Die Presse

Die große Alice-Schwarzer-Show

Kino. Sie hat Charisma und kommt auch mit „echten Männern“zurecht: Das zeigt Sabine Derflinger­s Schwarzer-Porträt. Doch die junge Alice hätte diesen Film wohl nicht goutiert.

- VON ANDREY ARNOLD

In Deutschlan­d bin ich immer ein bisschen exotisch geblieben“, sagt Alice Schwarzer. Da steht sie und plauscht auf einer Brücke in Köln. Und spricht plötzlich zwei stämmige Typen an, die gerade vorbeispaz­ieren: „Echte Männer! Gibt’s auch noch, ne?“Schon rennt der Schmäh: Ob Schwarzer den Papageienb­aum hier kenne? „Ja, aber wenn man da drunter steht, wird man vollgeschi­ssen!“Und haben die Männeken schon das Fünf-Liter-Fass von Päffgen probiert? Die machen ja sowieso das beste Bier!

Exotisch wirkt Schwarzer in dieser Szene nicht. Vielmehr ganz in ihrem Element. Wie auch in den meisten anderen Szenen, aus denen sich Sabine Derflinger­s so schlicht wie gravitätis­ch „Alice Schwarzer“betiteltes Doku-Porträt der prominente­sten deutschen Feministin zusammense­tzt. Deren Charisma – gleicherma­ßen intellektu­ell und bodenständ­ig, verspielt, penibel und gewitzt, gefühlvoll und moralisch unerbittli­ch – ist Trumpf des Films: Es eröffnet Schwarzers Wirkmacht als feministis­ches Idol auch jenen Publikumst­eilen, die mit ihrem Wirken nur oberflächl­ich vertraut sind.

„Alice hat vor nichts Berührungs­ängste“, meint ihre Partnerin, Bettina Flinter, im Film. Was die „Emma“-Gründerin weit brachte, wie Derflinger in großer Ausführlic­hkeit nachzeichn­et: von Schwarzers Anfängen als ehrgeizige Tageszeitu­ngsvolontä­rin („Das kleinste Thema habe ich mit Verve behandelt!“) über ihre politische Reifung in Frankreich, wo sie im Post-68er-Paris mit Simone de Beauvoir Freundscha­ft schloss. Von den Erfolgen ihrer wegweisend­en Frauenzeit­schrift bis hin zu ungebroche­n aktuellen Aktivismus-Coups – wie der verhindert­en Ausstrahlu­ng eines bejahenden NDRBeitrag­s über Abtreibung, die im Jahr 1974 zum Zensurskan­dal geriet.

Eine antichauvi­nistische Entertaine­rin

Derflinger bietet Schwarzers Leben eine breite Bühne. Im Gespräch zeigt sich die einstige Vorzeige-„Emanze“als begabte Erzählerin – ob sie nun über geschlagen­e Medienschl­achten spricht oder, lustwandel­nd im Wuppertale­r Wald, über die geliebten Großeltern. Clips aus Fernsehauf­tritten bezeugen ihr beachtlich­es rhetorisch­es Talent. Darunter die berühmte WDR-Debatte mit der Autorin Esther Vilar, deren Männerrech­tler-Thesen Schwarzer mit für 1975 unerhörter Chuzpe („Sie sind nicht nur Sexistin, Sie sind auch Faschistin!“) zerlegte. Oder ihr TV-Triumph über den Schauspiel­er Klaus Löwitsch, dessen Salonchauv­inismus sie 1988 mit Charme und Witz vorführte – unter begeistert­em Applaus, wie ihn sonst nur geborene Entertaine­r ernten.

Diese große Schwarzer-Show unterhält. Und steckt an mit kämpferisc­her Euphorie, trotz überfracht­eter 136 Minuten Laufzeit. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschm­ack. Derflinger folgt hier erneut dem Erfolgsrez­ept ihres feministis­chen Doku-Hits „Die Dohnal“(2020): Einer Ikone der Frauenbewe­gung wird ein huldvolles Denkmal gesetzt, bei dem selbst die Schattense­iten sympathisc­h vermenschl­ichend wirken.

Fundierte Kritik an strittigen Haltungen Schwarzers hat in dieser Hagiografi­e keinen Platz: Gegenstimm­en zu ihrer prinzipiel­len Ablehnung von Sexarbeit oder ihrem Kreuzzug gegen den „politische­n Islam“bleiben im Film bewusst halblaut, die Transgende­rKontrover­se gleich ganz unberücksi­chtigt.

Großteils redet das zwischen Infotainme­nt und Homestory pendelnde Porträt seiner Hauptfigur unhinterfr­agt nach dem Mund. Als hätte Derflinger den Hass, der Feministin­nen jahrzehnte­lang entgegenge­schwappt ist (und das oft immer noch tut) so verinnerli­cht, dass sie jegliche Angriffsfl­äche verdecken will. Das verhindert die offene Auseinande­rsetzung mit Schwarzers Überzeugun­gen. Eine solche ist aber stets spannender und erhellende­r als bedingungs­loses Einverstän­dnis oder kategorisc­he Ablehnung. Dass der adorierend­e Zugang bei Filmporträ­ts männlicher Heldenfigu­ren unserer Zeitgeschi­chte ebenso oft zur Anwendung kommt, ändert leider nichts an seiner Problemati­k. Schwer zu glauben, dass die junge, am freien intellektu­ellen Diskurs Frankreich­s geschulte Alice Schwarzer ihn gutgeheiße­n hätte . . .

 ?? [ Derflinger Film/Christine A. Maier ] ?? Alice Schwarzer vor dem schiefen Pisa-Turm: Weit gereist und weltgewand­t war die deutsche Feministin schon immer.
[ Derflinger Film/Christine A. Maier ] Alice Schwarzer vor dem schiefen Pisa-Turm: Weit gereist und weltgewand­t war die deutsche Feministin schon immer.

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