Vorsorgemaßnahmen statt Reparaturmedizin
Systemänderung. Um die Gesundheitsversorgung, insbesondere der älteren Bevölkerung, zu verbessern, braucht es laut ExpertInnen ein Umdenken. Konkrete Pläne und Lösungsideen liegen bereits auf dem Tisch.
Rund 22 Prozent der über 65-Jährigen in Österreich brauchen Pflege. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass dieser Anteil nicht zwangsläufig so hoch sein muss. In Dänemark, einem Land das in etwa gleich viel in die Gesundheit der Bevölkerung investiert, verzeichnet man nur acht Prozent pflegebedürftige Personen in dieser Altersgruppe. ExpertInnen warnen vor der „Pflegefalle“und zeichnen Wege auf, wie die Anzahl der Menschen mit Pflegebedürftigkeit verringert werden kann.
Best Agers Bonus Pass
Was zu Beginn des Lebens der Mutter-Kind-Pass ist, soll im Alter der sogenannte Best Ager Bonus Pass werden. Die Idee dazu entstand auf Grundlage des 2021 veröffentlichen Buches „Raus aus der Pflegefalle“.
Skizziert wird darin, welche gesundheitspolitischen Maßnahmen sich im Kampf gegen eine Pflegebedürftigkeit im Alter bewähren. Die Rede ist von gesundheitsfördernden, präventiven und rehabilitativen Maßnahmen, durch die die Selbständigkeit von älteren Menschen erhalten, gefördert oder sogar wiedergewonnen werden kann. „Aus unzähligen weltweit durchgeführten epidemiologischen Studien ist erwiesen, dass regelmäßige körperliche Aktivität, eine entsprechende Ernährung sowie soziale Eingebundenheit und damit Lebenszufriedenheit Schlüsselfaktoren für
Lebensqualität und Langlebigkeit sind“, sagt dazu Barbara Fisa, Geschäftsführerin von „The Healthy Choice“und Co-Autorin des Buches.
Um den gesunden Lebensstil für Menschen ab 50 besser unter das Volk zu bringen, könnte laut Fisa der Best Agers Bonus Pass ein geeignetes Angebot sein. Das Konzept sieht als Basis ein Assessment zur Erhebung des medizinischen und nicht medizinischen Status quo der Teilnehmenden vor, auf dessen Basis individuelle Zielvereinbarungen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation getroffen werden. Werden die Ziele erreicht, gibt es Bonuspunkte, die in nützliche Vergünstigungen umgewandelt werden können.
„Durch den Einsatz des Best Agers Bonus Passes entsteht sowohl ein volkswirtschaftlicher Nutzen durch eine Verschiebung bzw. Senkung der ambulanten und stationären Krankheits- und Pflegekosten als auch ein individueller Nutzen, durch Erhaltung der Selbstständigkeit und der sozialen Teilhabe an der Gesellschaft“, ist die Public-Health-Expertin überzeugt. An einem Pilotprojekt für Wien, Linz und Ried im Innkreis wird aktuell gemeinsam mit der Vinzenzgruppe bereits gearbeitet.
PPP: Drei zentrale Trends
Laut Alexander Biach, DirektorStellvertreter der Wirtschaftskammer Wien, sind die drei Lebensstilfaktoren Ernährung, psychische Gesundheit und Bewegung für ein Drittel aller Pflegefälle verantwortlich.
Um Menschen im wahrsten Sinne des Wortes dazu zu bewegen, ihre Gesundheit in die eigenen Hände zu nehmen, braucht es laut es dem Co-Autor von „Raus aus der Pflegefalle“ein gesamtgesellschaftliches Umdenken und mutige Ansätze im Gesundheitsbereich: „Gelernte ÖsterreicherInnen scheinen die Reparaturmedizin zu lieben. Wir müssen aber lernen, Prävention zu
lieben.“Das Umdenken könne mit Motivation und Erinnerungshilfen, wie sie im Best Agers Bonus Pass vorgesehen sind, unterstützt werden. Prävention müsse dabei bereits im Kindesalter ansetzen und sich in der Folge auf das gesamte Leben ausdehnen – und sei zugleich nur einer von drei zentralen Bausteinen, um die angestrebten Ziele in der Gesundheitsversorgung zu erreichen.
Die Rede ist von den drei „P“: Prävention, Programme und Primärversorgungseinheiten. Programme steht dabei für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Zahlen belegen, dass auch in diesem Bereich Nachholbedarf besteht. So werden DiGAs laut einer Erhebung aus dem Jahre 2020 nur von acht Prozent der BürgerInnen in Österreich benutzt, womit man deutlich unter europäischen Spitzenreitern dieser Statistik wie Island (20 Prozent) oder Dänemark (zwölf Prozent) liegt.
Als Vorbild kann laut Biach aber auch Deutschland herhalten, wo ein relativ unbürokratischer Weg beschritten wird, der es Anbietern ermöglicht, nach klaren Regeln ihre Anwendungen einfach auf den Markt zu bringen. Vorgegeben wird eine Erprobungs- und Überprüfungsphase, in dessen Folge die DiGA-Anbieter rasch erfahren, ob die Anwendung erstattet wird oder nicht. Für Biach steht dieser Weg auch Österreich offen: „Wir sollten Kompetenzen und Initiativen bündeln, um so schnell wie möglich transparente Prozesse und eine gesetzliche Grundlage für App-Entwickler zu schaffen.“
Beim dritten „P“, den Primärversorgungseinheiten, handelt es sich laut Biach um ein Schlüsselelement der Gesundheitsversorgung, bei dem auch Prävention und digitale Programme zusammenlaufen: „36 PVEs gibt es derzeit, 75 sollen es bis zum Jahr 2023 werden. Durch diese multiprofessionellen Zentren können PatientInnen umfassend, wohnortnah und niederschwellig versorgt werden.“