Zügen steht es schon fest. Ausgesucht wurde der Bundesstaat auch wegen der Berge, selbst wenn es im Vergleich zu den Alpen eher nur Hügel sind: Das Bundesheer will seine Expertise im Gebirgskampf einbringen. Umgekehrt will sich Österreich in Sachen Drohnenabwehr beraten lassen.