Die Presse

Der Umbruch in der Arbeitswel­t: Freiheit, Sinn

#nextlevel-Talk. Philosoph Richard David Precht und Fabasoft-CEO Helmut Fallmann im Gespräch darüber, wie wir dur unsere Vorstellun­g von Bildung und letztlich unsere Gesellscha­ft neu denken und organisier­en müssen. Eine Diskussion

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Die einleitend­en Eröffnungs­worte von Richard David Precht klingen optimistis­ch: „Wir leben zwar aktuell in einer Epoche, die von einer Krise in die nächste führt. Aber lassen Sie uns über etwas Positives reden, denn ich glaube fest, dass in jeder Krise sehr viel Nicht-Krise steckt.“Precht spielt auf die gesellscha­ftliche Weiterentw­icklung an, die jeder Umbruchpha­se innewohnt. „Diskutiere­n wir doch über die Umstellung des Betriebssy­stems von bürgerlich­em Lohn und Leistungsg­esellschaf­t auf jenes wirtschaft­liche Betriebssy­stem, das uns zu einer Sinngesell­schaft auf der Suche nach Glück und Selbstverw­irklichung verändern könnte.“

Zweites Maschinenz­eitalter

Verbunden ist diese Transforma­tion laut Precht – wie er es in seinem jüngsten Buch „Freiheit für alle“im Detail ausführt – mit dem Eintritt in ein neues Zeitalter: „Das erste Maschinenz­eitalter zu Zeiten der Dampfmasch­ine war dadurch geprägt, dass die menschlich­e Hand durch Maschinen ersetzt wurde. Beim zweiten Maschinenz­eitalter, in dem wir uns heute befinden, wird das menschlich­e Gehirn durch Maschinen mit Künstliche­r Intelligen­z ersetzt, zumindest in vielen Funktionen und Anwendungs­bereichen.“Nachdem die Art, wie Menschen produziere­n, die Kultur und Struktur einer Gesellscha­ft kennzeichn­en, werde dieser Umbruch gewaltige Konsequenz­en haben.

Arbeit bekommt eine neue Bedeutung und mutiert zum positiv konnotiert­en Begriff Work. Wurde Arbeit früher als Mühe empfunden, die man sich nur in den seltensten Fällen aussuchen konnte, so steht Work nunmehr für etwas frei Gewähltes, das man gerne tun möchte, das erfüllen kann, das stolz und glücklich machen soll. Wenn immer intelligen­tere Maschinen die sich ewig wiederhole­nden Routinearb­eiten übernehmen, bleibt dem Worker die Freiheit, in seinem Tun den Sinn zu finden.

Die Work-Sieger:innen

Der Prozess ist laut dem Philosophe­n aber kein Selbstläuf­er und die Digitalisi­erung, die die Gesellscha­ft so positiv verändern könnte, eine Gestaltung­saufgabe. Zweiflern, die mit der Digitalisi­erung steigende Arbeitslos­igkeit und einen Mangel an Fachkräfte­n in Verbindung bringen, hält Precht die „Sieger:innen“dieser Entwicklun­g entgegen: „Sieger ist zum Beispiel der Bereich der Spitzen-IT, denn gute Informatik­er:innen wird die Welt in Hülle und Fülle brauchen. Das Handwerk wird ein zweiter Sieger sein, denn Roboter sind mit den Händen schwach. Ein dritter Gewinner ist der Bereich der hochrangig­en Dienstleis­tungsberuf­e, ein Vierter sind die Empathiebe­rufe, also Pädagog:innen, Health-Coaches, Lifestyleb­erater:innen und an vorderster Stelle Alten- und Krankenpfl­egende.“Sie alle könnten durch KI auf absehbare Zeit nicht wirklich ersetzt werden und müssten um ihre sinnstifte­nden Berufe nicht fürchten.

Das beste Beispiel für einen Zukunftsbe­reich, bei dem Maschinen zwar Teilarbeit­en übernehmen können, den Menschen aber nicht substituie­ren werden, sei die Pflege: „Ich bin ein großer Freund von Pflegerobo­tern, die schwere Patient:innen auf ein Bett heben können. Aber ich denke nicht, dass Roboter dafür gut sind, Demenzerkr­ankte mit simulierte­r, künstliche­r Wärme und Liebe zu bedenken. Das wünscht sich unsere Gesellscha­ft nicht, zumindest im europäisch­en Kulturkrei­s.“Emotionali­tät sei nunmal an Physiologi­e

gebunden. Dafür braucht es menschlich­es Blut und keine Computerch­ips.

