„Du Opfer!“Ein religiöser Begriff auf Abwegen
Didaktik. Die Theologin Karin Peter will den römisch-katholischen Religionsunterricht verbessern. Ihr Ausgangspunkt: der Opferbegriff.
Wer mit Kindern zusammenlebt oder mit offenen Ohren Öffis nutzt, lernt verlässlich die neuesten Ausprägungen der Jugendsprache kennen. Ein Wort, das seit Jahren seinen festen Platz darin behauptet, ist das „Opfer“. Die Bedeutung variiert und reicht von der Beschimpfung als „Verlierer“und „Langweiler“bis hin zum ironisch-amikalen Kommentar über eine unglückliche Situation oder eine Schwäche.
„Viele entscheidende theologische Begriffe werden alltagsweltlich verwendet“, sagt Karin Peter. „Versöhnung, Schuld, Erlösung und eben auch Opfer, das besonders präsent ist.“Sie ist Theologin an der Universität Wien und untersucht in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt die Opferthematik aus religionspädagogischer Perspektive. Sie analysiert, inwiefern Bedeutungsübertragungen zwischen der alltäglichen und der religiösen Verwendung vonstattengehen.
„Mich interessiert, was mit dem Begriff und den Vorstellungen dazu passiert, wenn sich der Kontext verändert.“Mit mehr Wissen dazu will sie es möglich machen, im römisch-katholischen Religionsunterricht Brücken zur
Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen zu schlagen. „Der Opferbegriff ist in sich so schillernd, weil im Deutschen darin zwei Bedeutungsstränge zusammenfallen – nämlich zum Opfer gemacht werden, also victima, und ein Opfer bringen, sacrificium“, erklärt Karin Peter. „Im Fall Jesu gelingt die Transformation vom einen zum anderen durch die Beziehung zum Vater.“Dass der Begriff theologisch umstritten ist, mache die Arbeit damit reizvoll.
Destruktive Opfermentalität
„Wir haben es mit dem schwierigen Erbe einer destruktiven Opfermentalität zu tun, die zu einer Leidensfrömmigkeit geführt hat. In den fatalen Extremen wurde masochistische Selbsterniedrigung als privilegierter Ort der Nähe Gottes gesehen. Mit katastrophalen Auswirkungen für viele Gläubige.“Als Konsequenz wurde „Opfer“in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum mehr als theologisch relevanter Begriff verwendet. Zur Jahrtausendwende wurde seine Neudeutung – das Wort war ja nach wie vor in der Bibel und in Liedern präsent – diskutiert.
Für ihre Untersuchung hat die Theologin nun 17- und 18-jährige Schülerinnen und Schüler in Innsbruck und Wien zur Bedeutung von „Opfer“befragt – zum einen zu den Assoziationen in ihrer Alltagswelt, zum anderen ausgehend von der christlichen Tradition. Fazit: Es zeigte sich die Tendenz, dass die gesamte inhaltliche Breite des Begriffs ausgelotet wird, sowohl im Privatbereich als auch im theologischen Rahmen. Peter: „Spannend fand ich etwa Verweise darauf, dass man sich selbst auch als Opfer stilisieren kann, um daraus Vorteile zu ziehen.“Es gab Schülerinnen und Schüler, die in beiden Settings
dieselben Assoziationen mit dem Opferbegriff verbanden, ebenso wie jene, die völlig neue Bedeutungen ins Spiel brachten. In drei Vierteln der Beiträge zum religiösen Opferverständnis wurden jedoch die alltagsweltlichen Vorstellungen aufgegriffen und mehr oder weniger umfassen adaptiert.
Gibt’s den Traditionsbruch?
Was der Theologin bei allen Befragten auffiel: „Nicht menschliche Einflussfaktoren wie Naturgewalten oder kultische Opfervorstellungen kommen in der theologischen Rahmung nicht zur Anwendung. Auch nicht, dass ein blutrünstiger Gott ein Opfer fordert – etwas, was in der Theologie immer wieder in abgrenzender Weise diskutiert wird.“Im Gegenteil, wenn die Jugendlichen auf Gott Bezug nahmen, dann in dem Sinne, dass dieser ein Opfer gebracht hatte, indem er bereit war, seinen Sohn zu geben. „Und die Menschen sind
die, die profitieren“, fasst die Theologin die Aussagen der Jugendlichen dazu zusammen. Solche Gedanken entsprechen durchaus einer theologischen Intention. „Das zieht sich durch, genauso wie die Frage danach, wer schuld am Opfer Jesu sei.“
Angesichts dieser Ergebnisse sei ein differenzierter Blick auf den vielfach beschworenen religiösen Traditionsabbruch – der geschieht, wenn Religion für die Mehrheit der Bevölkerung keine Bedeutung hat –, wünschenswert, so Peter. Zu tun für die Religionspädagogik gebe es einiges, aber: „Die Richtung stimmt.“Die theologische Didaktik diskutiere alltagsweltliche Bezüge wie populärkulturelle Beispiele aus Literatur und Film mitunter kontrovers, doch für die Forscherin ist klar: „Die Vorstellungen sind da und ein guter Ausgangspunkt, um darüber zu diskutieren, ob in ihnen auch etwas spezifisch Theologisches steckt.“
Der Opferbegriff hat eine schwierige Vorgeschichte, er ist theologisch umstritten.
Karin Peter, Theologin, Uni Wien