Die große Alice-Schwarzer-Show
Kino. Sie hat Charisma und kommt auch mit „echten Männern“zurecht: Das zeigt Sabine Derflingers Schwarzer-Porträt. Doch die junge Alice hätte diesen Film wohl nicht goutiert.
In Deutschland bin ich immer ein bisschen exotisch geblieben“, sagt Alice Schwarzer. Da steht sie und plauscht auf einer Brücke in Köln. Und spricht plötzlich zwei stämmige Typen an, die gerade vorbeispazieren: „Echte Männer! Gibt’s auch noch, ne?“Schon rennt der Schmäh: Ob Schwarzer den Papageienbaum hier kenne? „Ja, aber wenn man da drunter steht, wird man vollgeschissen!“Und haben die Männeken schon das Fünf-Liter-Fass von Päffgen probiert? Die machen ja sowieso das beste Bier!
Exotisch wirkt Schwarzer in dieser Szene nicht. Vielmehr ganz in ihrem Element. Wie auch in den meisten anderen Szenen, aus denen sich Sabine Derflingers so schlicht wie gravitätisch „Alice Schwarzer“betiteltes Doku-Porträt der prominentesten deutschen Feministin zusammensetzt. Deren Charisma – gleichermaßen intellektuell und bodenständig, verspielt, penibel und gewitzt, gefühlvoll und moralisch unerbittlich – ist Trumpf des Films: Es eröffnet Schwarzers Wirkmacht als feministisches Idol auch jenen Publikumsteilen, die mit ihrem Wirken nur oberflächlich vertraut sind.
„Alice hat vor nichts Berührungsängste“, meint ihre Partnerin, Bettina Flinter, im Film. Was die „Emma“-Gründerin weit brachte, wie Derflinger in großer Ausführlichkeit nachzeichnet: von Schwarzers Anfängen als ehrgeizige Tageszeitungsvolontärin („Das kleinste Thema habe ich mit Verve behandelt!“) über ihre politische Reifung in Frankreich, wo sie im Post-68er-Paris mit Simone de Beauvoir Freundschaft schloss. Von den Erfolgen ihrer wegweisenden Frauenzeitschrift bis hin zu ungebrochen aktuellen Aktivismus-Coups – wie der verhinderten Ausstrahlung eines bejahenden NDRBeitrags über Abtreibung, die im Jahr 1974 zum Zensurskandal geriet.
Eine antichauvinistische Entertainerin
Derflinger bietet Schwarzers Leben eine breite Bühne. Im Gespräch zeigt sich die einstige Vorzeige-„Emanze“als begabte Erzählerin – ob sie nun über geschlagene Medienschlachten spricht oder, lustwandelnd im Wuppertaler Wald, über die geliebten Großeltern. Clips aus Fernsehauftritten bezeugen ihr beachtliches rhetorisches Talent. Darunter die berühmte WDR-Debatte mit der Autorin Esther Vilar, deren Männerrechtler-Thesen Schwarzer mit für 1975 unerhörter Chuzpe („Sie sind nicht nur Sexistin, Sie sind auch Faschistin!“) zerlegte. Oder ihr TV-Triumph über den Schauspieler Klaus Löwitsch, dessen Salonchauvinismus sie 1988 mit Charme und Witz vorführte – unter begeistertem Applaus, wie ihn sonst nur geborene Entertainer ernten.
Diese große Schwarzer-Show unterhält. Und steckt an mit kämpferischer Euphorie, trotz überfrachteter 136 Minuten Laufzeit. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Derflinger folgt hier erneut dem Erfolgsrezept ihres feministischen Doku-Hits „Die Dohnal“(2020): Einer Ikone der Frauenbewegung wird ein huldvolles Denkmal gesetzt, bei dem selbst die Schattenseiten sympathisch vermenschlichend wirken.
Fundierte Kritik an strittigen Haltungen Schwarzers hat in dieser Hagiografie keinen Platz: Gegenstimmen zu ihrer prinzipiellen Ablehnung von Sexarbeit oder ihrem Kreuzzug gegen den „politischen Islam“bleiben im Film bewusst halblaut, die TransgenderKontroverse gleich ganz unberücksichtigt.
Großteils redet das zwischen Infotainment und Homestory pendelnde Porträt seiner Hauptfigur unhinterfragt nach dem Mund. Als hätte Derflinger den Hass, der Feministinnen jahrzehntelang entgegengeschwappt ist (und das oft immer noch tut) so verinnerlicht, dass sie jegliche Angriffsfläche verdecken will. Das verhindert die offene Auseinandersetzung mit Schwarzers Überzeugungen. Eine solche ist aber stets spannender und erhellender als bedingungsloses Einverständnis oder kategorische Ablehnung. Dass der adorierende Zugang bei Filmporträts männlicher Heldenfiguren unserer Zeitgeschichte ebenso oft zur Anwendung kommt, ändert leider nichts an seiner Problematik. Schwer zu glauben, dass die junge, am freien intellektuellen Diskurs Frankreichs geschulte Alice Schwarzer ihn gutgeheißen hätte . . .