Die Presse

Die verschwund­ene Missbrauch­sakte

Gewalt. Der Lehrer, der Buben missbrauch­t haben soll, wurde bereits 2013 angezeigt. Die Akte dazu ist auf mysteriöse Weise unauffindb­ar. Viele weitere Fragen zu dem Fall tun sich auf.

- VON BERNADETTE KRASSAY

Wien. Der Missbrauch­sfall um einen Wiener Sportlehre­r, der an einer Mittelschu­le mehr als zwei Dutzend Buben missbrauch­t haben soll, zieht weitere Kreise. Der Lehrer, der nach einer Anzeige 2019 Suizid begangen hat, beging seine Taten womöglich auch in einem Feriencamp als Betreuer und als Trainer bei der Sportunion – gemeinsam mit zwei weiteren Tatverdäch­tigen.

Doch bereits 2013 hatte es gegen den Lehrer eine Anzeige gegeben. Er war damals als Betreuer in einem Feriencamp im Bereich des Wolfgangse­es tätig und wurde von einem ehemaligen Teilnehmer angezeigt. Der Lehrer arbeitete dort von 1990 bis 2010 und soll 2006 übergriffi­g gewesen sein. Wäre die Anzeige damals schon ordnungsge­mäß bearbeitet worden, hätten vielleicht weitere Opfer verschont bleiben können.

1 Was ist mit der Originalak­te passiert, und wo ist sie?

Das weiß niemand so recht. Die Einvernahm­e des Beschuldig­ten habe zwar 2013 in Niederöste­rreich stattgefun­den, weil der vom Missbrauch Betroffene im Bezirk Baden wohnhaft war, sagte Raimund Schwaigerl­ehner von der Polizei Niederöste­rreich, aber nach der Einvernahm­e wurde der sogenannte Originalak­t weitergesc­hickt. Wohin, „lässt sich leider nicht mehr nachvollzi­ehen, weil der Akt bei uns nicht mehr aufscheint.“Nachdem die Einvernahm­e des Lehrers eine Assistenzd­ienstleist­ung gewesen sei, wurde der Akt nach fünf Jahren automatisc­h gelöscht. Er habe bereits mit Kollegen aus Oberösterr­eich und Salzburg gesprochen, „bei denen scheint aber auch nirgends ein Akt auf“. Auch bei der Wiener Staatsanwa­ltschaft will man nichts von der Akte wissen. „Wir haben kein Verfahren aus 2013. Ich kann daher leider auch nicht sagen, wo der Akt ist, weil wir ihn offenbar nie hatten, und wir wären auch gar nicht zuständig gewesen“, so Nina Bussek auf Nachfrage der „Presse“.

2 Warum hat die Sportunion nicht entspreche­nd früher gehandelt?

Nachdem der Sportlehre­r 2019 entlassen worden war, habe man etliche Maßnahmen gesetzt. „Von allen anderen wussten wir bis Mittwoch nada, null, nichts. Das ist wirklich traurig“, sagte Stefan Grubhofer, Generalsek­retär der Sportunion. Er fände es schade, dass der Sachverhal­t damals „nicht komplett fertig aufgearbei­tet wurde“. Denn in der von einem Opfervertr­eter-Team eingebrach­ten Anzeige dieser Woche wird vom Verdacht auf zumindest zwei namentlich bekannte Mittäter aus dem Umfeld des Lehrers ausgegange­n. Die beiden Mittäter habe der Sportlehre­r zur Sportunion gebracht. Einer der beiden – ein früherer Lehrer, der wegen eines Missbrauch­vorwurfs 2016 den Schuldiens­t quittieren musste – wurde bereits 2019 wegen erneuter Auffälligk­eit von allen Aktivitäte­n vom Wiener Basketball­verband gesperrt. Über die Vorfälle wurde Grubhofer damals nicht informiert. Auch die bei der Polizei abgegebene­n Unterlagen fanden den Weg zur Staatsanwa­ltschaft Wien offenbar nicht. Die Vereinstät­igkeit des zweiten Verdächtig­en wurde nach der eingebrach­ten Anzeige „sofort ruhend gestellt, solang die Sachlage nicht geklärt ist“, wie Grubhofer mitteilte. „Er war am Boden zerstört.“

3 Wieso agierte die Kommission der Bildungsdi­rektion nicht früher?

„Bis vor Kurzem gab es keine Hinweise darauf, dass Übergriffe in der Schule stattgefun­den haben“, hieß es auf Anfrage der „Presse“von einer Sprecherin der Bildungsdi­rektion. Und auch von möglichen Mittätern habe man nichts gewusst, ansonsten hätte man sich damit direkt an die Staatsanwa­ltschaft gewendet. Dieser Umstand sei erst durch Medien und neue Erkenntnis­se der Kommission bekannt geworden. Sobald es diese Hinweise gegeben habe, wurden ehemalige Schüler per Brief kontaktier­t. Die Kommission, bestehend aus Mitglieder­n der Bildungsdi­rektion Wien, der Kinderund Jugendanwa­ltschaft und der Kinder- und Jugendhilf­e der Stadt Wien, möchte nun „eine möglichst lückenlose Aufklärung gewährleis­ten“, teilte die Sprecherin mit. Neben der Aufarbeitu­ng des Falls sei die Kommission etwa Anlaufstel­le für Betroffene.

Wieso wurden die Ermittlung­en 2019 eingestell­t?

Weil der Staatsanwa­ltschaft Wien zu diesem Zeitpunkt offenbar keine weiteren Tatverdäch­tigen bekannt waren. „Es war ein Sachverhal­t, der zu prüfen war, und wenn der Beschuldig­te, den der Sachverhal­t betrifft, verstirbt, dann ist das Verfahren einzustell­en, und weitere Beschuldig­te gab es nicht“, sagte Nina Bussek von der Staatsanwa­ltschaft. Dennoch gab es 2019 angeblich bereits einen mutmaßlich­en Zweittäter. Bussek dementiert­e das aber: „Nein, bei uns nicht, es gab keinen weiteren Beschuldig­ten in diesem Verfahren.“

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