Hinter den Erwartungen
Im Wahlkampf blieben bisher nicht nur die Inhalte auf der Strecke. Über die Performance der sieben Kandidaten für die Hofburg.
Analyse.
Wien. Ein Wahlkampf ohne Frauen und echte Inhalte, die vom Krieg in der Ukraine und der Energie- und Teuerungskrise überlagert werden, biegt in die Zielgerade ein. Eine Woche vor dem Urnengang zeigt die vorläufige Bilanz: Auch so mancher Kandidat blieb hinter den Erwartungen zurück.
Alexander Van der Bellen
Wie schon 2016 setzt der Amtsinhaber auf das ultimative Österreich-Klischee, Bergpanorama und Rot-Weiß-Rot. Selbst ein Shooting im ÖFB-Dress wird nicht ausgelassen. Ihm, dem Kind Geflohener, gelingt damit allerdings tatsächlich die Umdeutung des Heimatbegriffs, etwa mit Sätzen wie: „Österreich hat mir eine Heimat gegeben.“Zum Wahlkampfauftakt wanderte er sogleich in die Berge seiner Kindheit. Beim Schnapstrinken am Berg könnte der Kontrast zur Rolle als Staatsoberhaupt auf der Trauerfeier der Queen oder bei der UNO in New York nicht größer sein – eine bewusste Strategie. Verlässlichkeit und Vertrauen sind die Attribute, die er vermitteln will – mit seinen Herausforderern im TV streiten wollte er nicht. Auf den Social-Media-Kanälen tummeln sich unterdessen Unterstützer-Videos von Andreas Vitásek bis Arnold Schwarzenegger. Zuletzt ging er mit Ex-Präsident Heinz Fischer zum Würstelstand, mit dem Wiener Bürgermeister ging er Weinwandern. Eine breite Phalanx, vom Wiener Bürgermeister bis zum Nationalratspräsidenten, spricht sich für ihn aus. Eine mögliche Stichwahl traut sich aber auch sein Team nicht auszuschließen. Denn der Amtsinhaber scheint auch digital weniger zu verfangen als gehofft, wie die Auswertung der Social-Media-Meinungsforschungsagentur Buzz Value zeigt: Bei den Interaktionen liegt er nur auf Rang vier (430.000 seit 1. August). In Umfragen führt er hingegen haushoch mit rund 60 Prozent. Dennoch muss er womöglich eine geringe Wahlbeteiligung fürchten: Diese könnte ihn in eine Stichwahl schlittern lassen.
Walter Rosenkranz (FPÖ)
Der Volksanwalt galt als Herbert Kickls Zugeständnis an die Burschenschaften und bürgerliche Wähler. Vergleichsweise staatstragend und besonnen bedeutet aber nicht unbedingt charismatisch. Im Trachtenjanker gibt er sich betont volksnah, auf Social Media wirkt er hingegen gelangweilt und kaum mitreißend. Das schadet seiner Popularität, was auch der professionelle SocialMedia-Apparat der FPÖ nicht kompensieren kann: Zwar gab kein anderer Kandidat mehr Geld (63.000 Euro) für Social-Media-Werbung aus, im Ranking im Vergleich der Interaktionen ist er aber nur Dritter (294.000).
In Umfragen liegt er abgeschlagen auf Platz zwei (13 Prozent). Eine echte Herausforderung für Van der Bellen ist er, anders als Norbert Hofer 2016, nicht.
Gerald Grosz
Ein Spitzenplatz ist dem Ex-BZÖ-Politiker schon sicher: Kein anderer Kandidat generiert mehr digitale Aufmerksamkeit als er. Mit 1,8 Millionen Interaktionen liegt er mit Abstand an erster Stelle. Die vielen Klicks, die polternde Videos und markante Sprüche generieren, kann er allerdings laut Umfragen nicht in Stimmen umwandeln: Trotz der Fülle an Social-Media- und TV-Auftritten, die sich meist entlang der Gürtellinie bewegen, liegt er in Umfragen bei nur neun Prozent. Bei einer Nationalratswahl könnte er die gestiegene Bekanntheit aber nutzen – die Hürde für einen Einzug in den Nationalrat liegt bei vier Prozent.
Tassilo Wallentin
Dass Wallentin allein kandidiert, gilt als Racheakt an der FPÖ, die nicht ihn zum Kandidaten machen wollte. Der sendungsbewusste Wiener enttäuscht seither jene, die in ihm eine konservativ-bürgerliche Alternative sahen: Ohne wöchentliche Kolumne in der „Kronen Zeitung“entwickelte er kaum Zug zum Tor. Seine Social-Media-Präsenz bleibt unter der Wahrnehmungsgrenze, auch seine TV-Auftritte misslangen. In der „ZiB 2“irritierte er mit faktisch falschen Aussagen zu Asylwerbern. Inhalt und Habitus unterscheiden sich zudem kaum von FPÖ-Kandidat Rosenkranz. In der aktuellsten Umfrage liegt Wallentin bei acht Prozent.
Dominik Wlazny (Bierpartei)
Aus Spaß wurde schon bei der Wien-Wahl 2020 Ernst – jetzt könnte es noch ernster für den studierten Arzt werden: Tatsächlich hat der Bierpartei-Gründer Chancen auf Platz zwei. Diesen hat er jetzt schon bei der Social-Media-Präsenz inne (889.000 Interaktionen). Seine Wahlkampf-Auftritte wirken unterdessen wie Autogrammstunden eines Rockstars – eine Rolle, in der er sich um einiges wohler fühlt als etwa bei Interviews, in denen er inhaltlich zuweilen ins Schwimmen gerät. Sein politisches Talent beweist er, indem er nun alles abzufischen scheint, was Van der Bellen links der Mitte übrig lässt. Damit übt er wohl schon für den Nationalratswahlkampf.
Michael Brunner (MFG)
Für den Chef der Impfkritikerpartei wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Nach der enttäuschenden Landtagswahl in Tirol, wo man den Einzug klar verpasste, scheint das Konstrukt der Newcomer-Partei langsam zu bröckeln. Am Freitag trat der Bundesgeschäftsführer aus der Partei aus. Aus dem Stand schaffte diese in Oberösterreich im Vorjahr sieben Prozent, Brunner selbst kommt in Umfragen derzeit nur auf zwei. Die aktuelle Themenlage spielt ihm dabei nicht in die Karten: Zwar steigen die Coronazahlen wieder an, bis zur Wahl aber dürfte es keine strengeren mehr Maßnahmen geben.
Heinrich Staudinger
Schrullig bis bizarr-befremdlich lautet das Spektrum des Schuhfabrikanten, der mit seinen Aussagen zu |MeToo auf Puls4 wohl am meisten in Erinnerung bleiben wird: „Ein bekannter österreichischer Filmemacher“habe ihm gesagt, dass „die Forderungen der politischen Korrektheit von der CIA entwickelt wurden“. Ein Beispiel: „Die schwarzen Amerikaner haben ununterbrochen neue Formeln entwickelt, wie wir zu ihnen sagen müssen.“Der Dachverband der Filmschaffenden sah sich genötigt, sich von den Aussagen zu distanzieren – inklusive Einladung zu einem Workshop gegen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe. Rund zwei Prozent dürften das Plafond für ihn sein.