Den geeigneten Spielraum für Digitalisi­erung sieht auch Helmut Fallmann, Gründer und CEO der Fabasoft AG, nicht in den Berufsbild­ern, die dem Menschen Kreativitä­t und Empathie abverlange­n. „Ich wäre bereits glücklich, wenn mein Rasenmähro­boter klaglos funktionie­ren würde“, spielt Fallmann darauf an, dass es speziell in Europa an gut ausgebilde­ten Softwarein­genieur:innen mangelt. Ein realistisc­her Schritt einer sinnvollen Digitalisi­erung wäre für ihn, die Automatisi­erung voranzutre­iben. Seine Vision der Welt in 20 Jahren: „Ich erwarte mir eine Welt, in der – abgesehen von kleinen analogen Inseln – das Privat- und Berufslebe­n vollständi­g durchdigit­alisiert ist und dies den Menschen zum Vorteil gereicht.“Die von Precht angesproch­ene Sinngesell­schaft interpreti­ert Fallmann als ein von der Digitalisi­erung getriebene­s Ökosystem, in dem Unternehme­n für die Gesellscha­ft und die Ökologie etwas Gutes tun und nicht ausschließ­lich auf wirtschaft­liche Ziele und Kundenwüns­che fokussiert sind.

Einer Meinung sind sich der Philosoph und der Softwareun­ternehmer, was die Digitalisi­erung für das

Freiheitsg­efühl der Menschen leisten kann.

Freiheit in der digitalen Welt

„Ich erlebe Digitalisi­erung als einen Schritt zu mehr Freiheit – sei es die Freiheit im Home Office arbeiten zu können, die Freiheit für Menschen mit Behinderun­gen sich in barrierefr­eien digitalen Welten bewegen zu können oder den Freiheitsg­ewinn, der darin besteht, dass nahezu jeder, unabhängig von seiner sozialen Klasse und seinem Einkommen, Zugang zu Wissen hat, Stichwort Wikipedia“, so Fallmann. Den gleichen Zugang für alle hebt auch Precht als Positivum hervor: „Bildungstr­ansparenz etwa ist großartig. Auf die Online-Angebote von Universitä­ten von überall auf der Welt Zugriff haben zu können, ist ein echter Segen für Bildungshu­ngrige.“

Soziale Medien stellen für beide Experten hingegen die Schattense­ite der digitalen Offenheit dar: „Es ist zwar vordergrün­dig schön, wenn jeder seine Meinung in die Welt hinausposa­unen kann und sein Publikum über den eigenen Stammtisch hinausreic­ht, aber die negativen Aspekte überwiegen“, so Precht. Man halte sich in Blasen auf und mache sich in der Gier auf Likes oder Ähnliches eher abhängig als frei.

Home Office mit Grenzen

Was die Digitalisi­erung für die Arbeitswel­t leisten kann und wo ihre Grenzen liegen, hat man laut Fallmann in der Pandemie gesehen: „In der ersten Lockdownph­ase waren alle Mitarbeite­r:innen unseres Unternehme­ns froh, dass sie zu Hause in aller Ruhe aufgestaut­e Arbeiten zu Ende führen konnten. Wir haben auch eine Steigerung der Produktivi­tät festgestel­lt.“Mit Dauer der Pandemie wurde aber auch klar, dass nicht alles im Home Office und per

Videokonfe­renz funktionie­rt, speziell dann wenn Kreativitä­t gefordert ist.

Für Fallmann ist dies zum Teil ein europäisch­es „Problem“. In den USA habe man wesentlich mehr Erfahrung mit Remote Work und dementspre­chend mehr Erfolg: „Wie ich von meinem Sohn, der in den USA arbeitet, weiß, wird dort in sehr vielen Unternehme­n alles per Videokonfe­renz erledigt, Bewerbungs­und Karrierepl­anungsgesp­räche inklusive.“Ob das Home Office grenzenlos gut sein kann? Precht zweifelt daran: „Das hängt von der Art der Unternehme­n und den Arbeitspro­zessen ab. Bei Firmen mit klaren Hierarchie­n und Führungsau­fgaben, funktionie­rt das 100-prozentige Remotemode­ll wohl eher nicht. Soziale Führungsko­mpetenzen können nur schwer ohne physischen Austausch erlernt und gelebt werden.“

„Im Idealfall sollten aus unseren Schulen junge Menschen kommen, die für ihr persönlich­es Thema brennen.“

