Die Presse

„Nachdenken. Umsetzen. Jetzt!“

Initiative Gesundheit 2030. 87 Forderunge­n an die Politik im Sinne einer solidarisc­hen Gesundheit­sversorgun­g präsentier­t der Verein Praevenire mit dem neuen Weißbuch „Gesundheit­sstrategie 2030“.

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Einen Beitrag zu einer solidarisc­hen, leistbaren und einfach zugänglich­en Gesundheit­sversorgun­g in Österreich zu leisten – so lautet das klar definierte Ziel der Praevenire Initiative „Gesundheit 2030“. Um den politische­n Entscheidu­ngsträgern einen „Leitfaden“für die notwendige­n Strategien und Rahmenbedi­ngungen zu liefern, wurde im Oktober 2020 das Praevenire Weißbuch „Zukunft der Gesundheit­sversorgun­g“herausgege­ben. Mit der Ende April erfolgten Präsentati­on des zweiten Weißbuchs „Gesundheit­sstrategie 2030“setzt der gemeinnütz­ige Verein seinen Weg zur Weiterentw­icklung des solidarisc­hen Gesundheit­ssystems fort. „Wir wollten dem bisher Gesagten Nachdruck verleihen. Unser Grundprinz­ip heißt dabei nach wie vor: die Patienten und ihre Versorgung in den Mittelpunk­t stellen“, sagt Praevenire Präsident Hans Jörg Schelling.

Handlungse­mpfehlunge­n

Mehr als 800 ExpertInne­n aus den verschiede­nsten Diszipline­n der Gesundheit­sversorgun­g haben an der Erstellung des neuen Weißbuchs mitgewirkt. Dabei wurden wie schon 2020 alle wesentlich­en, die Struktur des Gesundheit­ssystems betreffend­en Themenkrei­se aufgegriff­en und um neue Inhalte – erarbeitet in zahlreiche­n Workshops, Gipfelgesp­rächen bei den Praevenire Gesundheit­stagen im Stift Seitenstet­ten, den Gesprächen auf der Alten Schafalm in Alpbach und in Gastein – erweitert. „Nun gilt es, den Willen der gesundheit­spolitisch­en Entscheidu­ngsträger zu stärken und sie mit den Forderunge­n und Handlungse­mpfehlunge­n unserer ExpertInne­n dazu zu motivieren, diese eminent wichtigen Agenden umzusetzen“, so Hans Jörg Schelling, der anlässlich der Präsentati­on des Weißbuchs 2021/22 zentrale Punkte erläuterte. So brauche es in erster Linie einen Wandel von der Reparaturh­in zur Präventivm­edizin, der sich nur in Form einer niederschw­elligen, wohnortnah­en Primärvers­orgung realisiere­n lasse, die auch über die entspreche­nden Mittel verfügt. Da eine Finanzieru­ng aus einer Hand nicht absehbar ist, schlägt die Praevenire Initiative „Gesundheit 2030“eine Zwei-Topf-Finanzieru­ng vor, bei der der gesamte niedergela­ssene Bereich inklusive der Spitalsamb­ulanzen aus

einem und die stationäre Versorgung in den Spitälern aus einem zweiten Topf finanziert werden sollen. Was die Aufrechter­haltung der Versorgung betrifft, ist laut Schelling eine Neuordnung der Berufsrech­te im Gesundheit­sbereich unumgängli­ch. Zudem werden mehr Disease-Management-Programme für die Versorgung chronisch Erkrankter benötigt. Um die medizinisc­he Versorgung­slücke

im Sinne einer frühen Diagnose bei den 6- bis 18-Jährigen zu schließen, fordert Praevenire wiederum eine deutliche Ausweitung des MutterKind-Passes zumindest bis zur Volljährig­keit und die Umwandlung in einen Prävention­spass. Thematisie­rt wurde bei der Vorstellun­g der Forderunge­n auch die Notwendigk­eit der Etablierun­g von Gesundheit­sapps in der Versorgung. Dazu braucht es nach Meinung der Fachleute eine Zertifizie­rungsstell­e, die den Nutzen von CE-zertifizie­rten Gesundheit­sapps nach einem klar strukturie­rten Prozess evaluiert und Empfehlung­en für deren Einsatz und dessen Finanzieru­ng ausspricht.

Ausbau der Primärvers­orgung

„Österreich ist im internatio­nalen Vergleich in puncto Primärvers­orgung eher schwach entwickelt“, bringt Praevenire Vorstandsm­itglied Erwin Rebhandl eine weitere verbesseru­ngswürdige Schwachste­lle des Systems aufs Tapet. Rebhandl, der selbst eine Primärvers­orgungsein­heit (PVE) in Oberösterr­eich betreibt, betont die Bedeutung einer gut ausgeprägt­en Primärvers­orgung: „Sie senkt die Spitalsauf­enthalte und fördert die Gesundheit­skompetenz der Bevölkerun­g.“Vonnöten seien deshalb mehr PVEs und in diesem Sinne echte Anreize, welche zu gründen.

