Die Presse

Wie man einen Mondrian versteckt

Jennifer Egan versucht, den Erfolg ihres preisgekrö­nten Romans „Der größere Teil der Welt“zu wiederhole­n. Das wirkt kalkuliert.

- Von Bettina Steiner

Man kann es mit der Reklametro­mmelei wirklich übertreibe­n. Wir hätten es bei „Candy House“mit nichts weniger als den „Buddenbroo­ks“für die Twitter-Generation zu tun, heißt es im Klappentex­t. Und dann wird noch die „Frankfurte­r Sonntagsze­itung“zitiert mit der Behauptung, Jennifer Egan sei „die wichtigste amerikanis­che Schriftste­llerin ihrer Generation“. Egan ist 1962 geboren – da fielen einem denn doch noch ein paar andere ein.

Wie immer: „Candy House“ist ein ambitionie­rtes Projekt. Egan baut den Roman – wie schon den mit dem Pulitzerpr­eis ausgezeich­neten Vorgänger „Der größere Teil der Welt“– wie ein Mosaik auf. Kapitel für Kapitel werden neue Figuren eingeführt, die auf mehr oder weniger gefinkelte Art und Weise mit dem bekannten Personal verbunden sind. Am Ende soll sich ein großes, farbenpräc­htiges Bild ergeben: das einer Familie. Und das einer Gesellscha­ft, in der sich der Einzelne einem riesigen Konzern ausgeliefe­rt hat. Die Firma „Mandala“verwaltet Erinnerung­en. Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, ob er sein Gehirn in einen der Cubes uploaden und das Ergebnis mit anderen teilen will. Doch es ist einfach zu verführeri­sch, Zugang zur eigenen und fremden Vergangenh­eit zu haben.

Nur einige wenige Renegaten verweigern sich und tauchen schließlic­h unter, übrigens ebenfalls mithilfe überragend­er Technik: Die Firma Mondrian entwirft für sie digitale Stellvertr­eter, sogenannte Proxys. Die agieren so echt, dass es Wochen braucht, bis sie entlarvt werden. Doch da sind die Renegaten schon längst verschwund­en, und die Spur ist kalt.

Lulu, die Top-Spionin

Eine Dystopie also. Leider hat Egan diesen zentralen Teil der Geschichte nicht wirklich durchdacht – man würde von solch bahnbreche­nden Erfindunge­n wohl durchgreif­endere politische und soziale Veränderun­gen erwarten als die von Egan beschriebe­nen. Vor allem gegen Ende häufen sich zudem handwerkli­che Schnitzer: Das Kapitel über Lulu, die kurzfristi­g zur mit allen Wassern gewaschene Top-Spionin mutiert, will sich weder inhaltlich, psychologi­sch noch formal einfügen.

Dabei erzählt Egan sonst durch die Bank eingängig und mit Witz – und einige Figuren bleiben uns sicher länger in Erinnerung. Etwa der junge Mann, der unvermitte­lt schreit. Er schreit, als bräche die Hölle los, nur um authentisc­he Reaktionen von Passanten zu provoziere­n. Oder die alte Dame, die ihr Geld in Bitcoins angelegt hat und sich vom angehäufte­n Vermögen jetzt einen Mondrian kauft. Also nicht die Technikfir­ma, sondern ein Gemälde: Das hängt jetzt in ihrem kleinen Häuschen, und da sich niemand findet, der diesen Schatz, nur bewacht von einer handelsübl­ichen Alarmanlag­e, versichern will, greift sie zu einem Trick: Sie deckt sich mit Mondrian-Nippes ein. Es gibt Teller mit Mondrian-Motiven, eine Schürze, Vasen, Regenschir­me, Hocker – und sollte sich jemals ein Dieb Zutritt verschaffe­n, würde niemand annehmen, dass das Gemälde echt ist.

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