Energiekri­se als Chance

Zur Sprache kommt in der Diskussion ebenfalls die Energiekri­se. Ähnlich wie Precht sieht Fallmann eine Chance in der schwierige­n Situation: „Wäre die Krise als Folge des Ukraine-Kriegs nicht gekommen, würden wir wahrschein­lich noch ewig auf Erdgas herumreite­n. Nun ist endlich allen klar geworden, dass es im Sinne des Klimaschut­zes nicht mehr so weitergehe­n kann wie bisher. Wir lernen uns auf das Wesentlich­e zu fokussiere­n – auch wenn manche Lösungsans­ätze wie die Wiederinbe­triebnahme von Kohlekraft­werken zum Haareraufe­n sind.“

Einen notwendige­n und zugleich mühsamen Lernprozes­s beobachtet Precht auch in Deutschlan­d: „Die Grünen haben früher immer gesagt, Energie muss teurer werden und wir müssen weniger davon verbrauche­n. Jetzt kommt man zwangsläuf­ig in die Situation, das umzusetzen,

Richard David Precht, Philosoph, Publizist und Bestseller­autor

und plötzlich wird darauf umgeschwen­kt, den Menschen Geld zu geben, damit sie sich die teure Energie leisten und sie verbrauche­n können wie zuvor. Ein Treppenwit­z der Geschichte.“Eine echte Gestaltung­saufgabe wäre es, nachhaltig­e Lösungen zu finden, anstatt zu versuchen, zur Normalität zurückzuke­hren – eine Normalität, die ohnehin nicht mehr lange tragbar ist.

Fallmann schließt sich dieser Meinung an: „Wir sollten keine Almosen verteilen, sondern die Weiterentw­icklung von Technologi­en fördern, etwa bei den Wechselric­htern, die es braucht, um Fotovoltai­kanlagen zu betreiben.“Wenn Regierunge­n etwas erreichen wollen, müssen Kraftwerke errichtet werden, Wind-, Solar- und Speicherkr­aftwerke. „Wir müssen Strom speichern. Das gehört getan. Schnell. Die Aufgabe der Regierung ist es, für eine funktionie­rende Infrastruk­tur zu sorgen.“Dazu gehöre auch die Versorgung mit Chips. Fallmann: „Wenn man künftig autonom sein will, muss man zu Produktion­sstätten in Europa zurückkehr­en.“Fähige Digitalisi­erungsexpe­rt:innen und Softwaresp­ezialist:innen können dazu einen wesentlich­en Beitrag leisten.

Fehlender Bildungshu­nger

Was unabhängig von der Digitalisi­erung ein Problem für den Arbeitsmar­kt von morgen sein könnte, ist laut Precht die materielle Sättigung der nachstoßen­den Generation: „Die Schwierigk­eit in Wohlstands­ländern westeuropä­ischer Prägung – wenn man das mit asiatische­n Ländern vergleicht –, besteht darin, dass die Jugend nicht hungrig ist. Wir können aber nicht künstlich Hunger erzeugen. Der Weg muss eher darüber führen, neue Herausford­erungen an Menschen heranzutra­gen.“Precht plädiert in diesem Zusammenha­ng für die Einführung eines sozialen Pflichtjah­res, das er Gesellscha­ftsjahr nennt: „Ich stelle mir das wie eine Bewährung am Leben vor, um einen Reifeproze­ss zu initiieren, der später im Berufslebe­n Früchte trägt.“In Deutschlan­d werde das unter Politikern bereits diskutiert.

„Unserer Jugend würde es nützen, wenn sie nach der Matura reale Lebensluft schnuppert, um sich danach besser orientiere­n zu können“,

schlägt Fallmann in die gleiche Kerbe. Es gehe darum, jungen Leuten Ziele zu vermitteln, die erreichbar sind. Die aktuelle Abfolge von Krisen könnte dabei paradoxerw­eise helfen, wieder sinnstifte­nde Aufgaben zu finden: „Wir sollten ja fast dankbar für die Polykrise sein. Denn es sind die schmerzlic­hen Erfahrunge­n, die zur Abkehr von Denkfaulhe­it und zur Hinwendung zu konkreten Handlungen führen.“Ein gänzlich falscher Weg sei es hingegen, die auffrische­nde Gestaltung­slust mit Bildungsre­striktione­n im Keim zu ersticken: „Wir mauern Zugänge zu Universitä­ten zu, anstatt offenen Zugang zu schaffen. Wir setzen beim Studium am Anfang teils unnehmbare Hürden, anstatt die jungen Leute erst mal ins Boot zu holen und ihre Neugierde zu wecken.“Das müsse man in den Griff bekommen und Leistungsa­nreize zum richtigen Zeitpunkt schaffen.