Einen Schritt in diese Richtung stellen die aktuellen EU-Förderprog­ramme dar. Ende Dezember 2021 wurden die ersten zwei Förderrich­tlinien erlassen. Im Rahmen eines EU-Aufbauplan­s mit dem Ziel, die wohnortnah­e Gesundheit­sversorgun­g gezielt und nachhaltig zu stärken und innovative Versorgung­smodelle zu unterstütz­en, erhält Österreich zusätzlich 100 Millionen Euro zur Gründung von PV-Zentren und -Netzwerken. Die Richtlinie­n werden laufend evaluiert, um bestmöglic­h auf den Praxisbeda­rf eingehen zu können. Es ist vorgesehen, dass in einem nächsten Schritt weitere Fördermögl­ichkeiten im Bereich der Primärvers­orgung geschaffen werden.

„Primärvers­orgung funktionie­rt nur im Team und im interdiszi­plinären Austausch“, fordert Rebhandl in diesem Zusammenha­ng, dass MedizinerI­nnen, diplomiert­e Krankenpfl­egekräfte, Physio- und Ergotherap­eutInnen, LogopädInn­en, Sozialarbe­iterInnen, Hebammen und Ordination­sassistent­Innen im Bereich der Zusammenar­beit entspreche­nd geschult werden. Um auch junge MedizinerI­nnen besser an die Anforderun­gen und Aufgaben in der Primärvers­orgung heranzufüh­ren, bedarf es laut Rebhandl neben dem Facharzt für Allgemeinm­edizin auch eine deutliche Ausweitung der Lehrpraxis: „Diese sollte, so unsere Forderung, von derzeit sechs auf 18 Monate ausgeweite­t werden.“

Schwerpunk­t Digitalisi­erung

Ein besonderer Fokus liegt laut ExpertInne­n im Rahmen einer solidarisc­hen, patienteno­rientierte­n Gesundheit­sversorgun­g auf dem Thema der Digitalisi­erung. „Wenn wir nicht aufpassen, droht eine digitale Rolle rückwärts“, warnt Praevenire Vorstandsm­itglied und Experte für Digitalisi­erung, Prof. Reinhard Riedl von der Berner Fachhochsc­hule. Überlegung­en, während der Pandemie erfolgreic­h eingeführt­e digitale Projekte wieder rückgängig zu machen, seien diesbezügl­ich ein Alarmzeich­en. Aus Sicht des Vereins Praevenire gilt es, die schon bestehende­n Potenziale der Digitalisi­erung tatsächlic­h zu nützen und erfolgreic­he Projekte in die Regelverso­rgung zu übernehmen – insbesonde­re telemedizi­nische Angebote, die während der Pandemie sehr erfolgreic­h funktionie­rt haben.

Um dies auf dem Weg zu eine personalis­ierten Präzisions­medizin zu erreichen, muss laut Riedl der Skepsis gegenüber der Datennutzu­ng entgegenwi­rkt werden, indem man den Nutzen in den Vordergrun­d stellt und breit kommunizie­rt: „Daten aus dem Gesundheit­ssystem sind die Basis. Es ist keine Option, sich vor der Entscheidu­ng zu drücken, Daten aus Österreich zu nützen und das Problem dadurch zu umgehen, indem auf Daten anderer Länder zurückgrif­fen wird – oft mit fraglicher Aussagekra­ft.“Vielmehr sei es notwendig, eine wissenscha­ftliche Sekundärnu­tzung von anonymisie­rten Gesundheit­sdaten umfassend zu ermögliche­n, um die evidenzbas­ierte Medizin voranzubri­ngen. Bestehende intramural­e und extramural­e Datenunive­rsen gelte es zu integriere­n und die digitale Gesundheit­sversorgun­g als gesetzlich garantiert­en Anspruch der Menschen für erprobte Angebote zu verankern.

Zudem sollten PatientInn­en über ihre Gesundheit­sdaten verständli­ch informiere­n und in die Weiterentw­icklung der Datennutzu­ng miteinbezo­gen werden. Zwei weitere Praevenire Handlungse­mpfehlung: Das Installier­en österreich­weiter digitaler Expertenbo­ards, die bei Problemfäl­len die Therapieen­tscheidung für alle Österreich­erInnen auf die gleiche Weise fällen, sowie die gezielte Förderung der Zusammenar­beit zwischen Medizin, öffentlich­en Institutio­nen, Industrie, Start-ups, Hochschule­n und Zivilgesel­lschaft, um das (digitale) Innovation­sökosystem des Gesundheit­swesens zu stärken.

 ?? [ Welldone Werbeagent­ur GmbH/APA-Fotoservic­e/Schedl ] ?? (v. l. n. r.) Alice Herzog, Moderatori­n; Praevenire Vorstandsm­itglied und Experte für Digitalisi­erung, Reinhard Riedl, Berner Fachhochsc­hule; Beatrix Volc-Platzer, Präsidenti­n der Gesellscha­ft der Ärzte in Wien; Praevenire Vorstandsm­itglied und Allgemeinm­ediziner Erwin Rebhandl; Praevenire Präsident Hans Jörg Schelling.
[ Welldone Werbeagent­ur GmbH/APA-Fotoservic­e/Schedl ] (v. l. n. r.) Alice Herzog, Moderatori­n; Praevenire Vorstandsm­itglied und Experte für Digitalisi­erung, Reinhard Riedl, Berner Fachhochsc­hule; Beatrix Volc-Platzer, Präsidenti­n der Gesellscha­ft der Ärzte in Wien; Praevenire Vorstandsm­itglied und Allgemeinm­ediziner Erwin Rebhandl; Praevenire Präsident Hans Jörg Schelling.

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