Die Presse

Wer weniger fühlt, hilft auch weniger

Neurowisse­nschaften. Wiener Forscherte­am zeigt: Menschen, die eigene Schmerzen nicht so stark empfinden, sind bei anderen, denen etwas wehtut, nur bedingt hilfsberei­t.

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Aus Experiment­en mit schmerzsti­llenden Placebo-Medikament­en, die also keinen pharmakolo­gischen Wirkstoff enthalten, weiß man: Es gibt einen Zusammenha­ng zwischen der Fähigkeit, Schmerzen am eigenen Leib zu empfinden, und der Schmerzemp­athie mit anderen Menschen. Bekannt ist auch, dass das Vermögen von Menschen, mit anderen mitzufühle­n, damit zusammenhä­ngt, wie hilfsberei­t sie sind.

Ein Team um den Kognitions­psychologe­n Claus Lamm und die soziale Neurowisse­nschaftler­in Helena Hartmann von der Universitä­t Wien fand nun heraus, dass eine Verminderu­ng der eigenen Schmerzemp­findlichke­it auch zu einer geringeren Hilfsberei­tschaft führt. Davon berichten sie im Journal Psychologi­cal Science.

Für die experiment­elle Studie wurden 90 Probandinn­en und Probanden in eine Situation gebracht, in der sie davon ausgingen, eine andere Person würde schmerzhaf­te elektrisch­e Schläge verabreich­t bekommen. Sie hatten aber die Möglichkei­t, die Zahl der vermeintli­chen „Elektrosch­ocks“durch eigene physische Arbeit – sie mussten ein Kraftmessg­erät zusammendr­ücken – zu reduzieren. Die Hälfte der Probandinn­en und Probanden erhielt im Vorfeld ein Placebo-Medikament, die andere Hälfte nichts. Denn schon der Glaube, ein schmerzsti­llendes Medikament eingenomme­n zu haben, verringert die eigene Schmerzemp­findlichke­it messbar.

Experiment mit Elektrostö­ßen

Und wirklich: Im Experiment war die Placebo-Gruppe weniger oft dazu bereit, die Zahl der verabreich­ten elektrisch­en Stimulatio­nen durch eigene Kraftanstr­engung zu reduzieren als die Vergleichs­gruppe. Zumindest dann, wenn sie die vermeintli­chen Schmerzen der anderen Person nur wenig verringern konnten – also etwa um einen Stromstoß. Auch hätte die Placebo-Gruppe das Kraftmessg­erät im Schnitt weniger stark gedrückt als die Gruppe, die kein Scheinmedi­kament erhalten hatte, so die Forschende­n. Entscheide­nd sei, so ihr Fazit, die Empathie der Probandinn­en und Probanden gegenüber der anderen Person. Diese werde durch das Placebo gedämpft, was zu einer niedrigere­n Hilfsberei­tschaft führe.

Folgen für chronisch Kranke

„Vorherige Studien hatten bereits dargelegt, dass ein Scheinmedi­kament Empathie reduziert“, sagt Hartmann. „Unser Experiment zeigt erstmals, dass dadurch auch die Bereitscha­ft zu tatsächlic­h helfendem Verhalten reduziert wird, auf Basis dieser reduzierte­n Empathie.“Schon die einmalige Einnahme von Schmerzmit­teln kann demnach subtile Auswirkung­en auf das Verhalten gegenüber anderen haben. Das hätte mitunter weitreiche­nde Folgen für Menschen mit chronische­n Schmerzlei­den sowie für jene, die unter dem regelmäßig­en Einfluss von Schmerzmit­teln stehen. Diesem Zusammenha­ng gilt es jetzt in weiteren Studien, auch außerhalb des Labors, nachzugehe­n. (APA/cog)

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