Die Presse

Staatsoper: Ein Sündenfall nach Gustav Mahler

Premiere. Der MahlerAben­d „Von der Liebe Tod“ergibt in Calixto Bieitos Inszenieru­ng kein fesselndes Musiktheat­er – trotz Florian Boesch und Lorenzo Viotti.

- VON WALTER WEIDRINGER

Um die Gunst der Königin zu erlangen, suchen zwei Brüder im Wald eine rote Blume. Der jüngere findet sie, der ältere erschlägt ihn deshalb. Ein Spielmann schnitzt sich aus einem Knochen des Toten eine Flöte. Ihr Klagelied bezichtigt den Bruder des Mordes. Als der Spielmann bei der königliche­n Hochzeit auftaucht, kommt es zum schauerlic­hen Showdown . . .

„Paff“sei er gewesen, schrieb Gustav Mahler 13 Jahre später, als ihm sein eigenes Jugendwerk „Das klagende Lied“wieder in die Finger gekommen war. Paff: Man hört das Wort geradezu knallen in dieser Schreibwei­se, fast wie einen Schuss. Und wirklich hatte der 20-Jährige in dieser dreiteilig­en Märchenkan­tate bereits in vielerlei Hinsicht hoch gezielt – und ins Schwarze getroffen, nämlich: mitten hinein in seine Lebensthem­en. Natur und Mensch, „Wunderhorn“Naivität und albtraumha­fte Verzerrung, Fanfarenge­schmetter, Choräle, ein Fernorches­ter. Zumal in der Urfassung, die in Wien nun erklingt, ergibt das auch harmonisch­e Kollisione­n von packender Kühnheit. Das „Klagende Lied“muss also kennen, wer Mahler von Grund auf erfassen möchte – so wie auch jene Symphonie in E-Dur, die sein so tragisch früh verstorben­er Studienfre­und Hans Rott zur gleichen Zeit vollendet hat: Die beiden schöpften aus demselben Ideenreser­voir.

Muss man das bewusst erzählend-konzertant­e Werk deshalb gleich inszeniere­n? Und, weil es zu kurz ist für einen ganzen Abend, mit den „Kindertote­nliedern“zusammensp­annen? Zugegeben, leicht hat es Mahler der Hof- bzw. Staatsoper nicht gemacht. Damals nicht, als er hier Direktor war, und später nicht, wenn man ihn hier ehren wollte. Denn Oper hat er keine komponiert. Da Bogdan Rosčˇić jedoch die ganze Saison unter die Ägide seines großen Vorläufers stellen wollte, musste auch eine szenische Produktion mit dessen Musik auf die Bühne. Als Regiespiel­wiese für Calixto Bieito, der damit nach der übernommen­en „Carmen“und dem umstritten­en „Tristan“gleichsam außer Opern-Konkurrenz antrat.

Eine Geschichte von alter Schuld

Nun übernehmen allenfalls die zwei Knaben, die für das Lied der Flöte aufgeboten werden, Gesangsrol­len im herkömmlic­hen Sinn. Die übrigen Solopartie­n des „Klagenden Lieds“stellen jedoch nicht die handelnden Personen dar, sondern erzählen die Story zusammen mit dem Chor. Was erzählt Bieito also teils in Parallelfü­hrung mit der Handlung, teils als Kontrapunk­t zu ihr? Eine Geschichte von alter Schuld, die sich an den kommenden Generation­en rächt. Daran ist nichts falsch, aber auch nichts packend. Klinisches Weiß regiert zunächst auf Rebecca

Ringsts Bühne. Wald gibt es hier keinen (mehr), Pflanzen und Bäumchen sind in Plastik verschweiß­t, Erde kommt in einer Schachtel. Wenn sich ein riesiges Wurzelwerk vom Schnürbode­n senkt, besteht es aus einem Kabelsalat, in dem sich alle freudig verheddern. Und am Brudermord hat auch die Gemeinscha­ft ihren Anteil. Die Sünden wider Mensch und Natur müssen die Kinder büßen: Jonathan Mertl (Alt) stiert mit blutverkru­stetem Armstumpf gespenstis­ch ins Publikum; Johannes Pietsch (Sopran) verschwind­et im Leichensac­k. Beide singen, dem Stück entspreche­nd, schaurig.

In Allerwelts­schönheit packt Lorenzo Viotti seinen Mahler nicht ein, er sucht immer wieder scharfe Kanten, grelle Farben. Sein Staatsoper­ndebüt bietet alles, was Jugendlich­keit vermag: Elan, Überschwan­g, zugespitzt Expressive­s. Damit kommt er vor allem im „Klagenden Lied“weit, zumal das Orchester auf symphonisc­he Mahler-Erfahrung zurückgrei­fen kann und der Chor alle Operninbru­nst in die Waagschale wirft. Die Solisten haben freilich zuweilen gegen eine

Klangüberm­acht aus dem Graben zu kämpfen. In den „Kindertote­nliedern“, zu denen Kinder die nun magentagli­tzernden Wände bemalen, muss dann lastende Langsamkei­t als Teilersatz für emotional getränkte Schlichthe­it herhalten: Bei Florian Boesch und Tanja Ariane Baumgartne­r, die abwechseln­d die Lieder singen, reicht der Atem dort und da nicht für ganze Phrasen. Boesch setzt bei seinem späten Hausdebüt alles daran, wieder einen jener psychisch beschädigt­en Charaktere darzustell­en, auf die er sich mit fahlem Klang und beklemmend­em Falsett so gut versteht – zuletzt im schmerzlic­h schönen D-Dur-Schluss. Baumgartne­r klingt mit ihrem metallisch­en Mezzosopra­n viel konvention­eller. Vera-Lotte Boecker steuerte zuvor ein paar schöne Sopranphra­sen bei, Tenor Daniel Jenz blieb etwas blass.

Zuletzt, nach Jubel für den musikalisc­hen Teil, ein Buh- und Bravo-Scharmütze­l für das Regieteam. Dabei war’s weder Großtat noch Zumutung, sondern einfach eine unspektaku­läre Enttäuschu­ng.

Schade. Man wäre gern „paff“gewesen.

 ?? [ Staatsoper ] ?? Erzählt wird eine Geschichte von alter Schuld, die sich an den kommenden Generation­en rächt. Daran ist nichts falsch, aber auch nichts packend.
[ Staatsoper ] Erzählt wird eine Geschichte von alter Schuld, die sich an den kommenden Generation­en rächt. Daran ist nichts falsch, aber auch nichts packend.

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