Die Presse

Putin manövriert sich mit seinem Völkerrech­tsbruch in die Ecke

Mit der Annexion der besetzten Gebiete in der Ukraine will der Kreml-Chef Stärke zeigen. Doch aus dem Herrscher ist längst ein Getriebene­r geworden.

- VON WIELAND SCHNEIDER E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

Der Kreml-Chef hat seine Ankündigun­g also wahr gemacht: In einer Rede voller Pathos verkündete Wladimir Putin am Freitag den Anschluss der „Volksrepub­liken“Donezk und Luhansk und zweier weiterer Regionen in der Ukraine an Russland. Damit bricht er eklatant das Völkerrech­t. Und niemand im Westen wird diesen Schritt akzeptiere­n. Russland, ständiges Mitglied im UN-Sicherheit­srat und einst diplomatis­che Großmacht, gibt sich damit selbst Grenzen, die internatio­nal gar nicht anerkannt werden.

Der Kreml-Chef verschärft die gefährlich­e Lage in Osteuropa nun noch weiter. Er will Stärke zeigen. Und zugleich zeugt sein Vorgehen von seiner Schwäche. Davon, dass der einst so selbstbewu­sst und glanzvoll auftretend­e Herrscher über Russland längst ein Getriebene­r ist – seiner sturen Machtpolit­ik und der fatalen Fehler, die ihm dabei unterlaufe­n sind.

Dabei war Putin von seiner Fangemeind­e in Russland – und in vielen EUStaaten – stets als genialer Stratege gerühmt worden; als jemand, der immer wieder mit seinen wohlüberle­gten Schachzüge­n den Westen vorführt.

Etwa in Syrien, wo er mit seinem Militärein­satz an der Seite des Machthaber­s Bashar al-Assad Fakten geschaffen hat. 2013 hatte der damalige US-Präsident Barack Obama seine Drohungen, Luftangrif­fe gegen Syriens Regime durchzufüh­ren, nicht wahr gemacht. Unter anderem deshalb, weil Moskau die USA davon überzeugt hatte, es sei besser, Syriens Chemiewaff­enarsenal gezielt abzubauen. Doch später hatte dann Russland mit seiner Interventi­on in Syrien den Fuß in der Tür. Putins Verbündete­r Assad hat den Aufstand gegen ihn weitgehend niedergesc­hlagen. Von ursprüngli­chen Forderunge­n des Westens, Syriens Diktator solle die Macht abgeben, blieb nichts übrig.

Sein Sieg in Syrien beflügelte Putin, in Ländern wie Libyen militärisc­h mitzumisch­en, wenn auch mit weniger Erfolg. Der russische Präsident hatte meist den richtigen Riecher für den geeigneten Moment für rasches Handeln. Und er war immer gut im Aufspüren der Schwächen seiner Rivalen, etwa wenn er versuchte, die Europäer gegeneinan­der auszuspiel­en. So wurde er nach der Annexion der Krim 2014 in vielen Ländern nach wie vor freundlich empfangen: Auch in Österreich, das stets alles tat, um den mächtigen Kreml-Chef zu umgarnen.

Dass er mit der Krim-Annexion trotz diverser Sanktionen relativ ungeschore­n davongekom­men ist, mag Putin darin bestärkt haben, den Großangrif­f auf die Ukraine zu starten. Doch hier hat er sich bereits gehörig verspekuli­ert: Er hat die Schlagkraf­t seiner Streitkräf­te über- und den Widerstand der Ukraine und die Geschlosse­nheit des Westens unterschät­zt.

Nun tritt er mit der Annexion der besetzten ukrainisch­en Gebiete die Flucht nach vorn an: Und das ist ebenfalls alles andere als eine strategisc­he Meisterlei­stung. Zwar kann der Kreml-Chef damit eine Drohkuliss­e aufbauen. Denn ein Angriff auf die angeschlos­senen Regionen ist – in der offizielle­n Sicht Moskaus – nun ein direkter Angriff auf das Territoriu­m der Atommacht Russland.

Doch genau diese Strategie kann für Putin nach hinten losgehen. Denn mit ihr schneidet er sich einen Rückzugswe­g ab. Sollte er nicht verhindern können, dass die Ukraine bei ihren Gegenoffen­siven weiter vorrückt, würde er dann neorussisc­hes Staatsgebi­et aufgeben. Und damit würde er völlig sein Gesicht verlieren – gegenüber den Hardlinern in der russischen Führung, die auf ein noch härteres Vorgehen drängen. Aber auch gegenüber den Russinnen und Russen, die von Anfang an den Einsatz in der Ukraine als sinnloses, brutales und kostspieli­ges Kriegsaben­teuer abgelehnt haben.

D ie USA und die Europäer dürfen nun nicht nachgeben und sich nicht von Putin einschücht­ern lassen. Die Ukraine braucht gerade jetzt weitere Unterstütz­ung. Der Kreml-Chef darf seinen Völkerrech­tsbruch nicht so einfach mit Drohungen und Erpressung absichern. Eines ist aber klar: Wer mit einem so hohen Einsatz spielt wie Putin, kann hoch verlieren, ja alles verlieren. Das weiß er auch. Und das könnte ihn nun noch gefährlich­er machen als bisher. Mehr zum Thema: Seiten 1–8

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