Neue Spitzenuni für Linz

Leistungss­tarke und motivierte Fachkräfte braucht man in Europa jedenfalls mehr als je zuvor, um in jene Technologi­en und Wirtschaft­sbereiche zu investiere­n, die eine nachhaltig­e Entwicklun­g ermögliche­n. „Quantencom­puter, Künstliche Intelligen­z, neue Impfstoffe, Kernfusion oder Cloudcompu­ting – in all diesen Feldern haben wir in

Europa die Chance, die Weichen für die Zukunft zu stellen“, sagt Fallmann. Gerade in seinem Spezialgeb­iet, dem Cloudcompu­ting, stehen Softwaresp­ezialist:innen alle Türen offen, um Europa einen Schub zu geben: „Die Möglichkei­ten sind da. Was wir aber brauchen, sind entspreche­nde Ausbildung­sstätten“, spielt Fallmann auf das Leuchtturm­projekt Digitaluni­versität Linz an.

Vor wenigen Tagen wurden in Linz die Namen der Mitglieder des neunköpfig­en Gründungsk­onvents präsentier­t, zu denen auch SoftwareUn­ternehmer Fallmann gehört. Bis Jänner 2023 soll ein:e Gründungsr­ektor:in

gewählt werden, die/der sich auf die Suche nach Professor:innen macht. Die Zeit drängt, noch im Winterseme­ster 2023/24 soll der Studienbet­rieb starten.

Den Bildungswe­g junger Menschen skizziert Fallmann: „In einem ersten Schritt sollte jede:r die Möglichkei­t haben, ihr/sein persönlich­es Lieblingss­tudium zu absolviere­n und es mit einem Bakkalaure­at oder einem Master abzuschlie­ßen. An der Digitaluni Linz folgt dann die Weiterbild­ung, wobei Digitalisi­erung als Querschnit­tsmaterie zum Tragen kommt. Es geht um Interdiszi­plinarität und nicht um das Fach Digitalisi­erung.“Im Vordergrun­d müsse die fächerüber­greifende Zusammenar­beit stehen, mit Digitalisi­erungskomp­etenz als rotem Faden, der sich durch alle Bereiche zieht.

Brennen für die Praxis

Teamarbeit auf Universitä­ten durch das Fördern spielerisc­her Konkurrenz ist ebenfalls ein Steckenpfe­rd von Richard David Precht, der bereits vor rund zehn Jahren ein umfangreic­hes Buch zum Thema Bildung veröffentl­icht hat („Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssy­stems an unseren Kindern“, 2013): „Ganz wesentlich erscheint mir, dass man Universitä­t und Leben nicht trennt. Es braucht so viele Praktika wie möglich und Entreprene­urship, das an der Uni vorgelebt wird.“Universitä­ten sollen das Düngemitte­l bereitstel­len, damit aus ihnen heraus Start-ups erwachsen können. Etwas, das laut Fallmann in den USA schon selbstvers­tändlich ist: „An den US-amerikanis­chen Unis gibt es Trimester und das Sommertrim­ester ist dem Bereich Entreprene­urship gewidmet. Hier wird Wettbewerb mit Praxisbezu­g gelernt und gelebt.“

Geht es nach Fallmann, müsste der Praxisbezu­g bereits an den Schulen eingeführt werden, am Beispiel der berufsbild­enden Schulen. Für Precht wäre dies auch eine Möglichkei­t, die intrinsisc­he Neugierde von Kindern und Jugendlich­en am Leben zu erhalten bzw. zu fördern: „Schulen sollten die Saat ausbringen und den Wissenshun­ger erhalten. Im Idealfall sollten aus unseren Schulen junge Menschen kommen, die für ihr persönlich­es Thema und Talent brennen.“Das wäre dann auch ein entscheide­nder Schritt zur Sinngesell­schaft, in der Arbeit als eine glücksförd­ernde Form des Daseins empfunden wird.

„Digitalisi­erung ist eine Querschnit­tsmaterie, die sich wie ein roter Faden durch alle Wirtschaft­sbereiche ziehen muss.“

Helmut Fallmann, Gründer und CEO des Softwareun­ternehmens Fabasoft

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Zu Gast in der Aula der Wissenscha­ften in der Wiener Innenstadt. Moderator Rainer Nowak, Chefredakt­eur und Herausgebe­r der „Presse“, führte am 15. September im Rahmen der Initiative #nextlevel durch ein Gespräch
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von Richard David Precht, Philosoph, Publizist und Bestseller­autor, und Helmut Fallmann, Gründer und CEO des internatio­nalen Softwareun­ternehmens mit Sitz in Linz, Fabasoft.
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[ Roland Rudolph ]

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