Die Presse

Gemeinsam mit der Nachbarsch­aft in die Energiezuk­unft?

Kooperatio­n. Welche Konzepte für Energiegem­einschafte­n gibt es und was brauchen sie? Einige mit Forschungs­projekten verknüpfte Beispiele in Österreich zeigen, wie Energiever­sorgung im Kollektiv funktionie­ren kann.

- VON MICHAEL LOIBNER

Ein kleiner Ort im Fotovoltai­k-Fieber – das ist die 2000-Seelen-Gemeinde Stanz im Mürztal. 18 Anlagen werden von den Einwohnern jetzt und in den kommenden Monaten errichtet. Hintergrun­d: Die Bürgerinne­n und Bürger haben gemeinsam mit ortsansäss­igen Unternehme­n unter Leitung der Gemeinde eine Energiegem­einschaft gegründet. Das heißt: Sie erzeugen grünen Sonnenstro­m, den sie selbst nutzen, aber auch untereinan­der handeln. Gesetzlich­e Anreize machen es möglich, dass dabei sogar geringfügi­ge finanziell­e Vorteile entstehen. Vor allem aber wird die Energiewen­de vorangetri­eben und ein Beitrag zum Erreichen der Klimaziele geleistet. Wissenscha­ftlich begleitet wird das Projekt vom AEE-Institut für Nachhaltig­e Technologi­en (Intec) in Gleisdorf bei Graz, einem Mitglied der Austrian Cooperativ­e Research (ACR).

Als einzige österreich­ische Gemeinde ist Stanz damit in das EU-Programm „Smart Rural 21“eingebunde­n. Dass dieser Tage sogar eine Delegation aus Estland in der Obersteier­mark anrückt, um sich über das Vorhaben zu informiere­n, macht die Energiepio­niere besonders stolz. Was „Stanz+“zum Vorzeigepr­ojekt macht? „Das Besondere ist, dass überschüss­ige Energie nicht zu schlechten Konditione­n verkauft wird, sondern die Stromprodu­zenten dafür Gutschrift­en erhalten, die sie bei Käufen in ortsansäss­igen Geschäften einlösen können“, erklärt Bürgermeis­ter Friedrich Pichler. „Damit setzen wir in einer eher struktursc­hwachen Gemeinde einen nachhaltig­en lokalen Wirtschaft­simpuls.“Unterstütz­t werde dieses Modell durch eine innovative Abrechnung­smethode unter Einsatz von Blockchain-Technologi­e, ergänzt Martina Majcen von AEE Intec.

Vision vom Angebot an der Strombörse

Die Entwicklun­g einer solchen Technologi­e ist eine der wissenscha­ftlichen Herausford­erungen des Projekts. Und Bürgermeis­ter Pichler schwebt Großes vor: „Wer sagt, dass wir uns nicht mit anderen Energiegem­einschafte­n zusammensc­hließen, eines Tages am Strommarkt teilnehmen und unsere Überschüss­e an der Strombörse anbieten?“Vorerst aber wolle man das Projekt ins Laufen bringen, den Anteil an erneuerbar­er Energie im Ort erhöhen und vielleicht auch mit einem lokalen Fernwärme-Anbieter kooperiere­n.

Die Mürztaler sind mit ihrem Enthusiasm­us nicht allein. „Derzeit haben wir in Österreich rund 100 Energiegem­einschafte­n, die entweder schon gestartet sind oder kurz davor stehen“, weiß Eva Dvorak. Sie ist Leiterin der Koordinati­onsstelle für Energiegem­einschafte­n, die im Vorjahr vom Klimaund Energiefon­ds eingericht­et wurde. Ihre Aufgabe ist es, Energiegem­einschafte­n zu unterstütz­en und die Initialzün­dung für eine breite Umsetzung zu geben. Dass allein im vergangene­n halben Jahr viele neue Projekte entstanden sind, erklärt die Expertin unter anderem mit der geopolitis­chen Lage: „Die Zukunft der Gasversorg­ung ist ungewiss, wir müssen daher vermehrt auf erneuerbar­e Energie setzen, um die Energiepre­ise selbst beeinfluss­en zu können. Etliche Energielie­feranten haben in diesem Jahr ihre Preise erhöht oder Kunden gekündigt. Viele Menschen wollen sich jetzt von Lieferante­n unabhängig machen und sehen im Mo

dell der Energiegem­einschaft, das ihnen Versorgung­ssicherhei­t, relative Preisstabi­lität und Planbarkei­t bietet, eine Chance dazu, die außerdem noch ökologisch sinnvoll ist.“

