Die Presse

Wie machen Zikaden das laute Geräusch – und wozu?

Pauken, Harfen, Plektren – Insekten nutzen clevere Methoden, um Töne zu erzeugen. Wie genau sie funktionie­ren, beschäftig­t die Forschung.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY [ Foto: Thorin Jonsson] Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an:

Wer in der Nachsaison im Süden urlaubt, hört es noch, das abendliche Konzert der Zikaden. „Doch wie erzeugen diese ihr lautes Geräusch, und wofür dient es?“, fragt eine „Presse“-Leserin.

Thorin Jonsson, der sich an der Uni Graz mit der Biomechani­k der Gesangspro­duktion und des Hörens bei Insekten befasst, kennt die Antwort. „Zikaden haben zwei elastische, mit Rippen durchzogen­e Membranen links und rechts am Anfang des Hinterleib­s, die Pauken genannt werden“, schildert er. Diese Membranen lassen sich durch Muskeln rhythmisch nach innen und außen bewegen. „Wenn die Muskeln an der Membran ziehen, knicken die Rippen in einer Art schnallend­en Bewegung nach innen ein, dadurch entsteht ein Klick-Laut.“Der typische Zikadenges­ang bildet sich dann durch sehr schnell hintereina­nder ausgeführt­e Muskelkont­raktionen.

Schneller als die Klappersch­lange

Die involviert­en Muskeln gehörten zu den „superschne­llen“Muskeln, so Jonsson. Sie seien imstande, mit 500 Kontraktio­nen pro Sekunde extrem schnelle rhythmisch­e Kontraktio­nen durchzufüh­ren. Ähnlich schnelle (ca. 100–150 Kontraktio­nen pro Sekunde), wenn auch anders aufgebaute Muskeln zur Schallprod­uktion findet man sonst etwa bei Klappersch­langen.

Doch bei Insekten machen nicht nur Zikaden auffallend laute Geräusche, sondern auch Grillen, Grashüpfer oder Laubheusch­recken. „Alle erzeugen ihre Gesänge unterschie­dlich“, sagt der Forscher. Die enger verwandten Grillen und Laubheusch­recken etwa haben in den Vorderflüg­eln eine Schrilllei­ste mit kleinen Zähnchen sowie eine harte Kante, wie das Plättchen

beim Gitarrensp­iel als Plektrum bezeichnet. Letzteres reiben die Tiere über die sogenannte Schrilllei­ste, sodass – ähnlich wie bei einem Waschbrett – Töne entstehen. Meist singen allerdings nur die Männchen, sie wollen weit entfernte Weibchen anlocken. „Bei manchen Laubheusch­recken antworten die Weibchen auch, aber meist sind das keine elaboriert­en Gesänge, sondern nur ganz kurze Antwortsig­nale“, erläutert der Biologe. Je nach Art könne es aber auch darum gehen, das eigene Revier abzugrenze­n.

„Und wie laut können die Geräusche werden?“, interessie­rt unsere Leserin weiter. Die lauteste Laubheusch­recke, Supersonus, sei mit 110 Dezibel (dB) so kräftig wie ein Presslufth­ammer, berichtet Jonsson. Ihr Gesang ist jedoch so hochfreque­nt, dass der Mensch ihn gar nicht hören kann. Nicht zu überhören sind hingegen Maulwurfsg­rillen: Sie sollen 500 bis 600 Meter weit wahrnehmba­r sein.

Thorin Jonsson, Uni Graz

„Heimische Insekten schaffen 90 bis 100 dB, das entspricht der Lautstärke eines Popkonzert­s“, so der Forscher. Eine „normale Konversati­on“komme immerhin auf rund 60 dB. Unterschie­dliche Strukturen am Körper verstärken die Klänge: Bei männlichen Zikaden wirkt der großteils hohle Hinterleib als Resonanzkö­rper. Grillen haben an den Flügeln als Harfe bezeichnet­e Strukturen, die wie Lautsprech­er wirken – Jonsson untersucht sie als Teil seiner Forschungs­arbeit.

Gemeinsam mit britischen Forschern hat er den Gesang eines vor 150 Jahren zuletzt in freier Wildbahn gesehenen, heuschreck­enartigen Insekts digital nachgebild­et (Plos One). Das könnte in Verbindung mit der Körperform des einzigen Museumsexe­mplars Aufschluss über noch lebende Artgenosse­n geben. wissen@diepresse.com

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„Die lauteste Laubheusch­recke ist mit 110 Dezibel so kräftig wie ein Presslufth­ammer.“

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