Die Presse

„Ich denke noch zu viel nach“

Hintergrun­d. Weil sein Paradeschl­ag, die Vorhand, schwächelt­e, verfügt Dominic Thiem jetzt über eine noch bessere Rückhand. Über Fortschrit­te, Defizite und den Endspurt in der Comeback-Saison.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Wien. Öffentlich­e Auftritte von Dominic Thiem in Österreich sind rar. Auf jenen Freitagmit­tag am Campus der Erste Bank am Wiener Belvedere hätte der 29-Jährige sehr gern verzichtet. Nicht aus Unhöflichk­eit, sondern weil Thiem in diesem Fall beim ATP-Turnier in Tel Aviv nochˇim Bewerb gewesen wäre. Marin Cilić aber buchte für den Niederöste­rreicher im Achtelfina­le am Mittwoch indirekt das Flugticket in die Heimat. Der Kroate hatte ein umkämpftes Match in drei Sätzen gewonnen.

Zwei Tage später denkt der Heimkehrer nochmals laut nach. „Es war ein gutes Match, wieder ein Schritt nach vorn. Die Richtung stimmt.“Thiem spricht von Schlägen in seinem Spiel, die wieder wunschgemä­ß funktionie­ren. Die Rückhand hebt er hervor. „Sie ist teilweise sogar besser als vor der Verletzung.“

Der Hintergrun­d: Thiem setzte, basierend auf der monatelang­en Verunsiche­rung auf der Vorhandsei­te, sehr viel öfter als bisher die Rückhand ein. Was dieser wiederum guttat. „Sie war nach dem Comeback lange Zeit der einzige Schlag, mit dem ich Punkte aufbauen und gewinnen konnte“, sagt Thiem. Und die Vorhand? Im Match erreiche sie auf einer Skala bis zehn ein Level „von sechs bis sieben“. Ohne die Vorhand vergangene­r Tage, mit der Thiem selbst bisweilen seine größten Kontrahent­en dominierte,

WELTKLASSE IN WIEN

Gleich fünf Top-Ten-Spieler werden bei den Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle (ab 24. Oktober) aufschlage­n. Neben Daniil Medwedew (4) haben auch Stefanos Tsitsipas (6), Cameron Norrie (8), Andrei Rubljow (9) und Jannick Sinner (10) ihr Kommen zugesagt. Ebenfalls mit dabei: Vorjahresf­inalist und Publikumsl­iebling Frances Tiafoe. bleibt die Rückkehr in die absolute Weltspitze eine Illusion. Sie ist nach wie vor die Achillesfe­rse in Thiems Spiel, aufhorchen lässt der ehemalige Weltrangli­stendritte aber mit folgender Aussage: „Im Training ist die Vorhand teilweise schon wieder wie früher. Eine neun, manchmal sogar eine zehn.“

Vor einigen Wochen sei das noch nicht so gewesen, „aber seit der Trainingsw­oche nach den US Open ist sie wieder da“. Das liefert Thiem eine echte Perspektiv­e, nährt die Zuversicht. Warum aber fehlt es der Vorhand dann im Match noch an Tempo, Drall und Präzision? „Weil ich dann immer noch ein bisschen mit Handbremse spiele, zu viel nachdenke, wohin ich sie wie spielen soll.“

Diese Handbremse, sie lasse sich nur mit weiteren Matches lösen, ist sich Thiem sicher. Dabei hat der Schützling von Nicolás Massú in den vergangene­n drei Monaten 25 Matches und damit sogar drei mehr als US-Open-Champions Carlos Alcaraz bestritten. „Aber mir fehlen die 80, 90 Partien, die die anderen Topspieler in meiner Abwesenhei­t gespielt haben.“Während Rafael Nadal oder Roger Federer in der Vergangenh­eit nach Verletzung­spausen oftmals sofort zu ihrer Topform fanden, war Thiem zeit seiner Karriere ein Rhythmus- und Vielspiele­r, der nie auf Anhieb glänzte. Ein Umstand, der das Comeback gewiss zusätzlich erschwert.

Im Training funktionie­rt die Vorhand oft schon wieder wie früher. Ich brauche noch mehr Matches.

Dominic Thiem

Marschrout­e für die Top 100

Die kommenden Tage nutzt Thiem zum Training in der familienei­genen Akademie in Traiskirch­en. Wie „Die Presse“erfuhr, fungiert ein 19-jähriger Schweizer als Sparringpa­rtner: Jerome Kym ist 1,98 Meter groß und soll Thiem Hunderte Aufschläge servieren, damit dieser weiter an seinem Return feilen kann. Speziell die jüngsten Spiele gegen die starken Aufschläge­r von

Cilić ˇ und den Polen Hubert Hurkacz in Metz hätten gezeigt, dass auch in diesem Bereich noch viel Aufholbeda­rf herrsche.

Thiems erklärtes Ziel für das Saisonfini­sh ist das Erreichen der Top 100. Kommenden Montag wird er sich um Position 160 einreihen, dann fehlen noch knapp 200 Punkte. Fix ist Thiems Antreten in Gijon (ATP 250, ab 10. Oktober), Antwerpen (ATP 250, 17. Oktober) und Wien (ATP 500, ab 24. Oktober). Sollte der 17-fache Turniersie­ger nach Wien die Top 100 noch nicht erreicht haben, behält

er es sich vor, „noch zwei, drei Challenger zu spielen“.

Mittelfris­tig, diese Vision verfolgt Thiem unbeirrt, will der 29-Jährige wieder um große Titel mitspielen. Die neue Generation rund um Alcaraz, Jannik Sinner und Frances Tiafoe verfolgt er aufmerksam. Sie sind, so hofft Thiem, seine Gegner von morgen. „Diese drei haben das Spiel verändert. Da gibt es vier, fünf Stunden nur volle Offensive. Aber die größten Spieler hat es immer ausgezeich­net, dass sie sich weiterentw­ickelt haben. Das versuche ich auch.“

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[ Gepa Pictures/M. Meindl ] Ein Selfie vor dem Heimturnie­r: Thiem schlägt bald wieder in Wien auf.

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