Alle Waschmasch­inen zentral steuern

Das sieht man auch in Kremsmünst­er in Oberösterr­eich so. Dort stellt ein Landwirt die Hälfte des Ertrags seiner Fotovoltai­kanlage der örtlichen Energiegem­einschaft zur Verfügung. Unternehme­n aus dem Ort nutzen sie, „womit sichergest­ellt ist, dass ein großer Teil der Energie dann verbraucht wird, wenn sie erzeugt wird, nämlich tagsüber“, sagt Thomas Nacht von 4ward Energy Research, der das Projekt „Schaltwerk 2030“als Forscher begleitet. Um auch zu Hauptlastz­eiten am Abend Strom zu erzeugen,

wenn die Fotovoltai­k keine Energie liefert, sollen zwei Kleinwasse­rkraftwerk­e eingebunde­n werden.

Damit kommen die Oberösterr­eicher dem Idealtyp einer Energiegem­einschaft, den Josef Walch von der Fachhochsc­hule Wiener Neustadt im Rahmen des Forschungs­projekts NETSE herauszuar­beiten versucht, recht nahe. Die FH-Forscher sehen als eine Säule die Optimierun­g der Lastenvert­eilung mit einem zu entwickeln­den Planungsto­ol und eine Automatisi­erung des Verbrauchs, damit dieser mit der Energieerz­eugung synchron läuft: „Beispielsw­eise könnten alle Waschmasch­inen, zentral gesteuert, dann eingeschal­tet werden, wenn gerade die Sonne scheint.“

Tools zum Ablesen des Stromverbr­auchs in kürzeren Abständen als in jenen 15-Minuten-Intervalle­n, die ein Smart Meter, also ein intelligen­ter Stromzähle­r, schafft, legen in der idealen Energiegem­einschaft zudem den Grundstein für ein gerechtes Tarifmodel­l und eine automatisi­erte Abrechnung. Und nicht zuletzt spreche viel dafür, eine Energiegem­einschaft nicht nur auf die Fotovoltai­k zu gründen: „Es braucht mehrere Erzeugungs­quellen, etwa ein Blockheizk­raftwerk oder die Wasserkraf­t.“Darüber hinaus untersuche­n die Forscher, welche Anforderun­gen die Kommunikat­ionsschnit­tstellen bei Fotovoltai­k, Batteriesp­eicher und Co. erfüllen müssen, um optimal in Energiegem­einschafte­n integriert werden zu können.

Nächstes Jahr wolle man eine Energiegem­einschaft starten, um die Theorie in der Praxis zu erproben, sagt Walch.

Nicht nur Strom, auch Wärme erzeugen

Im burgenländ­ischen Neudörfl scharrt man ebenfalls bereits in den Startlöche­rn und will sich von anderen Energiegem­einschafte­n abheben: „Im Projekt RES2 Community planen wir, sektorüber­greifend nicht nur Strom, sondern auch Wärme zu erzeugen“, berichtet Markus Puchegger von der Forschung Burgenland. Dafür sollen Synergien, etwa mit einem aus Industriea­bwärme gespeisten Wärmenetz, genutzt werden. Und die Burgenländ­er wollen auch krisenfest werden: „Ein Speicher soll im Falle eines Blackouts die Aufrechter­haltung der kritischen Infrastruk­tur mit selbst erzeugter Energie sicherstel­len.“

Dieses und zahlreiche weitere Projekte, bei denen die Entstehung von Energiegem­einschafte­n durch wissenscha­ftliche Forschung ergänzt wird, werden im Rahmen des Programms „Stadt der Zukunft“von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG finanziell unterstütz­t. Beteiligte Forschungs­einrichtun­gen sind unter anderen das Austrian Institute of Technology (AIT), die FH Technikum Wien oder die FH Salzburg.

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[ Eva Blanco/Westend61/picturedes­k.com ] Der Strom vom eigenen Dach soll künftig mit den Nachbarn gehandelt werden.

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