Die Presse

„Chemie ist nicht das, wo es stinkt und raucht und explodiert“

Nachhaltig­keit. Der TU-Wien-Chemiker Marko Mihovilovi­c will grünes Denken breiter in seinem Fach verankern. Schon bei der Entwicklun­g neuer Materialie­n gelte es, spätere Kollateral­effekte stärker mitzudenke­n, fordert er. Darauf zielt auch ein neuer, von i

- VON CORNELIA GROBNER

Die Presse: Im Kontext von Nachhaltig­keit denkt man bei Chemie eher an Problemver­ursacherin als Problemlös­erin. Ein reines Imageprobl­em?

Marko Mihovilovi­c: Das hoffe ich (lacht). Es ist ein Klischee, mit dem wir leider schon lang leben. Ich erinnere mich gut an das Werbesujet einer Bank, als ich 1988 mit dem Studium begonnen habe: Es zeigte einen Chemiker mit Schmauchsp­uren im Gesicht. Auch heute hat die Chemie in der breiten Öffentlich­keit noch immer dieses Image. Ein Ziel der neuen Bildungsof­fensive Green Chemistry ist es, deutlicher herauszust­reichen, welchen Beitrag zur Nachhaltig­keit die Chemie schon geliefert hat und welche Bedeutung sie für zukünftige Lösungen hat. Chemie ist nicht das, wo es stinkt und raucht und explodiert.

Gleichzeit­ig gibt es sie ja, die umweltbela­stenden Prozesse und Produkte. Was muss sich künftig ändern?

Wir denken noch sehr stark in kleinen Kasterln – ich bezeichne das als Schreberga­rten-Denken. Da beginne ich durchaus auch bei uns an den Unis. Wir brauchen Fachexpert­entum, das einen klaren Blick über den

Tellerrand hat. Es muss mehr darum gehen, welche Kollateral­effekte chemische Prozesse haben. Da spielt die Lebenszykl­usanalyse eine ganz große Rolle. Das ist eine Herangehen­sweise, die im Fach erst langsam zu greifen beginnt. Wir müssen bereits im Design von neuen chemischen Materialie­n versuchen, die Rezyklierb­arkeit mitzudenke­n und den Wertverlus­t der Stoffe zu reduzieren.

Was macht Chemie zur grünen Chemie?

Grüne Chemie ist kein Rosinenpic­ken. Ein Produkt, ein Prozess ist erst dann „grün“, wenn die zwölf Grundprinz­ipien nach Paul Anastas und John Warner – von Energieeff­izienz über den Einsatz erneuerbar­er Ressourcen und sicherer Stoffe bis hin zur Echtzeitüb­erwachung der Abfallvors­orge – möglichst vollständi­g erfüllt werden. In Europa sind wir zum Beispiel im Plastik-Recycling sehr gut. Aber es werden viele verschiede­ne Kunststoff­e in einen Topf geworfen, und mit einem vernünftig­en technologi­schen Aufwand lässt sich nur ein minderwert­igeres Nachfolgep­rodukt herstellen. Das heißt, wir spiralisie­ren uns in der Leistungsf­ähigkeit des Materials nach unten.

Welche Stoffe sind hinsichtli­ch Ihrer Wiederverw­ertung besonders problemati­sch?

Die aktuellen Akkumateri­alien zum Beispiel. Diese kann man mit einem vernünftig­en ökonomisch­en Aufwand kaum so rezykliere­n, dass sich danach ein Produkt mit vergleichb­arem Technologi­e-Entwicklun­gsgrad bauen lässt. Das ist nicht möglich. Hier braucht es smartere Designs.

Also mehr austauschb­are Teile und eine dadurch verlängert­e Haltbarkei­t?

In diese Richtung geht das, genau. Aber wenn ich mir anschaue, was in den letzten zehn Jahren passiert ist – bleiben wir bei den Akkus –, dann ist es schwierig, das zu planen. Es gibt ganz, ganz viele Ansätze, und es muss sich in einem Konkurrenz­kampf herausstel­len, welche Technologi­e, die jetzt noch in einem Labormaßst­ab entwickelt wird, wirklich die ist, die breitentau­glich ist. Ein Beispiel dafür ist auch die Speicherun­g von Wasserstof­f. Wir sollten weniger direktiv denken und der Forschung mehr Spielraum bieten. Es braucht ein Bewusstsei­n dafür, dass wir auf unterschie­dlichen Zeitskalen unterschie­dliche Lösungen suchen. Es wird keinen Endpunkt in der Entwicklun­g geben, denn ständig neue Herausford­erungen erfordern ständig neue Anpassunge­n. Wir haben ein paar akute Probleme, die wir beheben müssen. Da ist es wichtig, Übergangsl­ösungen

zu etablieren. Aber diese werden nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Wo braucht es Übergangsl­ösungen?

Wir laufen etwa mit den Windrädern in ein großes Problem. Da stecken die aufwendigs­ten Materialie­n drinnen. Die in zwanzig Jahren zu rezykliere­n, wird spannend. Genau solche Dinge müssen künftig schon in der Entwicklun­g neuer Materialie­n mitgedacht werden. Für entspreche­nd ausgebilde­te Expertinne­n und Experten in Österreich wollen wir auch durch den neuen Masterstud­iengang Green Chemistry sorgen.

ZUR PERSON

Marko Mihovilovi­c (52) ist Dekan der Fakultät für Technische Chemie der TU Wien. Er ist Mitinitiat­or der Bildungsof­fensive Green Chemistry, deren Herzstück ein im Oktober startender Masterstud­iengang ist – eine Kooperatio­n von TU, Boku und Uni Wien. Ziel ist die Ausbildung von Expertinne­n und Experten mit Fachwissen in grüner Chemie. Sie sollen Entwicklun­gen des Technologi­ewandels von der Grundlagen­forschung bis zur industriel­len Anwendung begleiten können.

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