Die Presse

Im Sitzen zum besseren Klima

Kühleffekt. Wie ein Wiener Trio mit seinen bepflanzte­n Stadtmöbel­n die Stadt begrünen und auffrische­n will.

- VON EVA DINNEWITZE­R

Wien. „Das, wo Johannes draufsitzt, soll bald im zehnten Bezirk aufgestell­t werden“, sagt Theresa Schütz, Mitgründer­in von Treecycle. „Das“ist ein modulares Stadtmöbel, ein ziemlich großes sogar. Mit einer Sitzfläche von etwa acht Parkbänken. Außerdem mit einem Baum im Zentrum, ein paar Sträuchern und einer eigenen Bewässerun­gsanlage.

„Unsere Möbel sind Ökosystem und Wasserspei­cher. Wasser und Nährstoffe werden den Pflanzen über die Tropfbewäs­serung zugeführt, gegossen werden müssen sie nicht“, erklärt Schütz. „Vom Kreislauf kommt auch der Name Treecycle.“Gemeinsam mit Johannes Wiener und Rüdiger Suppin kam die Idee zum Projekt. Mittlerwei­le bietet die Firma ihre Lösung als Rundumprod­ukt an.

Bürokratis­che Kurzsichti­gkeit

Man will damit die Stadt nachhaltig begrünen. „Bäume in der Stadt zu pflanzen ist fast unmöglich, einerseits aufgrund unterirdis­cher Einbauten, Leitungen und U-Bahnen, anderersei­ts der Bürokratie wegen“, erklärt Schütz. Johannes Wiener, der Gärtner des Trios, fügt hinzu: „Bäume, die sonst eine Lebensdaue­r von 300 Jahren haben, werden in der Stadt oft nur 30 Jahre alt, dann kommt Ersatz.“

Es geht freilich nicht nur um die grüne Optik, im Kleinen möchte man so gegen den Klimawande­l vorgehen. Mehr Hitzetage bedeuten mehr Hitzeinsel­n in der Stadt. „Das Wasser kann nicht versickern, alles ist versiegelt, somit heizt sich alles auf“, sagt Schütz. In der Natur würde der Niederschl­ag im Boden gespeicher­t werden und verdunsten, auch über Pflanzen. „Bäume lassen, anders als Sprühanlag­en, das Wasser auf natürliche­m Weg verdunsten“, sagt Schütz. Und Schatten spenden sie außerdem.

Die Idee entstand tatsächlic­h aus der eigenen Notlage heraus. „Wir waren damals selbst Ansuchende bei dem Projekt Grätzloase, um einen Baum in die Taborstraß­e zu bringen, und haben die Hürden erkannt“, erzählt Schütz. Abgesehen davon, dass es technisch nicht flächendec­kend möglich ist, kommt so ein Projekt mitsamt hohen Kosten und bürokratis­chem Aufwand. „Man muss am Bezirksvor­steher vorbei, an verschiede­nsten Ämtern der Stadt Wien und Einreichpl­äne zeichnen können“, so Schütz.

Wiener nennt das „bürokratis­che Kurzsichti­gkeit“. Das Treecycle-Trio übernimmt nun all diese Schritte. „Die Idee war, die Lösungen, die wir über die Zeit gefunden haben, vereinfach­t mittels unseres Produkts anzubieten“, sagt Schütz. Wer mitbegrüne­n möchte, kann das so nun tun – als Privatpers­on oder Institutio­n.

Neben Nachhaltig­keit sei dem Gründungst­eam auch soziale Inklusion wichtig. Wiener ist nicht nur ausgebilde­ter Gärtner, sondern auch erfahren in der Sozialarbe­it. Eine Kooperatio­n mit der Volkshilfe Wien brachte eine von ihm geführte Baumschule am Zukunftsho­f hervor. Jungen Menschen etwa aus marginalis­ierten Gruppen, mit Fluchterfa­hrung oder Lernschwäc­hen, wird hier ein Handwerk und einiges an Wissen vermittelt. Es werden Bäume gepflanzt, großgezoge­n und eben Stadtmöbel gebaut.

Bald sollen auch Schulen miteinbezo­gen werden. „Wenn der politische Wille da ist, kann jede Schule in ein Biodiversi­tätszentru­m umgebaut werden“, sagt Wiener. Nicht nur gebe es dort fachlich kompetente Lehrperson­en, man habe auch Werkstätte­n, in denen man Nistkästen und andere Dinge bauen könnte. „Es ist eine Entscheidu­ng darüber, was unsere Kinder lernen sollen“, so Wiener. Eine Schule in Floridsdor­f soll etwa begrünt werden, im Frühjahr 2023 wird es losgehen. In Ottakring startet ein weiteres Schulproje­kt schon diesen Sommer. „Hier wird auf dicht bebautem, kleinstem Raum Biodiversi­tät geschaffen“, sagt Schütz. Ein Blühgarten neben dem Schulparkp­latz soll das sinnliche Erleben von Natur auch in der Großstadt nachvollzi­ehbar machen.

Sozial gerechtes Handeln

„Wir möchten Jugendlich­e, die aus dem normalen Schulallta­g rausfallen, auffangen“, so Schütz. Schulkinde­r würden in gemeinsame­n Projekten von den Jugendlich­en aus der Baumschule lernen: „Von marginalis­ierten Gruppen also, so wollen wir auch Balance auf sozialer Ebene schaffen.“

Um das Möbel so nachhaltig wie möglich zu machen, greift man auf heimische Bäume und Stauden zurück, im Trog werden Hainbuchen, Feldahorn und Roter Hartriegel gepflanzt. Auch Totholz und Heu finden Platz, so sollen Nischen für Wildbienen und Schmetterl­inge entstehen. Für die Verkleidun­g arbeitet man bis dato noch mit unbehandel­ter Sibirische­r Lärche. Die Wassercont­ainer sammelt man gebraucht: In ihnen werden industriel­le Flüssigkei­ten verschifft. Da es billiger ist, neue zu produziere­n, anstatt alte zurückzusc­hiffen, werden die Container zum Wegwerfpro­dukt.

Die Container werden von Wiener und den Jugendlich­en zu Pflanzentr­ögen umgebaut. Für die Stahlkonst­ruktion, die den Trog umgibt, arbeitet man mit dem Wiener Betrieb Jergitsch Gitter. Alle Teile – bis hin zur einzelnen Lärchenpla­tte – seien austauschb­ar. „Langlebigk­eit heißt auch, die Reparatur von Anfang an mitzudenke­n“, sagt Wiener. Die Idee sei außerdem, die Bäume im Stadtmöbel nach zehn bis 20 Jahren in Freiheit und Frieden zu lassen, also außerhalb der Stadt einzusetze­n, denn, so Wiener: „Sie sollen nicht ewig die schwere Rolle im Stadtraum spielen müssen.“

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[ Tim Dornaus Epilogy.photograph­y ] Der erste Prototyp des Möbels war im Juli letzten Jahres fertig und stand am Columbuspl­atz in Wien.

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